Französische Muslime nach Anschlägen: Der Konflikt im Klassenzimmer

In einigen Schulen weigerten sich muslimische Schüler, der Terroropfer zu gedenken. Sie fühlen sich von Mohammed-Karikaturen beleidigt.

Die französische Polizei muss auch Moscheen vor Übergriffen schützen. Bild: reuters

PARIS taz | Nicht überall verlief vor einer Woche die verordnete Schweigeminute für die Terroropfer in feierlicher Stille und Andacht: In Dutzenden Mittelschulen wurde die nationale Einheit im Gedenken durch Murren, Pfiffe und „Allahu Akbar“-Rufe gestört.

Schlimmer noch war es für die Lehrerinnen und Lehrer, dass eine Diskussion oft unmöglich war. Zur Ermordung der Charlie Hebdo-Karikaturisten meinte eine erst Zehnjährige in einer Pariser Grundschule: „Das ist denen nur recht geschehen, das haben sie verdient. Und der Rektor der Moschee ist ein Verräter, der steht auf der Seite der Juden!“

Die Lehrerin, die diesen Vorfall in der Zeitung Canard enchaîné schildert, fühlte sich hilflos angesichts solcher Verbohrtheit. Der Direktor versuchte einen Dialog und hörte daraufhin: „Man hat nicht das Recht, über den Propheten zu spotten. Gott allein entscheidet über Leben und Tod. Er hat den Tod (der Terroropfer) angeordnet …“

Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem will nun den staatsbürgerlichen Unterricht über Toleranz und gegenseitigen Respekt verbessern und vor allem die Pädagogen besser für diese Aufgabe wappnen. Der frühere Minister und heutige Direktor des Institut du Monde Arabe, Jack Lang, warnt aber bereits davor, einfach zusätzliche Unterrichtsstunden zu beschließen.

„Komplott“ gegen Muslime

Vor allem in Berufsmittelschulen der Vororte haben sich ganze Klassen mit einem Boykott der Schweigeminute jede Solidarität für Charlie Hebdo verweigert. „Wir stehen vor einer Mauer der Verständnislosigkeit“, konstatiert in Le Parisien bitter ein Lehrer aus einem Pariser Banlieue. Sein Kollege aus dem Vorort Clichy-sous-Bois berichtet, einige seiner Schüler seien inzwischen sogar überzeugt, dass es sich bei der ganzen Terrorwelle um ein „Komplott“ gegen die Muslime handle.

Mit der Festnahme des „Komikers“ Dieudonné, gegen den wegen Verherrlichung terroristischer Verbrechen ermittelt wird, verhärte sich die Stimmung noch. Ungehört verhallen in diesen Kreisen auch Appelle muslimischer Geistlicher zu Besonnenheit.

Auf dem Sender Radio Beur gab der Imam Abdelali Mamoun zu bedenken: „Man kann sich von den Karikaturen beleidigt fühlen. Aber Charlie Hebdo hat das Recht, anders zu denken als wir und uns zu kritisieren, und das sogar auf beleidigende Weise. Das ist nicht angenehm, aber es ist der Preis, den wir bezahlen müssen, um in Frieden und in einer Demokratie zu leben, in der die Meinungsfreiheit die Regel ist.“

Dem stimmen längst nicht alle seiner Hörer zu. Manche von ihnen protestieren stattdessen über die angeblich neue Beleidigung Mohammeds in der Extranummer von Charlie Hebdo, aber auch über die Strafverfolgung von Provokateuren wie Dieudonné, deren Meinungsfreiheit nicht respektiert werde. Warum dürfe Charlie Hebdo alles sagen, aber Dieudonné nicht?

Mehr antimuslimische Übergriffe

Für die Erzieher im Bildungssektor ist es konsternierend, dass die Jugendlichen nicht begreifen, dass ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen Karikaturen, die sich über Terroristen lustig machen, die im Namen religiöser Phrasen morden, und einem offen antisemitischen Pseudo-Komiker, der schmierige Witze über Millionen Holocaust-Opfer macht. Im Internet häuften sich zudem Sympathiebekundungen für die Attentäter im Stil „Ich bin Kouachi“ etc. Auf Verteidigung von Terrorismus steht in Frankreich eine Höchststrafe von sieben Jahren Haft.

Justizministerin Christiane Taubira hat die Staatsanwaltschaften ersucht, besonders entschlossen vorzugehen bei „rassistischen und antisemitischen Provokationen“, die zu Hass, Diskriminierung, Gewalt und Terrorismus anstiften. Das gilt auch für die antimuslimischen Aggressionen, die sich seit acht Tagen noch häufen. Das Innenministerium spricht von mehr als 20 gravierenden Vorfällen: Schüsse, Sprengstoff- und Brandanschläge auf Moscheen. Hinzu kommen persönliche Bedrohungen und Belästigungen, aber auch zahlreiche Schmierereien mit Hakenkreuzen und islamophoben Slogans, und in Korsika wurde ein Schweinskopf vor den Eingang eines Gebetssaals in Corte geworfen.

Der Französische Rat der Muslime hat darum die Regierung ersucht, die Moscheen unter Polizeischutz zu stellen – wie dies bereits für die 717 Synagogen und jüdischen Schulen der Fall ist. In einem Forum erinnerte am Donnerstag Staatspräsident François Hollande daran, dass die Muslime in der Welt „als Erste Opfer des Fanatismus, Fundamentalismus und der Intoleranz sind“. Der radikale Islamismus, dem der Staatspräsident an Tag zuvor in Frankreich und in der Welt den „Krieg“ erklärt hatte, finde seinen Nährboden „in den Widersprüchen, im Elend, in der Ungleichheit und all den seit Langem ungelösten Konflikten“, räumte er ein.

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