Slowenisches Musikkollektiv Laibach: „Wir leben im permanenten Krieg“

Laibach im Kollektivinterview über Provokation in einer unilateralen Welt, das postmoderne Scheitern Jugoslawiens und die Utopie eines neuen Europas.

Sie können noch deutscher sein als die Deutschen: Laibach. Bild: Luka Dekleva/Promo

taz: Sie geben keine persönlichen Interviews und baten mich daher, Fragen zu schicken. Wer antwortet mir?

Laibach: Laibach antwortet als Team (Kollektivgeist), dem Modell der industriellen Produktion und des Totalitarismus folgend. Das bedeutet, dass das Individuum nicht spricht; die Organisation tut es. Unsere Arbeit ist industriell, unsere Sprache politisch.

In den 80er Jahren war Ihnen die Verwendung des Bandnamens Laibach – deutsch für Ljubljana – untersagt. Die jugoslawischen Behörden verhängten ein Auftrittsverbot. Provoziert Laibach noch heute?

Wir haben nie nur um der Provokation willen provoziert; wir tun es aus purer Notwendigkeit, ein Kunstwerk taugt nichts, wenn es nicht provoziert. Den Reaktionen nach zu urteilen, provozieren wir heute schon durch unsere Existenz.

Ihr Mix aus Symbolen des Sozialismus und Faschismus, aus Industrial und Pop wirkte in einer bipolaren Welt explosiv. Ist Ihre Ästhetik nach dem Kalten Krieg nicht bedeutungslos geworden?

Wir scheinen sogar noch besser in einer unilateralen Welt zu funktionieren.

Slavoj Žižek hat gesagt, Laibach enthüllten die Kehrseite der politischen Macht. Ein Beispiel dafür ist der Skandal von 1987, der das sozialistische Jugoslawien erschüttert hat – ein Laibach-nahes Kunstprojekt gewann einen staatlichen Poster-Wettbewerb mit einem leicht modifizierten Bild des Nazi-Künstlers Richard Klein. War Laibach von Anfang an Argument für das Scheitern Jugoslawiens?

Wäre dem so, hätte Jugoslawien überhaupt nicht existieren sollen. Das Land war eine utopische Formation, erschaffen in der Zeit des späten Surrealismus und hypersozialen Realismus. Der Modernismus war seine Hochzeit, und mit dem Postmodernismus begann die Auflösung. Jugoslawien war ein eklektisches Retro-Gebilde, nicht bloß eine homogenisierte Oberfläche der Moderne. Der Krieg war die logische Folge vom Ende dieses utopischen Traums, ein zynischer Ersatz für die große Erzählung, die nach dem Kalten Krieg verschwand, das Ende der Geschichte.

Nachdem Jugoslawien zerfiel, haben Sie NSK („Staat in der Zeit“) gegründet – einen Staat ohne Territorium. Während der Belagerung Sarajevos 1994 sollen Einwohner mit Hilfe von NSK-Ausweisen entkommen sein. Noch immer bewerben sich Nigerianer um Ihren Pass, um damit nach Europa reisen zu können. Wie real ist Ihr Staat?

Jeder Staat ist nur so real, wie seine Bürger an ihn glauben. Wir haben NSK gegründet, um die Utopie in einer Zeit Großer Erwartungen lebendig zu halten. NSK – „Staat in der Zeit“ ist ein abstrakter Organismus und suprematistischer Körper, der als Skulptur in einem realen sozialen und politischen Raum steht. NSK wird nicht durch Territorium zum Staat, sondern durch den Geist, der ständig im Fluss ist – genauso wie der symbolische und physische Kollektivkörper. Die „Nation“ von NSK ist darum transnational. Neben den Gründungsmitgliedern haben Menschen verschiedener Religionen, Nationalitäten, Geschlechter und Überzeugungen, vor allem aber kulturelle Immigranten das Recht auf eine NSK-Staatsbürgerschaft.

Gegründet 1980 in Trbovlje, Slowenien. Das Industrialkollektiv nutzt musikalische und ideologische Versatzstücke, vertonte unter anderem die Beatles oder Johann Sebastian Bach. Derzeitige Besetzung: Milan Fras, Ivan Novak, Mina Spiler, Janez Gabric, Luka Jamnik, Saso Vollmaier. Zuletzt erschien das Album „Spectre“ (Mute, 2014).

Für Milo Raus Theaterprojekt „The Dark Ages“ schrieben Laibach die Musik; Premiere morgen, 11. April, im Residenztheater München, um 21 Uhr treten Laibach dort auf.

Neue Slowenische Kunst (NSK) gegründet 1984, ist ein interdisziplinäres Kunstkollektiv, dessen musikalischer Teil Laibach ist. 1992 erklärte sich NSK zu einem Staat ohne Territorium („Staat in der Zeit“). Der NSK-Staat vergibt Ausweispapiere, öffnet temporär und anlassbezogen Konsulate oder deklariert NSK-Staatsgebiete – wie etwa 1993 den „NSK Staat Berlin“ in der Berliner Volksbühne.

„Wir sind so sehr Faschisten, wie Hitler ein Maler war“, haben Sie einmal auf den Faschismusvorwurf geantwortet. Es kamen auch deutsche Neonazis zu Ihren Konzerten. Wurden Sie missverstanden? Sind die Deutschen noch nicht reif für Laibach?

Wir sagten, „Wir sind so sehr Faschisten, wie Hitler ein Künstler war“. Außerdem werden die Deutschen immer Probleme mit Laibach haben, weil wir immer noch deutscher sein können, als sie es sind. Und zum Dritten – wir wissen nicht, ob die Neonazis noch immer Laibach hören, aber wir wissen, dass sie ein Problem haben, sich mit unserer Musik und Performance zu identifizieren. Das haben uns einige deutlich gesagt – und also scheint es so, als hätten sie Laibach vollkommen verstanden.

Sie haben als depersonalisiertes Kollektiv begonnen, um keine Identifikationsfläche zu bieten. Inzwischen geben Sie Interviews. Was unterscheidet Sie noch von anderen Bands?

Auch wenn wir die Sprache der Popkultur beherrschen, heißt das noch lange nicht, dass wir ihr damit einen Gefallen tun.

Ihr aktuelles Album „Spectre“ ist ein Kommentar zum Status quo Europas zwischen Kriegen und Nationalismus, genauso wie Milo Raus Theaterprojekt „The Dark Ages“, zu dem Sie die Musik geschrieben haben. Hat die Alte Welt noch eine Zukunft?

Wir haben etwas von der Zukunft gesehen (and it’s murder), aber wir können sie nicht vorhersagen; wir leben in Zeitschleifen der Gegenwart, und unsere Zukunft von gestern verwandelt sich in unsere Vergangenheit von morgen. Wir ahnen nur, dass die Zukunft nicht mehr das ist, was sie einmal war. Trotzdem glauben wir an Europa und wollen mehr davon; Europa fällt fortwährend auseinander, aber es scheint ganz so, als ob das Europas Art ist, sich zu konstituieren. Und jedes Mal, wenn es versucht, sich neu zu begründen, scheitert es besser.

Wie sieht Europas Zukunft aus?

Wir brauchen ein Europa vom Atlantik bis zum Pazifik! Aber Europa braucht eine richtige Revolution; die wahre Utopie ist, dass Ziele wie soziale Gerechtigkeit innerhalb des globalen Kapitalismus erreicht werden können. Gründe für das Elend der Menschheit liegen ja nicht in der Korrumpierbarkeit einiger Politiker oder der Geldgier einiger Banker, sondern in den strukturellen Dynamiken dahinter.

Und was ist die Lösung?

Kein kosmetischer Eingriff, sondern ein ganz anderes System. Wir hoffen aufrichtig, dass die Idee eines Vereinigten Europas bewahrt werden kann. Nicht das kalte Europa der Brüsseler Technokratie und des Bankenwesens, das den Dogmen des Neoliberalismus folgt, sondern ein repolitisiertes Europa, ein gemeinsames emanzipatorisches Projekt. Ohne eine solche Vision wird Europa nicht vorankommen oder sogar fallen. Und dann haben wir alle No Future.

Mit dem Album „Nato“ haben Sie 1994 auf den Krieg in Exjugoslawien reagiert. Was hat Laibach über aktuelle Konflikte zu sagen?

Kriege in der Ukraine, in Syrien, oder im Sudan sind tragisch und gefährlich, aber wir haben Ähnliches schon in Exjugoslawien gesehen, in Tschetschenien und anderswo. Solche Konflikte zeigen die Unfähigkeit von Politikern und Institutionen, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen. Es sieht aus, als sei gar kein Wille vorhanden, sie zu lösen, da Kriege ökonomischen und politischen Interessen dienen. Wir haben nichts aus den Wunden des Ersten und Zweiten Weltkriegs gelernt, aus dem Koreakrieg, Vietnam, Afghanistan; der Dritte Weltkrieg ereignet sich jetzt, es geht nicht nur um den Nahen Osten und die Ukraine, er vollzieht sich nicht nur auf dem militärischen Schlachtfeld, sondern ist ökonomischer, kultureller und religiöser Natur, ein Medien- und Finanzkrieg. Praktisch leben wir im permanenten Kriegszustand, und wir beginnen, dies zu akzeptieren. Wir nennen diesen Zustand „Frieden“.

Was ist Ihre Mission?

Dem Bösen den letzten Nerv zu rauben. Das war es immer.

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