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„So wichtig wie Wasser und Brot“: Mit ihrem Programm „360 Grad“ setzen sich zwei deutsche Radiomacher für einen modernen Kulturaustausch zwischen Irak und seinen Nachbarländern ein

AUS AMMAN DANIEL BAX

Wenn man das Redaktionsgebäude im bürgerlichen Viertel Jabal al-Weibdeh in der jordanischen Hauptstadt Amman betritt, wird man unmittelbar mit einem ein Sprachgewirr aus Arabisch, Englisch und Deutsch konfrontiert. Hier, in den Räumen im oberen Stock, entsteht das halbstündige Radioprogramm „360 Grad“, das für Zuhörer in Irak über das Kulturleben in den Nachbarländern berichtet und zweimal in der Woche vom populären Radiosender Dijila ausgestrahlt wird.

In einem Nebenraum wird das Nachrichtenprogramm „Niqash“ gemacht, das den Demokratisierungsprozess in Irak begleitet: Mehr als ein Dutzend irakische Radios greifen bereits auf dessen Beiträge zurück, die ihnen übers Internet zur Verfügung gestellt werden – vor allem zu so wichtigen Ereignissen wie der Parlamentswahl am gestrigen Donnerstag. Noch dazu wird von hier aus eine Internetseite betrieben, die auf Kurdisch, Arabisch und Englisch über die Verfassungsdebatte im Land informiert.

Seit dem Irakkrieg hat sich Amman zu einer wichtigen Drehscheibe in der Region entwickelt. Viele Unternehmen, Medien und politische Stiftungen haben sich in der Stadt niedergelassen, weil sie bis zu den Anschlägen Anfang November als ein relativ sicherer Ort erschien – auch den beiden Deutschen Klaas Glenewinkel und Anja Wollenberg, die ihr unabhängiges Medienprojekt hier angesiedelt haben. In den vergangenen beiden Jahren haben Glenewinkel und Wollenberg von Berlin aus bereits ähnliche Projekte geleitet. Nun sind sie mit einer Redaktion von deutschen und arabischen Journalisten nach Amman gezogen, um näher dran zu sein an ihrem Sendegebiet.

„Inspiration“ durch Kultur

Ihr Büro befindet sich in einer Gegend mit zahlreichen Galerien und Kunsthäusern – ein idealer Ort für ein Kulturprogramm wie „360 Grad“. Die Verbindungen zu den Kulturszenen der Nachbarländer sind schließlich schon vor langer Zeit abgerissen. Seit Saddam Husseins Machtübernahme im Jahre 1979 stagnierte das Kulturleben in Irak, und durch das internationale Embargo nach dem ersten Golfkrieg von 1991 wurde diese Isolation noch zusätzlich verstärkt. Für den Irak, der sich stets in seinem stolzen Selbstverständnis als „Wiege der arabischen Zivilisation“ sonnte, war das ein dramatischer Niedergang, der zu kuriosen Ergebnissen führte.

„Vor allem die Filmproduktion hat unter dem Embargo gelitten“, hat Glenewinkel festgestellt. „Man kann sich mit manchen Irakern deshalb zwar stundenlang über bestimmte Filme unterhalten. Nur irgendwann merkt man, dass der andere diese Filme gar nicht gesehen, sondern nur darüber gelesen hat.“ Klar, dass der Hunger nach Informationen deshalb besonders ausgeprägt ist. Andererseits: Haben die meisten Iraker angesichts der bürgerkriegsähnlichen Situation und dem ökonomischen Mangel in ihrem Land nicht andere Sorgen?

Die deutsch-palästinensische Produktionsleiterin von „360 Grad“, Alia Rayyan, lässt diesen Einwand nicht gelten: „Kunst und Kultur sind genau so wichtig wie Wasser und Brot“, meint sie. „Gerade in solchen Situationen ist es wichtig zu wissen, was sonst noch so vorgeht in der Welt. Unser Programm soll eine Inspiration bieten.“ Inspiration – dieses Wort benutzt auch Chefredakteur Najwan Darwish, dessen Handschrift das Programm prägt. „Als wir angefangen haben, dachten wir nur an die Hörer im Irak“, sagt der Palästinenser, der aus Jerusalem stammt. „Doch dann haben wir gemerkt, dass unsere Sendung auch für andere Länder interessant sein könnte.“ Inzwischen wird „360 Grad“ auch von einem Radiosender im Libanon ausgestrahlt, Voice of Palestine ist ebenfalls an der Übernahme interessiert.

Kunst und HipHop

Bislang ist „360 Grad“ ein Non-Profit-Unternehmen, das vom deutschen Außenministerium finanziert und von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt wird. Doch wenn die Nachfrage weiter steigt, könnten sich auch andere Finanzierungsquellen auftun. Denn „360 Grad“ bringt frischen Wind in eine Radiolandschaft, deren Kulturprogramme entweder oberflächlich sind oder von einem angestaubten Kulturverständnis geprägt.

Bei „360 Grad“ hingegen widmet man sich den populären und den zeitgenössischen Künsten mit der gleichen Hingabe, die man der etablierten Szene entgegenbringt. So berichten Korrespondenten von der Kunst-Biennale in Istanbul, porträtieren Musiker oder junge Literaten in Teheran oder Kairo, und das neben einem Feature über Geschichtenerzähler in Damaskus. Dazu gibt es aktuelle Clubmusik aus der Türkei, HipHop aus dem Libanon und Hardrock aus Iran.

Dieser überregionale Anspruch ist ein Novum in einer Region, die von vielen unsichtbaren Grenzen durchzogen ist. Dass es bei „360 Grad“ lediglich um Kultur geht, erleichtert die Sache natürlich: Das erscheint vergleichsweise harmlos und unverfänglich. Doch wie nahe man tatsächlich den politischen Realitäten ist, haben die Bombenanschläge vom November dramatisch ins Bewusstsein gerufen. „Auf unsere Arbeit haben sie sich nicht ausgewirkt“, sagt Redaktionsleiterin Alia Rayyan, „auf die Stimmung schon.“ Doch Anja Wollenberg ergänzt: „Es gibt aber auch eine starke Solidarisierung. Wir werden dauernd angesprochen, bloß hier zu bleiben: Wir sollen uns nicht fürchten.“