Tod eines mutmaßlichen NSU-Zeugen: Suizid? Oder Nazi-Mord?

Der mutmaßliche NSU-Zeuge Florian H. verbrannte. Seine Familie glaubt: Nazis haben ihn ermordet. Das erklärten sie im NSU-Ausschuss in Baden-Württemberg.

In diesem Wagen verbrannte der mutmaßliche Zeuge des Mordes an der Polizistin Kiesewetter am 16.9.2013. Bild: dpa

STUTTGART taz | Die Schwester weint immer wieder, als sie von ihrem Bruder Florian H. berichtet. Von seiner Verstrickung in der rechten Szene in Heilbronn 2010 bis Ende 2011. Von seiner Funktion als Waffenkurier für „die Rechten“. Davon, dass er aus der rechten Szene aussteigen wollte und heute nicht mehr lebt.

Florian H. ist am 16. September 2013, damals 21 Jahre alt, in seinem Auto in Bad Cannstatt verbrannt, an einem Tag, an dem er von Ermittlern des LKA befragt werden sollte. Florian H. hatte schon vor Auffliegen des NSU signalisiert, die Mörder der Polizistin Michèle Kiesewetter zu kennen. Er wurde in das Aussteigerprogramm Big Rex aufgenommen und arbeitete mit den Behörden zusammen.

Nach seinem plötzlichen Tod ging die Staatsanwaltschaft von Selbstmord aus und stellte ihre Ermittlungen ein. Florian H. habe sich mit Benzin übergossen und angezündet. Doch seine Familie glaubt nicht an Selbstmord. Vater und Schwester sprachen Montag im NSU-Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg. Sie vermuten, dass Florian H.s Tod mit seinem Wissen über die rechte Szene zu tun hat.

Beim Auffliegen des NSU soll Florian H. in der Familie gesagt haben: „Das ist ein Riesending, da hängen hohe Tiere mit drin, das könnt ihr euch nicht vorstellen“, berichtet die Schwester. Näher habe er sich aber nicht geäußert. Die Familie dürfe nicht mehr wissen, habe er gesagt, da es sonst gefährlich für sie würde. Den NSU-Prozess in München habe er als Farce bezeichnet. Solange vier Namen – der Vater nennt die Vornamen Alexander, Nelli, Matze und Francek – nicht unter Anklage stünden, sei „alles Lüge“: So lange säßen nicht die „echten Mörder“ dort. Diese Aussagen wurden gestern erstmals von einer offiziellen Stelle erfragt. Die Polizei hat die Familie nie vernommen.

Massive Bedrohungen aus der rechten Szene

Florian H. ist nach Angaben des Vaters bei einer Krankenpflegerausbildung 2010 in einem Heilbronner Klinikverbund von Rechtsextremen gezielt abgegriffen worden und hat sich offenbar begeistern lassen. Er sei damals nicht polizeibekannt gewesen, sagt der Vater. Vermutlich deshalb habe er Waffen aus der rechten Szene bei sich im Wohnheim aufbewahren sollen.

Doch im Mai 2011 fällt Florian H. bei einer rechten Demo auf. Die Polizei durchsucht sein Zimmer und beschlagnahmt mindestens eine Schusswaffe. Auch zu Hause soll Florian H. bis zu vier Waffen gelagert haben, dem Untersuchungsausschuss liegen seit gestern sogar Fotos von dieser Sammlung vor. Woher die Waffen kamen, ist unklar. Eine vom Vater konfiszierte Pistole lagert bis heute bei einem Rechtsanwalt, dem er sie übergeben hat.

Ende 2011 wollte Florian H. aus der rechten Szene aussteigen, berichtet die Familie, weil ihm die Gewalttaten, die er erledigen sollte, zu brutal geworden seien. Er arbeitete mit Behörden zusammen und kam ins Aussteigerprogramm Big Rex. Aus der rechten Szene sei er nun massiv bedroht worden. Rund 15.000 Euro seien von ihm gefordert worden, damit er sich freikaufen könne, berichtet der Vater.

Florian H. soll sich immer wieder neue Handynummern zugelegt haben, mindestens fünf Nummern in kurzer Zeit, sagt die Schwester. Aber immer wieder sickerten sie an seine Erpresser durch. Florian H. hat eine Vermutung. Er soll gesagt haben: „Sobald meine neue Nummer bei Big Rex bekannt ist, hängen die Rechten eine Woche später wieder drauf.“ Die Ausstiegshelfer hätten ihn wie eine „Tankstelle“ benutzt, hätten nur Infos abgezapft. Den erhofften Schutz habe er nicht erhalten.

Die Familie habe überlegt, ihm eine Flucht zu ermöglichen. Florian H. habe geantwortet: „Egal, wo ich hingehe, man findet mich.“

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