Kommentar falscher Bericht „Rolling Stone“: Sorgfalt muss unverrückbar bleiben

Dass das US-Magazin einen Artikel zurückziehen muss, schadet nicht nur Opfern sexueller Gewalt. Es geht auch um die Berechtigung von Journalismus.

„Die Mediengesellschaft der digitalen Moderne braucht Regeln zur Sicherung der Besonnenheit in besinnungslosen Zeiten.“ Bild: Imago / ParoramiC

Das ist der Albtraum einer jeden JournalistIn, einer jeden ChefredakteurIn und wohl auch einer jeden HerausgeberIn: Eine anerkannte Kollegin löst in den USA mit einer exklusiven Geschichte im Rolling Stone eine dringend notwendige Debatte über sexuelle Gewalt und Übergriffe an Universitäten aus und wie diese strukturell verheimlicht und die Opfer im Stich gelassen werden.

Dann stellt sich heraus, dass die Geschichte so wenig belegt ist, dass sie zurückgezogen werden muss – wenn sie nicht sogar gänzlich unwahr ist. Und zwar nicht, weil die Autorin wissentlich gefälscht hat, wie der Schweizer Tom Kummer. Sondern weil die Kollegin nicht der journalistischen Grundregel gefolgt ist, mindestens zwei, am besten drei sichere Informationsquellen zu haben.

Dass der Rolling Stone nun die Geschichte dieser jungen Frau, die „Jackie“ genannt wird, zurückziehen muss, ist nicht nur für Autorin Sabrina Rubin Erdely und das renommierte Magazin ein Desaster. Es ist schon jetzt klar, dass dieser Vorfall künftig von allen missbraucht wird, die eine Aufklärung und mediale Begleitung von sexuellen Gewaltdelikten verhindern wollen. Erdely hat damit den Opfern sexueller Gewalt nachhaltig geschadet.

Und nicht nur das. In den USA gibt es schon länger Mechanismen, um die Glaubwürdigkeit liberaler und linker Medien zu diskreditieren. Auch der kommende Präsidentschaftswahlkampf wird über die Medien ausgetragen. Milliarden fließen in Kampagnen und PR-Profis. Und auch dort wird der Fall „Jackie" ein gefundenes Fressen sein für jene, die der Qualitätspresse vorwerfen, nur Propaganda und keinen wirklichen Journalismus zu liefern.

Gründe spielen keine Rolle

Das ist absurd angesichts des Niveaus, das beim rechtskonservativen Sender Fox News und anderen reaktionären Medienanstalten herrscht. Das Argument wird trotzdem ziehen.

Es ist nicht zu bestreiten, dass in diesem Fall eine Geschichte veröffentlicht wurde, die nicht zu Ende recherchiert war. Die Gründe spielen dabei keine Rolle. Der Medienexperte Bernhard Pörksen hat einen bemerkenswerten Artikel in der aktuellen Zeit veröffentlicht. Er nimmt die Berichterstattung über den Germanwings-Crash zum Anlass, zu reflektieren, vor welchen Herausforderungen der Journalismus steht und formuliert den schönen Satz: „Die Mediengesellschaft der digitalen Moderne braucht, paradox genug, Regeln zur Sicherung der Besonnenheit in besinnungslosen Zeiten.“

Das ist nicht nur wahr für die Katastrophenberichterstattung. Nur wenn Sorgfalt und Unabhängigkeit unverrückbar bleiben, hat der Journalismus eine Berechtigung. Und nur dann kann er auch eine Zukunft haben.

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Ines Pohl (Jahrgang 1967) war von Juli 2009 bis Juni 2015 Chefredakteurin der taz. Bevor sie als politische Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin arbeitete, leitete sie das politische Ressort der Hessischen /Niedersächsischen Allgemeinen. 2004/2005 war sie als Stipendiatin der Nieman Foundation for Journalism für ein Jahr an der Harvard University. Im Dezember 2009 wurde ihr der Medienpreis „Newcomerin des Jahres“ vom Medium-Magazin verliehen. Seit 2010 ist Ines Pohl Mitglied im Kuratorium der NGO „Reporter ohne Grenzen“. Außerdem ist sie Herausgeberin der Bücher: " 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern" und "Schluss mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt" (Westend-Verlag)

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