Ethik und Journalisten in Montabaur: Dann gehen sie wieder

Reporter und Kamerateams aus der halben Welt sind in die Heimatstadt des Germanwings-Kopiloten Andreas L. gereist. Eine Beobachtung der Beobachter.

Sonst immer hinten, heute mal im Vordergrund: Die Katastrophen-Journalisten. Bild: reuters

MONTABAUR taz | Die Zahl der Kerzen vor der Kirche ist überschaubar. Ein kleines Schild bekundet Beileid. Ein tief surrender TV-Übertragungswagen von RTL und NTV steht herum, als hätte ihn jemand vergessen. Eine schlanke und stark geschminkte junge Frau, die ihr dunkles Haar zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden hat, hält ein Mikrofon in der Hand, ihren Kameramann weist sie auf Italienisch ein, Dinge zu filmen. Doch es gibt nichts zu filmen, also warten sie, ob jemand aus der Kirche kommt. Es wird langsam dunkel.

Etwas weiter richtet ein französischer Kameramann die grellen Scheinwerfer auf seinen Reporter, im Hintergrund die leere Straße. Sonst ist auf dem Platz nur ein älterer Mann zu sehen, der sich auf einen Regenschirm stützt. Er wandert etwas unentschlossen zwischen den paar Fernsehleuten hin und her. Dann geht er doch in die Kirche.

Freitagabend in Montabaur. Es ist Tag vier der Berichterstattung. In der 12.000-Einwohner-Stadt im südlichen Westerwald ist Andreas L. aufgewachsen, der Copilot, der am Dienstag die Germanwings-Maschine ins Alpenmassiv gesteuert haben soll.

Auf Twitter wurde gerade heftig diskutiert, welche Medien in der Berichterstattung was falsch gemacht haben. Nicht alle haben das Foto des Copiloten gezeigt, nicht jeder schreibt seinen Namen aus. Das finden viele zu vorsichtig, einige gar unprofessionell. Die Kommentare der Journalisten lesen sich größtenteils, als hätten sie sie nur mit einer Hand tippen können, weil sie mit der anderen wild herumfuchteln mussten.

Was sagt der Wohnort aus?

Bei Flug 4U9525 sind noch viele Fragen offen. Unter anderem die, ob man als Journalist wirklich nach Montabaur in Rheinland-Pfalz fahren muss? Was kann ein Wohnort überhaupt über einen einzelnen Menschen aussagen?

Vom Bahnhof sind es zu Fuß etwa zwanzig Minuten bis zur Stadtmitte. Auf einem kleinen Berg steht das gelbe Schloss Montabaur. Unten wechseln sich antike Fachwerkhäuser mit soliden bis langweiligen zweistöckigen Mehrfamilienhäusern ab.

Eine Fahrschule, ein Supermarkt, die Post. Der Stadtkern besteht mehr oder weniger aus einer Straße. Auf dem Hauptplatz stehen zwei kleine Grüppchen junger Leute, die reden, rauchen und lachen. Hier durch die Straßen zu streifen fühlt sich an, als würde man Landfriedensbruch begehen, auch wenn kaum jemand zu sehen ist.

In einer Pizzeria schneiden einige Journalisten Filmmaterial von den soliden bis langweiligen Mehrfamilienhäusern, in der Gelateria tippen andere auf die Tasten. Ein paar Meter weiter ein kroatisches Restaurant. Eingerichtet ist es mit neuen Möbeln, die nur so tun, als wären sie alt und aus Holz oder Leder. Zwischen einer Gruppe, die ausgelassen klatscht und lacht und einem weiteren Tisch, an dem vier Männer sitzen, ist noch ein Platz frei. Einer blickt gefesselt auf sein Handy, dann legt er es wieder weg. Wieder eine Gruppe Journalisten.

Anekdoten werden ausgetauscht

Die Herren in den Vierzigern sprechen so laut, dass es der ganze Raum mitbekommt. Man habe einer Kollegin vorgegaukelt, die Freundin des Copiloten hätte schon ausgepackt und hätte gesagt, der Ex habe einen kleinen Penis gehabt. Sie habe es kurz geglaubt. Lautes Gelächter.

Sie wollen langsam aufbrechen, sagen sie. „Vierstundenfünfzig“ brauche man zurück. „Sollen wir noch ein Selfie am Hauptplatz machen?“, fragt einer und lacht übertrieben. Ein anderer verneint halblaut. „Mit den zehn engsten Freunden von dem L.“, legt der Erste nach und lacht wieder. Er hat natürlich nicht „L.“ gesagt. Es werden noch einige Anekdoten ausgetauscht, welche Witwen es wo zu schütteln gab und wo es „nichts zu schütteln“ gab. „Sexy Cora“, Robert Steinhäuser, wütende Nachbarn. Dann gehen sie.

Vor einem der Hotels stehen mehrere Kleinbusse. Ein älterer Mann mit weißen Haaren kommt ins Plaudern. Kopfhörer liegen um seinen Hals, er arbeitet fürs britische Fernsehen. Die Sache sei gelaufen sagt er, nur noch ausländische Teams hier, die Deutschen seien schon wieder in Düsseldorf. „Langsam wollen sie, dass wir verschwinden, glaube ich“, sagt er. Er lächelt, als hätte er Verständnis dafür, und dämpft seine Zigarette aus.

Ein junger dunkelhaariger Mann im grauen Jogginganzug steht etwas weiter an eines der Autos gelehnt und raucht. Er sieht müde aus und gehört zu einem französischen TV-Team. Bevor er für die Germanwings-Geschichte abgestellt wurde, sei er in Griechenland gewesen, um zu berichten, erzählt er. Seine dunklen Augen und seine Stimme verraten, dass ihm Politik mehr Spaß macht.

Krankheitsgeschichten und Exfreundin

„Seit Dienstag bin ich jetzt hier“, sagt er. Mit „hier“ meint er Deutschland. Doch die Karawane wird nun weiterziehen. Die ganzen Reporter würden sich jetzt auf Krankheitsgeschichte und Exfreundin stürzen, sagt er, die meisten seien schon nach Düsseldorf gefahren, das würden sie auch tun. Er sieht sich nach einem Aschenbecher um, der Boden sei zu sauber hier. „Ich habe gehört, dass in Frankreich das Gerücht umgeht, die Exfreundin von Andreas L. sei Muslimin“, sagt er. Er habe sich schon gefragt, wie man die Schuldzuweisung an den Islam jetzt noch reinquetschen würde. Er zieht lachend seine Schultern fast bis zu seinen Ohren und schüttelt dann den Kopf.

Ob man von den Leuten hier denn etwas erfahren könne? „Es ist seltsam, wir interviewen die Menschen auf der Straße, die uns dann sagen, was sie vorher von uns im Fernsehen gehört haben. Irgendwann dreht sich das alles nur noch im Kreis“, sagt er.

Am Samstagmorgen steht die Sonne gerade erst knapp über den rheinländischen Hügeln. Die Luft draußen ist kalt, es riecht nach Moos und die Straßen sind so leer wie am Tag zuvor. Im Hotel schallen aus den für die Zimmermädchen geöffneten Räumen die Nachrichten, NTV wiederholt die ganze Katastrophe detailreich in Endlosschleife – was man wusste, nicht wusste und sich unter Umständen vielleicht irgendwie vorstellen könnte.

Es ist Tag fünf der Berichterstattung, Katastrophen-Katerstimmung. Die knapp zehn im Hotel verbliebenen Journalisten sitzen um acht Uhr beim Frühstück. „Um neun sollten wir im Auto sitzen“, sagt einer der Kameramänner aus London und gießt Kaffee aus der silbern glänzenden Thermoskanne nach. Sie müssen weiter zur nächsten Kulisse.

Doch ein Schlaganfall?

Ein Reporter hat eine Bild-Zeitung vom Kiosk geholt. Eigentlich wissen aber schon alle, was darin steht. Das Blatt soll die Exfreundin gefunden haben und meint nun zu wissen, was Andreas L. nachts geträumt hat.

Einer der Briten versucht eine Alternative auf den Tisch zu kriegen. Vielleicht war es doch ein Schlaganfall? „Nein, er musste den Sinkflug bewusst einleiten“, antworten die drei anderen ziemlich synchron und ähnlich gelangweilt in ihre Frühstücksbrötchen.

Im Kiosk am Hauptplatz stopft eine junge Frau die Bild in ihre Tasche. Ein alter Mann legt nach ihr die gleiche Zeitung auf den Tresen. „Was die Freundin jetzt nur gesagt hat“, sagt er ins Leere. Der Verkäufer reagiert nicht und kassiert. „Wissen Sie“, sagt er etwas später, „ich verstehe ja nicht, wieso man den Wohnort der Eltern so in den Vordergrund stellen muss. Ich kannte den gar nicht. Meine Kollegin hat ihn hier mal gesehen. Aber die wusste nicht mal, dass er Pilot ist“, sagt der Verkäufer und klopft auf einen Stapel Zeitungen.

Ein Journalist von der New York Times sei auch in der Stadt, erzählt der andere. „Ich habe ja gehört, die Journalisten haben um das Elternhaus herum die Gärten zertrampelt“, sagt der Verkäufer. Was die überhaupt da gewollt hätten. Die Eltern von Andreas L. müsse man nun schützen. „Ich halte mich hier ja bedeckt, denn wissen Sie, wenn nur einer von den ganzen Menschen, die das hier lesen, so labil ist, wie die ihn jetzt darstellen, dann muss man doch befürchten, dass hier noch ein Unglück passiert.“

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