Fehler beim Atomausstieg: Schadenersatzrisiko ignoriert

Im Kanzleramt war bekannt, dass das Verfahren zum Moratorium nach Fukushima rechtlich fragwürdig war. Unternommen wurde aber nichts.

Greenpeace-Protest am Kühlturm des AKW Philippsburg 2011. Bild: dpa

BERLIN taz | Es waren dramatische Zeiten: Am 11. März vor vier Jahren wurde das Atomkraftwerk im japanischen Fukushima durch einen Tsunami so schwer beschädigt, dass es zu einer Kernschmelze kam. Unter dem Eindruck dieses Ereignisses entschieden Bund und Länder damals, die acht ältesten deutschen Atomreaktoren für eine Sicherheitsüberprüfung für zunächst drei Monate vom Netz zu nehmen.

Dass es im zuständigen Bundesumweltministerium seinerzeit eine heftige Auseinandersetzung um das Verfahren gab, ist mittlerweile gut dokumentiert: Der Leiter der für die Atomaufsicht zuständigen Arbeitsgruppe, der eine ausführliche Begründung für jedes einzelne AKW gefordert hatte, um spätere Schadenersatzforderungen zu verhindern, wurde damals kaltgestellt.

Doch neue Unterlagen, die der taz vorliegen, zeigen nun, dass auch das Kanzleramt über die rechtlichen Risiken des gewählten Verfahrens für das Atommoratorium und mögliche Schadenersatzforderungen informiert war.

Schon in einem Vermerk, der fünf Tage nach Fukushima im Kanzleramt erstellt wurde, ist von einer „möglichen Entschädigung“ die Rede, für die es aber „hohe Hürden“ gebe. In einer aktualisierten Fassung des Papiers wird dann einige Wochen später im Detail die Kritik am Verfahren dargestellt, mit dem die acht ältesten deutschen Reaktoren vom Netz genommen wurden. Der Gefahrenverdacht sei „nicht hinreichend begründet“, die Verfügungen zur Stilllegung seien „zu pauschal“.

Am Mittwoch jährt sich zum vierten Mal die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) warnte aus diesem Anlass ebenso wie Grüne und Linke vor den Risiken der Atomkraft.

AtomkraftgegnerInnen rufen für Samstag zu einer Demonstration in Düsseldorf auf. Vor der Eon-Zentrale wollen sie neben einem schnelleren Ausstieg auch fordern, dass die Atomkonzerne sich nicht vor ihrer finanzielle Verantwortung drücken dürfen.

Allerdings, heißt es weiter, habe das Bundesumweltministerium diesen Argumenten widersprochen. Dieser Einschätzung hat das Kanzleramt offenbar vertraut, denn auf eine Nachbesserung der fragwürdigen Begründung wurde verzichtet.

„Dafür trägt die Kanzlerin die Verantwortung“

Später entschied das Bundesverwaltungsgericht für das AKW Biblis, das Verfahren sei fehlerhaft gewesen. Auf dieser Grundlage klagt RWE derzeit auf Schadenersatz über 235 Millionen Euro. Der Beamte, dessen Kritik am gewählten Verfahren man im Umweltministerium seinerzeit ignoriert hatte, äußerte vergangene Woche im hessischen Untersuchungsausschuss die Vermutung, dass die Bescheide „vorsätzlich“ fehlerhaft waren.

Das Kanzleramt geht davon aus, dass Kanzlerin Angela Merkel und ihr damaliger Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (beide CDU) nicht persönlich über den Vermerk informiert waren. Über eine „Befassung der Hausleitung“ lägen „keine Informationen“ vor, heißt es in einer Antwort auf eine Anfrage der atompolitischen Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting-Uhl.

Diese meldet erhebliche Zweifel an der Aussage an: „Es ist nicht glaubhaft, dass für einen so wichtigen Vorgang erst eine Leitungsvorlage erstellt wird, diese sich aber dann im Nebel der Hausleitung verloren haben soll“, sagte Kotting-Uhl der taz. Wichtige Entscheidungen müssten sauber nachvollziehbar sein. „Dafür trägt die Kanzlerin die Verantwortung.“ Kotting-Uhl hatte bereits zuvor einen Untersuchungsausschuss auf Bundesebene angeregt; eine Entscheidung darüber steht noch aus.

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