Kommentar Agentin in Rote Flora: Voller Körpereinsatz

Die verdeckte Ermittlerin Iris P. soll in der linken Szene in Hamburg auf eigene Faust gehandelt haben. Das ist leider total unglaubwürdig.

Sehen so verdeckte Ermittlungen aus? Bild: reuters

Seit einem Monat sorgt der Einsatz der verdeckten Ermittlerin Iris P. alias „Iris Schneider“, die die linke Szene Hamburgs sechs Jahre lang ausspioniert haben soll, für Aufsehen. Inzwischen fühlt sich auch der SPD-Senat genötigt, aufzuklären, was zwischen 2000 und 2006 passiert ist. SPD-Innensenator Michael Neumann hat eine Ermittlungsgruppe aus Innenbehörde und Landeskriminalamt (LKA) einsetzen lassen.

Es stehen Grundrechtseingriffe wie die in die Rundfunkfreiheit und die des Redaktionsgeheimnisses sowie weitere Rechtsverstöße im Raum. So musste der Innensenator vor dem Innenausschuss der Hamburger Bürgerschaft einräumen, dass die Staatsschützerin Iris P. als doppelte Agentin im „Parallel-Einsatz“ eingebunden war – sie war sowohl im Auftrag des Bundeskriminalamtes als verdeckte Ermittlerin des LKA 8 Staatsschutz zur Strafverfolgung tätig, als auch für das LKA 8 zur Gefahrenabwehr als verdeckte Aufklärerin und "Beamtin für Lagebeurteilung" linke Zusammenhänge.

Eine unfassbare Konstellation. Denn als „Ermittlerin“ musste Iris P. damals laut Ermittlungsrichter personenbezogene Daten sammeln und durfte zu diesem Zwecke auch Privatwohnungen betreten, was ihr als verdeckte „Aufklärerin“ hingegen verwehrt ist. Wenn die Hamburger Behörden jetzt behaupten, die heute 41-Jährige und ihr persönlicher Einsatzführer (VE-Führer) vom LKA 8 hätten damals bei dieser Rechtskonstruktion penibel selektieren, d.h. praktisch unterscheiden können, welche gewonnenen Erkenntnisse und Personendaten nun ihrem genauen Zweck zugeführt werden konnten, ist weltfremd.

Dafür bräuchte „Iris Schneider“ wohl eine weitere Persönlichkeitsspaltung, die sie ja ohnehin schon haben musste. Schließlich hatte sie sich äußerst intensiv und mit vollem Körpereinsatz in die linke Szene eingebracht. Iris P. hatte sich von 2003 an im linken Radio „Freies Sender Kombinat“ (FSK) engagiert und ist in der Szene Liebesbeziehungen eingegangen.

Auf Distanz

Die federführenden Ermittlungsbehörden sind auf Distanz gegangen und haben erklärt, das Radio-Engagement und die Liebesbeziehungen nicht angeordnet zu haben. Auch sollen sie vom „VE-Führer“ des LKA 8 in Hamburg nicht informiert worden sein. Das klingt noch plausibel. Aber wenn das LKA Hamburg dasselbe behauptet, und der Polizeipräsident erklärt, „solche Mittel“ nicht einzusetzen, mag das auch noch für die Gegenwart zutreffen. Dass der „VE-Führer“ von all dem über die Jahre nichts gewusst haben soll, bleibt aber höchst unglaubwürdig.

Nein, hier ist ein mindestens fünfjähriger Undercover-Einsatz des LKA 8 im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm aus dem Ruder gelaufen. Und jetzt soll die bislang größte Staatsschutzaffäre der Polizei Hamburg vertuscht und die damals verantwortlichen Innensenatoren wie der heutige SPD-Bürgermeister Olaf Scholz oder sein damaliger Nachfolger als Senator, der Rechtspopulist Ronald Schill, möglichst gedeckt werden.

Die Ermittlerin Iris P. wird so – lange nach Einsatzende – gleich noch einmal funktionalisiert. Nämlich als spätes Bauernopfer.

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Jahrgang 1956, Seit 1983 bei der taz – zuerst bei der taz.hamburg und jetzt bei der taz.nord in Hamburg. Ressorts: Polizei, Justiz, Betrieb und Gewerkschaft. Schwerpunkte: Repression, progressive Bewegungen und Widerstand gegen Gentrifizierung

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