Kolumne Besser: Meine Mudda gehört zu Deutschland

Eine E-Mail von „Emma“. Oder noch mal zur Islamisierung der Türken und zu Zahlen, die man nicht kennt und die man doch so gerne benutzt.

Adile Naşit in ihrer Paraderolle als strenge und leicht schräge, aber fürsorgliche Mutter bzw. Mudda. Bild: Screenshot: Youtube/Sakar Şakir

Aus einer E-Mail: „Emma macht eine Umfrage bei ein, zwei Dutzend fortschrittlichen Frauen und Männern in Deutschland aus dem muslimischen Kulturkreis. Wir wollen damit dazu beitragen, dass der ‚Dialog‘ zwischen Politik und MuslimInnen nicht länger auf muslimische Verbände beschränkt bleibt, in denen nur Minderheiten organisiert sind, sondern dass dieser Dialog auch mit der Mehrheit der demokratischen MuslimInnen geführt wird. Dafür steht eine Stimme wie die Ihre. Wir würden uns darum sehr freuen, wenn Sie uns (…) auf die zwei folgenden Fragen antworten:

1. Welche Rolle sollten MuslimInnen in Deutschland jetzt spielen bei dem Schulterschluss von DemokratInnen aller Provenienzen gegen den Islamismus in Deutschland und die Terrorismusgefahr?

2. Kanzlerin Merkel hat erklärt: „Der Islam gehört zu Deutschland.“ Stimmen Sie dem zu?“

Nun, von dieser Anrede („Demokratische MuslimInnen“, „Dialog“) fühlte ich mich nicht angesprochen. Andernfalls hätte ich geantwortet:

1. Damit der Schulterschluss ins Rollen kommt und ihn niemand auf die leichte Schulter nimmt, dürfen die Provenienzen ihm nicht die kalte Schulter zeigen, sondern müssen jetzt eine Vorreiter- bzw. Außenseiter- bzw. Frühlingsrolle übernehmen, so dass die Opferrolle auf alle Schultern verteilt werden kann und keine Schultern zucken bzw. keine Köpfe rollen.

2. Meine Mudda gehört zu Deutschland.

Wo diese Sache inschallah ein für allemal geklärt ist, kommen wir dazu, warum ich keine Lust hatte, an dieser „Umfrage“ mitzuwirken – und warum ich diese E-Mail dennoch relevant finde. Es geht dabei weder um Emma noch um mich. Vielmehr ist diese E-Mail exemplarisch für das, wovon an dieser Stelle bereits neulich die Rede war: ein kleines Beispiel dafür, wie in der öffentlichen Wahrnehmung Türken zu Muslimen und Ausländer zu Andersgläubigen geworden sind.

Allah ist mir egal

Denn es gibt keinen – keinen – Text von mir, aus dem man folgern könnte, ich entstammte dem „muslimischen Kulturkreis“. Ich bin in einem katholischen Krankenhaus geboren, habe über den zeitgenössischen Katholizismus geschrieben. Trotzdem würde weder die Emma noch sonst jemand auf die Idee kommen, mich als „demokratischen Katholiken“ nach meiner Meinung zu fragen.

Ich trage nur das Z, Y und Ü im Namen. Diese Buchstaben gefallen mir gut. Allah, sein Prophet und der Prophet sein Buch hingegen interessieren mich zwar als gesellschaftliches und politisches Thema, sind mir persönlich aber völlig egal. Und ungefähr so geht es den meisten meiner türkischen bzw. deutschtürkischen Freunde, ob in Istanbul oder in Berlin.

Sie sind keine „säkularen Muslime“, die sich an der in der Türkei früher amtlichen Auslegung des Islams orientieren oder ihre eigene Definition gefunden haben. Sie sind auch keine Aleviten, jedenfalls nicht im religiösen Sinn, und so betrachtet gibt es unter ihnen auch keine Christen, Juden oder Jesiden. Die meisten in meinem Umfeld stammen aus sozialdemokratischen, kommunistischen, liberalen, kemalistischen, kurdisch-nationalistischen oder sonst wie ungläubigen Familien oder hatten semi-fromme Eltern, die jedoch keinen Wert darauf legten, ihre Kinder religiös zu erziehen oder sie haben irgendwann den Glauben ihrer Kindheit abgelegt. Sie sind Atheisten, Agnostiker oder glauben an eine Form von Transzendenz, ohne sich als Muslime zu begreifen.

Muslim nur für Arschgeigen

Zu Muslimen werden sie allenfalls, wenn irgendwelche Arschgeigen danach fragen – also im Sinne Ilja Ehrenburgs, der mal sagte, solange es Antisemitismus gebe, sei er Jude (womit nicht gesagt ist, dass die Islamophobie dasselbe ist wie der klassische Antisemitismus, aber wohl, dass es ein spezifisches antimuslimisches Ressentiment gibt.)

Die Zahl von weltweit 1,6 Milliarden Muslimen jedenfalls ist Unfug, da sie auf einer simplen Addition beruht: die Bevölkerung der „muslimischen Länder“ (abzüglich der nichtmuslimischen Minderheiten) plus die ethnischen Minderheiten in anderen Ländern.

Ebenso Unfug ist die amtliche Zahl von 4,3 Millionen Muslimen in Deutschland, die Journalisten gerne übernehmen und welche der Großexperte Thilo Sarrazin auch schon mal auf „fünf bis sechs Millionen“ hochrechnet.

So unklar die wirkliche Zahl, so klar ist, wer ein Interesse daran hat, dass sie möglichst hoch ausfällt: Jene, deren Geschäft in der Verbreitung von Ressentiments besteht, und jene, die beanspruchen, für die Muslime zu sprechen. Blind unterstützt werden sie von Leuten, auf deren privaten Geburtstags- oder Silvesterfeiern man keine Zetts, Ypsilons und Üs trifft, weil sie, außer vielleicht ihren Gemüse-Ali, keine kennen. Sonst würden sie nicht so blöd fragen.

Besser: Wir wiederholen das Wichtigste: #Meine MuddaGehörtZuDeutschland.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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