Schlupfloch für Monokulturen: Zum Acker gemacht

Zum Jahresende brauchten sich Niedersachsens Bauern das Umpflügen von Wiesen und Weiden nicht mehr genehmigen zu lassen - dem Artenschutz zum Trotz.

Fielen dem Pflug zum Opfer: Wiesen und Weiden in Niedersachsen. Bild: dpa

HAMBURG taz | Zum Jahresende gab es für die niedersächsischen Landwirte einen Freibrief. Knapp zwei Wochen lang durften sie ohne Genehmigung Land unter den Pflug nehmen. Landauf landab verwandelten sich nach Beobachtung des Naturschutzbundes (Nabu) über die Feiertage artenreiche Wiesen und Weiden in monotone Sturzäcker, die im Frühjahr mit Raps oder Mais bebaut sein werden.

Das Grünland, dort wo die Bauern nicht ackern, ist bundesweit unter Druck: Wer kein Milchvieh hat, kann damit nichts anfangen, und mit einem Acker lässt sich wesentlich mehr Geld erwirtschaften, was sich daran zeigt, das Äcker ungefähr doppelt so teuer sind wie Gründland.

Nach einem Report des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) vom vergangenen Sommer hat sich das Grünland in Deutschland seit 1990 um 16 Prozent verringert. Zudem habe sich die Qualität dieser Flächen verschlechtert: Häufig gemähte und und gedüngte Wiesen sind auf Kosten biologisch vielfältigerer Flächen ausgedehnt worden.

Es spricht viel dafür, dass das Schwinden des Grünlandes fatale Folgen für die Vielfalt hatte, denn zum Grünland gehören ungedüngte Wiesen, Feuchtwiesen, Magerrasen und Streuobstwiesen. Mehr als zwei Drittel aller Farn und Blütenpflanzen wachsen laut BfN vor allem dort. Verschwinden sie, schrumpft das Nahrungsangebot für Bienen und Schmetterlinge. Auch haben Zählungen ergeben, dass bei Vogelarten, die auf Wiesen und Weiden brüten, der Bestand stark geschrumpft ist: beim Kiebitz in den vergangenen 20 Jahren um drei Viertel, bei der Uferschnepfe um die Hälfte.

Als Grünland werden vielfältige, nicht unter den Pflug genommene Flächen bezeichnet.

Seit 1990 ist ihr Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche um 16 Prozent zurück gegangen.

Steuern lässt sich nur das Umbrechen von Grünland, für das Agrarsubventionen von der EU bezogen werden - es sei denn, es handelt sich um besonders geschützte Gebiete.

Von 2003 bis 2012 ist in Niedersachsen der Anteil des Grünlands an subventionierten Flächen um 5,3 Prozent zurückgegangen. Ende 2013 waren es rund 4,9 Prozent.

Der Rückgang ist auch fatal mit Blick auf den Kohlendioxid(CO2)-Ausstoß Deutschlands und damit den Klimawandel. Zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche – vor allem Grünland – speichert laut BfN 35 Prozent des CO2. Wird es neu angelegt, speichert es jedoch nur noch halb so viel, wie bei einem Umbruch frei gesetzt wird.

Dass das Umbruch-Verbot in den letzten Tagen des Jahres 2014 aufgehoben wurde, liegt daran, dass nach der einschlägigen Verordnung des Landes sich das Grünland im Vergleich zu 2003 höchstens um fünf Prozent verringern darf. Wird dieser Wert überschritten, müssen sich Landwirte, die Agrarförderung der EU in Anspruch nehmen, den Umbruch genehmigen lassen und einen Ausgleich schaffen. Die Statistik ergab im Dezember 4,89 Prozent – Start frei für die Trecker. Der SPD-Landtagsabgeordnete Wiard Siebels aus Aurich sah sich als agrarpolitischer Sprecher seiner Fraktion veranlasst, dies als „ein positives Signal an die Landwirte“ per Pressemitteilung zu verbreiten – nicht ohne die Bitte, „dieses Instrument zurückhaltend zu nutzen“.

Der Nabu findet das enttäuschend: „Es ist schon traurig genug, dass das Landvolk die Landwirte eindrücklich auf die Umbruch-Möglichkeit hingewiesen hat“, kritisierte der Landesvorsitzende Holger Buschmann. „Eine öffentliche Ankündigung aus der SPD-Regierungsfraktion heraus ist aber untragbar.“ Darin stecke eine fatale Botschaft für die angeblich angestrebte naturverträgliche Agrarpolitik der rot-grünen Koalition in Hannover.

Wie sich die Aufhebung des Umbruch-Verbots konkret auswirkte, hat der Kreisvorsitzende des Nabu Rotenburg / Wümme, Roland Meyer, vor Weihnachten erlebt. In Stelle bei Posthausen seien 15 Hektar trockene Wiese untergepflügt worden. Rund 300 singenden Männchen der Feldgrille hat der Nabu dort gezählt. Die Feldgrille ist in Niedersachsen vom Aussterben bedroht. Im östlichen Tiefland gilt sie als stark gefährdet.

Nach Meyers Beobachtung hat der Landwirt um die beiden Biotope auf dem Areal herum gepflügt – einen kleinen Trockenrasenhang und ein Feuchtbiotop – und somit dem Gesetz Genüge getan. „Wenn der Umbruch rechtens gewesen sein sollte, zeigt das nicht, dass alles in Ordnung ist“, sagt Meyer. „Sondern es zeigt, wie schlecht einige Lebensräume und Arten in Deutschland geschützt sind.“

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