Action und Arbeiterklasse

PUNK-GESCHICHTE Grabenkämpfe, Lieblingsfeinde und Endzeitstimmung: Der Schweizer Autor und Journalist Daniel Ryser hat eine ungeschönte Biografie der Hamburger Politpunkband Slime geschrieben. Nun stellt er das Buch gemeinsam mit der Band vor

Die Band ist ein Phänomen ihrer Zeit, die Zeit phänomenalisiert sich über diese Band

VON MICHAEL SAAGER

Von Zaster könnte der Sänger von Slime auch ein Liedchen singen. Dieser „Zaster“ nämlich, so Daniel Ryser, der Autor von „Slime – Deutschland muss sterben“, „fehlt bei Dirk Jora an allen Ecken und Enden“. Ein Opfer ist der charismatische Sänger der Hamburger Politpunkband mitnichten. Eher schon ein harter kompromissloser Hund mit einem bemerkenswert alkohol- und kokaingesättigen Lebensstil, lange Zeit. Da hörst du schon mit Mitte Dreißig, wie das Gras nach dir schnappt. Inzwischen wohnt der 53-Jährige, über dessen Stimme Schorsch Kamerun sagt, sie würde „bei allem Pathos nach Action und Arbeiterklasse“ klingen, in der Pampa bei Hamburg. Dort lebt es sich gesünder.

Selbstverständlich lässt sich die Geschichte Slimes nicht auf Dirk Jora reduzieren, und ebensowenig auf ihre bekanntesten Songs, auf das verbotene Stück „Wir wollen keine Bullenschweine“ (1980) sowie auf den „Hit“ der Gruppe von der ersten, 1981 erschienenen LP „Slime I“: „Deutschland muss sterben“. Gar nicht doof, wie Slime die Inschrift auf einem 1934 errichteten Kriegerdenkmal am Hamburger Dammtorbahnhof mithilfe einer kleinen Drehung auf eine, sagen wir, vernünftigere politische Ebene gehoben haben. Auf dem Denkmal steht typischer Kriegspropagandamist: „Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen.“

Ryser, Jahrgang 1979, schrieb lange für Schweizer Wochenzeitung WOZ, heute arbeitet er als Reporter für Das Magazin. In seiner überaus lesenswerten bandbiografischen Popkulturgeschichte geht es gewissermaßen um alles, was für Slime und die Welt, aus der Gitarrist Christian Mevs, Gitarrist Michael „Elf“ Mayer, Bassist Sven „Eddie“ Räther, Schlagzeuger Stephan Mahler und Sänger Dirk Jora kommen, einmal wichtig war. Und teilweise heute noch wichtig ist. Seit 2010 gibt es sie ja wieder, diese hochenergetische, wütende Gruppe. Auf ihrem jüngsten Studioalbum „Sich fügen heißt lügen“ von 2012 haben Slime Gedichte des von den Nazis im KZ ermordeten Anarchisten und Schriftstellers Erich Mühsam vertont.

Die Band ist ein Phänomen ihrer Zeit, die Zeit phänomenalisiert sich nicht zuletzt über diese Band. Deshalb erzählt Ryser von Punk und Politik in den späten 70ern, frühen 80ern und frühen 90ern. Von Grabenkämpfen zwischen den Szenen: Kunstpunks, Funpunks, Politpunks, Postpunks – alle gegen alle. Es geht um Atomkraftgegner, notorische Polizeigewalt, die Endzeitstimmung in den 80ern. Um Altnazis in Schlüsselpositionen von Politik und Wirtschaft der BRD – Slimes Lieblingshassfiguren. Später um brennende Flüchtlingsheime und Wohnhäuser in Rostock, Mölln, Solingen und um die politisch-musikalischen Versuche durch Hamburger Künstler, dem etwas entgegenzusetzen. Slimes Biografie handelt von luftabschnürenden Szene-Dogmen, bandinternen Überwerfungen, Ausverkaufsvorwürfen, von der „Erfindung“ des FC St. Pauli durch antifaschistischen Punkrock, na klar, und von den Häuserkämpfen in der Hafenstraße.

Ryser nimmt auch die sattsam bekannte Kritik an Slimes „stumpfem“ Punkrock und an ihren als höchst undifferenziert geziehenen antiamerikanischen Texten auf. Er selbst hält sich angenehm zurück und lässt stattdessen gut dreißig Personen zu Wort kommen – Bandmitglieder, Musiker befreundeter Bands, Szenegänger von einst, Popjournalisten, Fans der ungemein druckvollen Härte und unverrückbaren politischen Haltung Slimes wie Alec Empire von Atari Teenage Riot. Die Lebendigkeit des Buches verdankt sich geschickt angeordneten Zitat-Passagen. Und wie so oft, wenn man klugen Menschen, schillernden Persönlichkeiten oder durchgeknallten Vögeln dabei zuhört, was sie an Orten und zu Zeiten erlebt haben, die man als besonders beredte Scharnierstellen von Geschichte bezeichnen darf, bekommt man das Gefühl, man wäre selbst dabeigewesen.

Legendär ist Joras Konzertansage in den Berliner Pankehallen aus dem Jahr 1984. Weil klar war, es würde wieder einmal „Stress mit Rechtsextremen“ geben, sagte er: „Passt auf, ihr Scheißer – ja? Uns ist das völlig egal, ob jemand aus Berlin kommt, aus Hamburg oder sonst woher. Ist uns völlig scheißegal, verstehst du? Scheißegal, ob jemand schwarz ist oder weiß, scheißegal, ob jemand Türke ist oder Deutscher, scheißegal! Versteht ihr mich, ihr Wichser? Ja? Und all die Leute haben Bock drauf, dass wir spielen. Und ihr kleiner Scheißhaufen werdet dieses Konzert nicht in’ Arsch machen, sonst gibt es auf die Fresse, so satt und lang, wie ihr noch nie in eurem Leben auf die Fresse gekriegt habt! Klar, oder was?“

„Geknallt“ hat es danach nicht wirklich, zwanzig Leute, „die sich mit Holzlatten und Eisenstangen um Dirk postierten“, so Ryser, „schlugen die Rechten in die Flucht“. Jello Biafra hätte das gefallen.

■ Osnabrück: Sa, 6. 4., 19 Uhr, Rosenhof, Rosenplatz 23; Hamburg: So, 7. 4., 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45; Oldenburg: 18. 4., 20 Uhr, Kulturetage, Bahnhofstraße 11; Göttingen: 19. 4., 20.30 Uhr, Musa, Hagenweg 2a