Gefangen in der Idylle

TÜRKEN IN WIEN Das Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) zeigt mit „Zeichen, gefangen im Wunder“ leider zu viel harmlose zeitgenössische Kunst aus Istanbul

Die Werke sind zwar gut ausgewählt, aber die Metropole steht kaum zur Debatte

VON SABINE VOGEL

Osmanische Keramik, orientalische Teppiche, byzantinische Münzen – all das könnte man im Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) zum Thema Türkei erwarten. Vielleicht auch ein Blick auf den Austausch von Ornamenten um 1900, als sich der Wiener Jugendstil für die schmückenden Formen begeisterte. Aber zeitgenössische Kunst aus Istanbul?

„Zeichen, gefangen im Wunder“ betitelt das MAK seine „Suche nach Istanbul heute“, die 33 zeitgenössische KünstlerInnen der Jahrgänge 1938 bis 1980 zeigt. Ein spannendes Thema, denn kaum eine Stadt weckt derartig viele nostalgische und zukünftige Vorstellungen wie die Stadt am Bosporus – und all das verdichtet sich zunehmend im Feld der bildenden Kunst.

Noch um die Jahrtausendwende gab es in Istanbul kaum Galerien. Die bereits 1987 gegründete Biennale ist zwar schon lange in Westeuropa bekannt und sehr geschätzt, zog in der Stadt selbst aber bis vor wenigen Jahren kaum Publikum an. Staatliche Museen für Zeitgenössisches gibt es bis heute nicht, das Engagement für Kunst ist ausschließlich privat initiiert, finanziert und nahezu ausschließlich auf Istanbul konzentriert.

Was aber hat die Kunst Istanbuls mit dem Wiener MAK zu tun? Ein Brunnen-Nachbau von Sultan Achmed II., gezeigt auf der Wiener Weltausstellung von 1873, der sich auf einer Fotografie in der MAK-Bibliothek befindet, wird als „ideeller Vermittler“ heranzitiert, wie es Kuratorin Bärbel Vischer schreibt. Zusammen mit Simon Rees verantwortet sie die Ausstellung. Direktor Thun-Hohenstein betont noch, dass diese Schau „eine Ergänzung der Kompetenz des Museums für die Wiener Moderne durch den Blick auf andere Kulturen dieser Welt“ sei. Türkische Kunst als Kompetenzerweiterung? Das wäre interessant, wenn sich daran im MAK eine vertiefende Reihe historisch und aktuell zu diesem Thema anschließen würde – passiert aber nicht.

Sollen wir also zumindest zufrieden sein, dass irgendwer in Wien diese spannende junge Szene aufgreift? Ein Länderschwerpunkt, wird betont, sei „Zeichen, gefangen im Wunder“ aber auch nicht, denn bewusst seien auch einige nichttürkische Künstler ausgestellt.

Was dann – Istanbul als Thema? Nach dem Rundgang durch die Ausstellung wird klar, die Werke sind zwar gut ausgewählt, die Metropole allerdings steht kaum zur Debatte. Weder die urbanen noch die gesellschaftlichen oder gar politischen Probleme, nicht einmal die beliebte Europa-Asien-Brücken-Metapher werden angetippt. Stattdessen wirkt manches Klischee-verstärkend wie Marcel Odenbachs Video des Barbiers oder Nilbar Güres’ Video, in dem sie sich unzähliger Kopftücher entledigt – eigentlich eine humorvolle Überspitzung, aber im Kontext Istanbuls missverständlich. Ähnlich auch Canan’s Animationsvideo über das Leben einer muslimischen Frau, das vom Wandel der türkischen Gesellschaft erzählt, in Wien aber die Besucher bei gängigen Vorurteilen von Unterdrückung bis Rückständigkeit abzuholen droht.

Ein roter Faden wird dann doch sichtbar: Materialien. Keramik, Stoffe, Stickereien, kleine Objekte: Aka Nagasakas kleine Steinnachbauten zu Bruno Tauts ehemaligem Wohnhaus in Istanbul, Füsun Onurs „handgefertigter“ Schmetterling aus bunten Perlen, Uygur Yilmaz’ Fotografien von Bodenfliesen und Emre Hüners Sammelsurium von Keramikobjekten und gefundenem Alltagskram. Im Kontext des Kunsthandwerkmuseums rücken diese Werke sofort in ebendiese Kategorie.

Erinnerte Hüners Installation auf der Manifesta 2012 – ausgestellt in einer renovierten Bauruine – an eine archäologische Ausgrabung, denkt man im MAK dagegen an einen Flohmarkt. Onurs ohne jeglichen Idyllebruch präsentierter Schmetterling dagegen verspricht eine märchenhafte Welt – die zwar zum Ausstellungstitel passt, aber nichts zur „Suche nach Istanbul“ beitragen kann.

„Zeichen, gefangen im Wunder“ ist, was der Titel verspricht: eine erschreckend unpolitische Ausstellung, in der zudem die wenigen brisanten Beiträge beiläufig platziert und damit entkräftigt sind: In einem schmalen Gang hängen drei Panorama-Fotografien von Istanbul. Die pakistanische Künstlerin Hamra Abbas entfernte darauf alle Minarette, kastriert die Skyline und nimmt der Stadt zugleich ihre Exotik. Diese Fotografien hängen neben einem gewaltigen, weißen Stoff, der einen leeren Raum umhüllt. Cevdet Erek schuf diese Installation für das MAK, eine poetische Arbeit, die einen neuen Raumrhythmus erzeugen könnte – aber durch die Werke ringsum an den Wänden zum Trennvorhang mutiert.

Einzig die große Fotografie von Murat Göks „Border“ durchbricht radikal die Idylle: In der Lücke zwischen zwei Pfosten eines Hochsicherheitszauns schaukelt ein Mann in einer Hängematte. Es ist die Grenze zwischen der Türkei und Syrien. Die Aktion stammt aus dem Jahr 2010 – und ist heute nicht mehr wiederholbar. Die Peripherie ist zum Brennpunkt geworden. Aber es steht nicht zur Debatte, leider bleibt alles gefangen, nicht in Wundern, sondern in Verharmlosung.

■ Bis 21. April, MAK Wien, Katalog 30 Euro