Houellebecqs Buchvorstellung in Köln: Von der Müdigkeit einer Gesellschaft

Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq besteht darauf, mit „Unterwerfung“ keinen islamophoben Roman geschrieben zu haben.

Der französische Schriftsteller wurde in Köln wie ein Orakel über die gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustände befragt. Bild: ap

Schade, dass er nicht selbst gelesen hat, gern auch das französische Original. Michel Houellebecq stand tapfer Rede und Antwort, da gab es nichts zu meckern. Aber das hätte man an diesem interessanten, vielschichtigen, in manchem schrägen, einen in manchem aber auch ratlos zurücklassenden Abend halt auch noch gern gewusst: wie der französische Schriftsteller, der gern mal als Kult-, mal als Skandalautor bezeichnet wird, eigentlich seinen eigenen Text interpretiert. Ob er ihm etwas Raunendes gibt, etwas Atemloses oder aber etwas im Kern Müdes.

Trotz all der Aufregung, die nun schon um den neuen Roman „Unterwerfung“ entstanden ist (die Auflage der deutschen Übersetzung bewegt sich schon im Bereich von einer Viertelmillion Exemplaren) –, auf das im Kern Müde hätte man getippt. Wobei Houellebecq, zumindest im Vergleich zu den letzten Videos, die von ihm kursierten, unter seinem atemberaubenden Seitenscheitel erstaunlich frisch aussah.

Man hatte sich ja wirklich Sorgen gemacht. Nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo, deren aktuelle Ausgabe zum Zeitpunkt des Mordüberfalls eine Karikatur Houellebecqs zeigte, hat sich der französische Schriftsteller erst einmal aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Unter den Ermordeten befanden sich Bekannte und Freunde von ihm.

Klar, dass die Umstände nun seinem einzigen öffentlichen Auftritt, Montagabend im Depot 1, dem Ausweichquartier des gerade in Renovierung befindlichen Kölner Schauspiels, etwas Ereignishaftes gaben. Auf diesen an gepflegter Außendarstellung so erkennbar desinteressierten Autor ging zu Beginn der Veranstaltung ein gewaltiges Blitzgewitter hernieder. Houellebecq ließ es stoisch über sich ergehen. Aber um ihn herum: Aufregung, große Erwartungen.

Vor lauter Erschöpfung gleichmütig

Der Kölner Theaterschauspieler Robert Dölle las an dem Abend Partien der deutschen Übersetzung. Er tat das gut und wie versierte deutsche Vorleser das halt tun – gefasst, mit durchdringender dunkler Hörbuchstimme. Man hörte ihm gern zu. Und doch verdeckte gerade das Wohltemperierte des Vortrags eben etwas Entscheidendes an dem Text.

Er handelt nicht nur von gesellschaftlicher Erschöpfung, die Erschöpfung ist ihm eingeschrieben. In der Ich-Perspektive berichtet hier ein abgehalfterter französischer Jedermann im Grunde ebenso gleichmütig vom besten Sex seines Lebens wie indolent von Erschossenen, die er bei einem Tankstopp an der Autobahn vorfindet. Und zwischendurch wird immer viel gegessen und getrunken.

Mit einer emotional durchfühlten Geschichte hat das nichts zu tun. Mit einem deftig vorangetriebenen Plot auch nicht. Schon sind in den sozialen Medien viele Stimmen zu vernehmen, die feststellen, dass der Roman gar nicht so skandalös sei, wie sie das jetzt erwartet hätten. Tja. Wenn man schon so will, das Graue der Erzählstimme ist das literarisch Aufregendste an diesem neuen Roman, der nicht nur von katastrophalen Ereignissen eines Bürgerkriegs in der neuen Zukunft berichtet, sondern selbst wie schon nach der Katastrophe geschrieben klingt.

Überhaupt war der Kölner Auftritt gespickt mit ambivalenten Eindrücken. Kaum hatte man sich entschlossen, Houellebecq aufgrund eines herzerweichenden Lächelns, das er der wackeren Simultanübersetzerin schenkte, einfach auch mal schlicht sympathisch zu finden, da haute er einen Satz raus, der einem den Atem stocken ließ. Einer solcher Sätze behauptete, dass das Patriarchat immerhin sozial funktioniert habe (was man von der Selbstverwirklichung nicht behaupten könne), und diese Aussage bezog sich jetzt nicht nur auf eine Figurenperspektive aus dem neuen Roman. Die 68er haben für ihn wirklich alles schlimmer gemacht.

68er-Fresser, aber kein rechter Reaktionär

Ein anderer dieser Sätze verknüpfte Gesellschaftsbetrachtung mit Biologie und handelte davon, dass die Bevölkerungsgruppe mit den meisten Kindern selbstverständlich auch ihre Werte durchsetzen wird, vorausgesetzt, sie kriegt das Bildungssystem unter ihre Kontrolle. Mit solchen zum Teil kruden Darwinismen operiert Houellebecq als Autor wirklich. Um sich im nächsten Moment auf eine unverbindliche Künstlerposition zurückzuziehen. Die Literatur ermögliche ihm halt, verschiedene Leben zu führen, und ansonsten, begleitet von der Andeutung eines Lächelns: Was wisse er schon.

Der Feuilletonjournalist Nils Minkmar von der FAZ moderierte den Abend. Er hat sich entschlossen, Houellebecq als eine originäre Quelle, fast wie ein Orakel über die gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustände zu befragen. Gerade hat man schon begonnen, sich darüber zu wundern, wie beflissen Houellebecq dieses Spiel mitspielt, da zündet der sich auf offener Bühne erst mal eine Zigarette an.

Und gerade hat man als Zuschauer das Komödiantische dieser Rauchperformance sacken lassen, da nuschelt Houellebecq, grazil die Zigarette in Händen, dann wirklich bedenkenswerte Sätze über den Front National heraus. Dass es dieser Partei nämlich gelungen sei, nacheinander alle Protestbewegungen Frankreichs zu vereinnahmen und dass ihre ultimative Waffe in der Nostalgie eines unabhängigen Frankreich bestehe, unabhängig von Migranten, von der EU, den USA. Houellebecq mag ein 68er-Fresser sein, aber ein rechter Reaktionär ist er deshalb noch lange nicht.

Wohlformuliertes Bekenntnis

An einem Punkt war Houellebecq in Köln denn auch sehr deutlich und klar, in einer Art Erklärung, in der er sich gleich zu Beginn auf die Debatten rund um Charlie Hebdo und seinen Roman bezog. Er verwahrte sich davor, mit „Unterwerfung“ einen islamophoben Roman geschrieben zu haben – verteidigte im gleichen Atemzug aber das Recht dazu, einen islamophoben Roman zu schreiben. Scharf wandte er sich gegen alle Kommentatoren, die in ihre Empörung über den Anschlag ein relativierendes Aber einbauen. Und er formulierte ein Plädoyer für die Freiheit der Kunst, die, um neues Denken zu ermöglichen, auch verantwortungslos sein muss.

Bei allen Ambivalenzen und satirischen Doppelbödigkeiten, zu denen dieser Autor fähig ist: In einem wohlformulierten Vortrag lieferte er hier so etwas wie ein Bekenntnis. Und hat damit vor allem auch recht. Tatsächlich verfehlt, wer „Unterwerfung“ hauptsächlich auf Islamophobie liest, das eigentlich Brisante an diesem Roman, der im Kern auf ein düsteres Bild der liberalen Gesellschaft im Ganzen zielt.

Nicht dass eine islamische Partei den Präsidenten stellt, den gesellschaftlichen Laden übernimmt und eine sanfte, gleichwohl faschistoide Diktatur errichtet, ist der Punkt. Sondern dass sie es zu Recht tut, weil die liberale Mainstreamgesellschaft längst dekadent und verderbt ist. Die liberale Gesellschaft, so die wirklich brisante Erzählperspektive des Romans, schafft sich zwangsläufig selbst ab.

Abendprogramm mit Ambivalenzen

Das ist auch der Punkt, an dem so ein Abend wie in Köln dann eben auch etwas ratlos zurücklässt. So ganz allein steht Houellebecq mit seiner Diagnose ja nicht da. Slavoj Zizek hat gerade eben im taz-Interview auch gesagt, dass sich Liberalismus, sich selbst überlassen, „sich langsam selbst untergraben“ wird. Und ein so besonnener Denker wie Jürgen Habermas geht schon seit längerem davon aus, dass die liberale Gesellschaft religiöse Sinngehalte braucht, zur Absicherung der eigenen Werte.

Zeigt sich in der Houellebeq’schen Müdigkeit so etwas wie die Wahrheit der liberalen Gesellschaft? Ist die liberale Gesellschaft erschöpft? Das, nicht das Islamophobiethema ist die eigentlich interessante Frage dieses Romans, gerade auch für linksalternative Menschen.

Und um es mal so zu sagen: Der Kölner Abend mit Michel Houellebecq ist alles in allem ein gutes Zeichen, dass die gegenwärtige Gesellschaft so erschöpft dann doch nicht ist. Der Abend ließ Raum für Ambivalenzen und Ratlosigkeiten. Auch das muss eine Gesellschaft erst mal hinkriegen. Auf die Freiheit der Kunst kann man sich im Zweifel auch mit solchen Erschöpfungsvertretern wie Houellebecq einigen. Vielleicht hätte dieser, wenn er seinen Roman vorgelesen hätte, auch selbst viel gelacht.

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