Schriftstellerin Gertraud Klemm: „Immer 'aber' sagen“

In „Aberland“ zeigt die österreichische Autorin Gertraud Klemm, wie die moderne Frau in uralte Fallen tappt.

„Frauen wollen keine Raketen steuern“, sagt Gertraud Klemm Bild: Rois & Stubenrauch

taz: Frau Klemm, Sie haben beim letzten Bachmannpreis einen Auszug aus Ihrem nun erscheinenden Roman „Aberland“ gelesen, in dem eine Frau an ihrem Dasein als Mutter verzweifelt. Von einem männlichen Juror wurde Ihnen entgegnet, die geschilderte Familienkonstellation erscheine ihm „völlig normal“ und ihr Text sei eine unangenehm berührende „Frauenzeitschrift-Aufschrei-Befreiungsprosa“. Hat Sie das wütend gemacht?

Gertraud Klemm: Na ja, man weiß ja, wo das herkommt, daher war ich nicht sonderlich überrascht. Er sagte eben das, was schon Millionen Männer vor ihm gesagt haben, die nicht mittendrin gewesen sein können. Jede Frau, die die Mutterschaft erlebt hat, auch wenn sie wirklich glücklich dabei war, weiß, dass es in den ersten Jahren die Hölle sein kann. Das muss man wahrnehmen und aussprechen können. Zudem ist eine unangenehme Berührung des Lesers auch eine Berührung und ein Zeichen, dass ein Text funktioniert.

Sie konfrontieren Ihre Figuren teilweise heftig mit der ungerechten Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern. Gibt es Frauen, die sich von Ihren Erzählungen angegriffen fühlen?

Definitiv. Ich habe das Gefühl, dass sich Menschen vor allem dann angegriffen fühlen, wenn man ihren Lebensplan entlarvt. Wenn eine Frau sich ihr Leben lang aufgeopfert hat für ihre Kinder, immer Abstriche gemacht hat im eigenen Leben, dann werden die Kinder irgendwann ausziehen, sind total undankbar, und sie ist plötzlich ganz allein. Sie hat keine beruflichen Aussichten und einen sehr langen Tag, der irgendwie gefüllt werden muss. Irgendwann kümmert sie sich um die Enkelkinder oder pflegt jemand Älteres.

Die Schriftstellerin, geb. 1971 in Wien, hat Biologie studiert und zunächst als Trinkwasserkontrolleurin gearbeitet. Seit 2006 ist Klemm als Autorin und Schreibpädagogin tätig. Für ein Kapitel aus „Aberland“ gewann sie bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt 2014 den Publikumspreis.

Ihr Roman „Aberland“ erscheint am 6. Februar bei Droschl (184 Seiten, 19 Euro). Wie schon der Vorgänger „Herzmilch“ (Droschl, 2014) beschäftigt sich „Aberland“ mit Geschlechterrollen im gutbürgerlichen Milieu. Für das Hadern mit der Mutterrolle findet Klemm teilweise seitenlange wutentbrannte Sätze, die mit naturkundlichen Sprachbildern arbeiten. Der Roman ist einer von elf ausgewählten Stoffen, die am 11. Februar bei dem moderierten Pitching „Books at Berlinale“ internationalen Produzenten zur Verfilmung angeboten werden.

Diese Frauen, die stets in einem dienenden Verhältnis sind, fühlen sich von mir angegriffen, weil ich sie im Text noch einmal entwerte. Andere stimmen mir aber auch zu.

Ist es denn nicht so, dass Sie Hausarbeit als demütigend beschreiben?

Nein, ich sage, dass der volkswirtschaftliche Wert von dem, was diese Frauen leisten, sehr hoch ist. Aber solange nur Frauen die Haus- und Erziehungsarbeit machen und solange wir in einem kapitalistischen System leben, wird diese Arbeit nicht bezahlt und somit nicht bewertet. Es wird einfach davon ausgegangen, dass die Frau diese Arbeit gerne gratis macht.

Eine der beiden Protagonistinnen in „Aberland“, die promovierende Biologin Franziska, landet in der traditionellen Mutter- und Hausfrauenrolle, die sie immer verachtet hat. Woran ist sie gescheitert?

Ich würde Franziska nicht unbedingt als gescheitert bezeichnen. Ich wollte die Schaltstellen zeigen, an denen Frauen falsche Lebensentscheidungen treffen können, und Franziska entscheidet sich eben an mehreren Stellen nicht sehr intelligent. Zum Beispiel lässt sie sich von ihrem Partner zu einem zweiten Kind überreden, obwohl sie nach dem ersten Kind schon genug hatte. Die zweite Fehlentscheidung ist, dass sie nach dem Studium nicht gleich arbeiten geht, sondern erst mal ganz gemütlich eine Dissertation anfängt. Sie nimmt sich in ihrer Funktion als Geldverdienerin nicht ernst.

Ist die 50/50-Aufteilung der Kindererziehung wirklich so unrealistisch, wie Sie es in „Aberland“ schildern?

Ich glaube einfach, dass die Bereitschaft, ernsthaft Geld zu verdienen, bei Männern hundertprozentig ist und bei Frauen vielleicht fünfzig Prozent. Die restlichen fünfzig Prozent sind Mama-Reserve. Das Bedürfnis, sich fortzupflanzen, zieht sich durch alles: Frauen wollen schön sein, sie wollen nicht träumen, keine Raketen steuern und nicht Geld verdienen müssen. Eigentlich müsste der Fortpflanzungsprozess mit dem Arbeitsprozess kompatibel sein.

Doch in Österreich ist es zum Beispiel sehr gängig, dass man mit einem Brief vom Gynäkologen frühzeitig in den Mutterschutz geht. Der Freibrief als Einstieg zum Ausstieg. Und wenn es dann so ist, dass einer in der Familie von Anfang an dafür da war, um auszufallen – und das ist eben die Frau –, dann zieht sich das so weiter: unbezahlte Arbeit Frauen, bezahlte Arbeit Männer. Diese Aufteilung unterstützt der Staat extrem. Unser Steuersystem, das Arbeitsrecht und unsere Gesellschaft sind darauf aufgebaut.

Und was hilft dagegen? Wie befreit man sich aus diesen Rollen?

Die einzige Rettung ist meiner Meinung nach, die Männer mehr in die Pflicht zu nehmen und sie aus ihrer Unersetzbarkeit als Ernährer zu befreien. Es muss doch auch mal ein Mann sagen können: Ich muss den Klienten jetzt fallen lassen, weil ich die Kinder abholen muss, meine Frau hat einen Termin. Zudem müssen Frauen lernen, zu sagen: Es ist mir egal, ob das Haus versifft ist, ob euch schmeckt, was ich koche, oder ob eure Kleidung gebügelt ist. Das ist die große Lüge der bürgerlichen Existenz: dass man denkt, es sei alles in Ordnung, wenn alles schön und glatt ist.

Was ist das für ein Land, das „Aberland“, von dem im Romantitel die Rede ist?

Das „Aberland“ ist eine Metapher für diese ständige Beschneidung der Möglichkeiten. Immer müssen die Frauen „aber“ sagen. Das ist eine Form, in die man hineingeboren wird. Es ist einfach genetisch vorprogrammiert, das wird vorgelebt, das wird vererbt und man kann dem kaum entkommen. Für mich spricht leider vieles dafür, dass sich seit den 70er Jahren nicht sonderlich viel geändert hat für die Frauen. Sie sind immer noch nicht in den Aufsichtsräten, sind im Vermögen benachteiligt, sie machen immer noch die ganze Drecksarbeit, werden immer noch Opfer von Gewalt.

Das klingt sehr traurig. Sie sind studierte Biologin, gleichzeitig feministische Schriftstellerin und sprechen davon, dass Frauen unterdrückt werden, weil das genetisch so vorprogrammiert sei. Ist das eine Kapitulation vor der Biologie?

Nein. Das ist die kapitalistische Realität. Die Konsequenz daraus ist die Notwendigkeit, gegen den Strom zu schwimmen. Und das ist eine tägliche Angelegenheit, die in allen Generationen und auf allen Ebenen parallel erfolgen muss. Es gibt grundsätzlich eine biologische Ungerechtigkeit, ja, aber das ist nicht das ganze Problem. Ich habe zum Beispiel keine biologischen Kinder, ich habe zwei Kinder adoptiert. Ich bin eine sehr glückliche Mutter und liebe meine Buben.

Aber als Mutter sehe ich nun, wie die Gesellschaft alles dafür tut, damit das Ganze so weitergeht wie bisher. Bei jeder Kleinigkeit sehe ich mich strudeln, bei Kleidung, Fernsehen, Spielzeug, Essen, bei dem, wie die Kinder sprechen. Man merkt richtig, dass die Kinder in der Umgebung, in der sie aufwachsen, automatisch zu kleinen Machos werden – wenn man nicht ständig dagegenhält.

Wie meinen Sie das, dass sie zu „kleinen Machos“ werden?

Es gibt diese eine Szene in „Aberland“, die ich aus meinem eigenen Alltag kenne: Ein Dreijähriger schaut mich an und sagt: „Geschirrspüler einräumen, das machen nur die Frauen.“ Da habe ich gedacht, offensichtlich hat mein Kind so viel öfter Frauen gesehen, die das tun, dass es einfach glaubt, das sei richtig. Wenn man neue Normen durchsetzen möchte, macht man sich ständig unsympathisch. Den Kindern gegenüber, dem Ehemann, der Lehrerin, den Schwiegereltern … Das ist ein sehr steiler Weg. Ich kann verstehen, dass viele Frauen das nicht wollen, aber eigentlich ist es unverzeihlich.

Aber den traditionellen Weg zu gehen, als Mutter und Hausfrau, ist auch kein leichtes Unterfangen.

Nein, gar nicht. Als wir unser erstes Kind bekommen haben, war mein Mann viel im Ausland. Das war ein Albtraum für mich, ganz allein für das Kind zuständig zu sein. Ich habe mir immerzu gesagt: Das ist keine Hexerei, das machen Milliarden von Frauen. Aber es stimmt nicht. Es ist Hexerei, zehnmal in der Nacht aufzustehen und am nächsten Tag noch zu funktionieren. Einem Kind eine angeschissene Windel zu wechseln, dabei getreten zu werden und das nicht persönlich zu nehmen.

Die andere Protagonistin, Elisabeth, ist deutlich älter als Sie. Sie beschreiben aber sehr eindrücklich ihre Gedanken, ihr Körpergefühl, ihre Sexualität. Wie fühlen Sie sich in so jemanden hinein?

Erstens sind es Beobachtungen am eigenen Körper, die man einfach weiterdenkt. Zum Beispiel diese zunehmende Abwertung des Körpers mit steigendem Alter, das kann man sich mit 40 plötzlich sehr gut vorstellen, also besser als mit 30. Und zweitens habe ich sehr viel auf dieser Nacktbadeterrasse gelegen, die im Roman vorkommt. Das war unglaublich dort, ich fand so viel Material, allein diese Gespräche, die die Frauen dort führen. Ich bin danach sofort nach Hause und habe angefangen zu schreiben. Das habe ich dann einfach ein paar Tage wiederholt, und danach war ich schon satt für ein Buch.

Sie werden oft mit österreichischen AutorInnen wie Thomas Bernhard, Marlene Haushofer und Marlene Streeruwitz verglichen. Ist das die Tradition, in der Sie sich selbst auch sehen?

Ja, und ich glaube, das hat etwas mit dem Beleidigtsein zu tun. Der Österreicher an sich ist gern gekränkt und fühlt sich benachteiligt. Österreich-Ungarn war riesig, und jetzt haben wir dieses kleine, bedeutungslose Bergland mit NS-Vergangenheit, das nie eine Revolution hatte. Nichts ist richtig aufgearbeitet worden, und das schlägt sich natürlich in der Sprache und Literatur auch nieder.

Dazu kommt, dass der österreichische Buchmarkt ein geförderter Markt ist. Es kann mehr experimentiert werden als etwa in Deutschland, wo alles gut verkauft werden muss. Das ist natürlich schön, denn der Österreicher kotzt sich gerne aus. Ja, ich denke, in Österreich kommt dir einfach schneller die Galle hoch als in Deutschland.

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