Kolumne Der rote Faden: Die simulierte Revolution

Die AfD macht einen Witz, das christliche Abendland beschimpft Pastorentöchter und Pegida gab es vor zehn Jahren schon. Ein Wochenrückblick.

Diese Frau spricht wieder mal über Menschen, die sie nicht kennt Bild: dpa

Die „Alternative für Deutschland“ ist eine subversive Partei. Alexander Gauland, einer der stellvertretenden Parteichefs, hat nach der Neujahrsansprache von Angela Merkel gesagt, die Kanzlerin habe die Pegida-Demonstranten von oben herab behandelt, weil sie Menschen kritisiert habe, die sie gar nicht kenne. Großer Scherz. Schließlich ist es das Prinzip der Pegida-Bewegung, sich mit Menschen zu befassen, die sie nicht kennt: Einwanderern, Muslimen.

Vielleicht sollten sie sich mal kennenlernen. Geflüchtete Syrer und Pegida-Organisator Lutz Bachmann setzen sich zusammen und reden, Angela Merkel kommt für ein, zwei Stunden auch vorbei, und wenn sie wieder zum Flieger muss – Termine, Termine –, vertreten sie Thomas de Maizière oder Horst Seehofer: ein runder Tisch wie bei der Revolution 1989, in deren Tradition sich die Demonstranten in Dresden gerne sehen.

Die Flüchtlinge dürften sich dabei allerdings recht einsam vorkommen. Die mitregierende CSU kaspert gerade ab, wie sich Asylbewerber leichter abschieben lassen.

1989 setzten sich Menschen, die verfolgt wurden, mit denen zusammen, die sie verfolgen ließen, und verhandelten über die Zukunft. Das war menschliche Größe. Wie klein erscheint dagegen der Versuch der Pegida-Protestierenden, sich als Machtlose und Verfolgte zu inszenieren, während jene an der Macht Politik in ihrem Sinne machen.

Journalisten entdecken ein paar Nazis

Auf ihrer letzten Veranstaltung 2014 zitierten die Pegida-Organisatoren in Dresden ausschließlich Politiker der Regierungsparteien. Horst Seehofer mit seinem Siebenpunkteplan von 2010 zum Beispiel. Der CSU-Chef wollte eine deutsche Leitkultur mit „christlich-jüdischen Wurzeln“. Damit könne man sich anfreunden, sagte der Redner. Applaus.

Seitenweise wurde danach aus dem Buch des Bürgermeisters von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), vorgelesen. Der Mann schaut gerne Frauen von seinem Rathausfenster aus nach und macht sich Sorgen über ihre Klamotten. Zu viel Kopftuch. Die Vorleserei war bestürzend langweilig, das merkten auch die Demonstranten – „ey, haben wir jetzt hier Lesestunde oder was?“, „wer ist dieser komische Bürgermeister?“ –, aber sie klatschten lustlos und harrten aus. Das soll 1989 sein? Eine Revolution?

Zugleich galten an diesem 22. Dezember den PolitikerInnen aus CDU und SPD auch die gröbsten Schimpfreden. Als Pfaffen oder Pfaffenkinder werden Angela Merkel, Joachim Gauck und Christoph Matschie geschmäht; und das im christlichen Abendland. Eigentlich ein nicht aufzulösender Widerspruch, oder?

Weil der Mauerfall vor ein paar Wochen 25 Jahre her war, konnte man sich noch einmal an all die Versuche erinnern, mit der Chiffre Montagsdemonstration einen Protest zu veredeln. Zuletzt gelang das erfolgreich vor zehn Jahren – ebenfalls im Osten, ebenfalls im Herbst, ebenfalls in einer Stadt, die am gefühlten Rand des Landes liegt: in Magdeburg. Den Organisator, Andreas Ehrholdt, kannte niemand. Wer erinnert sich noch? Es wurde „Wir sind das Volk“ gerufen, Journalisten entdeckten ein paar Nazis, Politiker der Regierung meckerten, die Demonstranten dürften den Begriff Montagsdemonstration nicht verwenden, woraufhin die ihn um so lustvoller benutzten.

Man wäre so gern 1989, ist aber leider nur 2014

Es ging gegen Hartz IV damals, das Anliegen mag Linken sympathischer sein, aber der Protest hatte das gleiche uneindeutige „Wir gegen die da oben“ wie heute. In Dresden wurden die Demonstranten bisher nur mit zwei Rufen wirklich laut: „Wir sind das Volk“ und „Lügenpresse“. Diese Äußerungen der Wut brüllen alle mit, auf diesen gemeinsamen Nenner lassen sich Magdeburg 2004 und Dresden 2014 bringen.

Und darauf, dass die – so drücken es viele Demonstranten aus – „Politdiktatur“ endlich ein Ende haben müsse. Diese Protestierenden haben von 1989 eines gelernt: dass man die politische Klasse nur genug herabwürdigen müsse, um sie zu beseitigen. In der DDR war, an Wahlen, der Simulation von Politik, nicht teilzunehmen, ein subversiver Akt. Die Honeckers und Mielkes wurden verachtet. Die Revolution begann mit Liebesentzug.

Nur ist die BRD nicht die DDR. Auch wenn die Demonstranten in Dresden behaupten, sie lebten in einer Diktatur, wissen sie, dass das nicht stimmt. Sie wissen, dass Politik anders als im Realsozialismus nicht simuliert, sondern von den Gewählten gemacht wird. Deshalb dieser seltsame Spagat zwischen der Ablehnung alles Politischen, weil man so gerne 1989 wäre, und der Ranschmeiße an die Mächtigen, weil nun einmal 2014 (beziehungsweise 2015) ist.

Und während dieser Simulation von Revolte treiben führerlose Frachter mit Hunderten Flüchtlingen gen Europa. Kein Scherz.

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Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.

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