Filmstart „Nightcrawler“: Dienstleister des Bodensatz-TV

Jake Gyllenhaal spielt in „Nightcrawler“ einen soziopathischen Aasfresser des Spätkapitalismus, der den Medien Bilder von Unfalltoten liefert.

Lou (Jake Gyllenhaal) hat eine mediale Persönlichkeitsstörung. Bild: Concorde Filmverleih

„Nightcrawler“, das klingt nach einem wirbellosen Tier am unteren Ende der Nahrungskette. Eine Spezies, die sich von dem ernährt, was höher entwickelte Arten für die Schmarotzer im Ökosystem übrig lassen. Die Assoziationen sind wenig schmeichelhaft. Lou Bloom ist so ein bottom feeder, ein Aasfresser des Spätkapitalismus. Lou lebt buchstäblich vom Überschuss der Konsumgesellschaft, sein Jagdrevier ist die Großstadt. Nachts treibt er sich auf Gewerbehöfen und Schrottplätzen herum, er klaut Metallschrott und verhökert seine Beute zum Materialwert.

Dass etwas mit Lou nicht stimmt, darauf lässt schon sein äußeres Erscheinungsbild schließen: taxierende Augen liegen eingefallen in den Höhlen, die Wangenknochen stechen hervor und seine Körpersprache strahlt eine alerte Unruhe aus. Wenn er den Mund aufmacht, spricht aus ihm keine Lebenserfahrung, er redet in einer blumigen Kunstsprache aus auswendig gelernten Ratgeberfloskeln, Selbstoptimierungsjargon und Motivationsrhetorik. Eigenschaftslosigkeit ist Lous markantester Charakterzug: Was ihn antreibt, ist eine volatile Mischung aus Instinkt und Ambition.

Dan Gilroys Regiedebüt „Nightcrawler“ legt es allzu offensichtlich darauf an, Lou Bloom als exemplarischen Vertreter seiner Zeit vorzuführen. Wobei der Film die an sich interessante Frage nach Ursache und Wirkung, also dem Unterschied zwischen Krankheit und Symptom, vorsichtshalber meidet. Jake Gyllenhaals kühle, sich komplett selbst entfremdete Performance muss als Beweis genügen – eine Tautologie, die auszuschmücken Gilroy unheimlich viel Aufmerksamkeit einräumt.

Ein neoliberaler Selfmade-Entrepreneur

„Nightcrawler“; Regie: Dan Gilroy; mit Jake Gyllenhaal, Rene Russo; USA 2014; 117 Min.

Moralische Erwägungen spielen bei Lous Entscheidungen eine untergeordnete Rolle. Er ist ein neoliberaler Selfmade-Entrepreneur, Selbstbestätigung findet er in seiner Arbeit. Was er macht, ist dabei eigentlich ziemlich egal, solange es dem Paradigma der Persönlichkeitsentwicklung dient.

Sein Erweckungserlebnis ist ein nächtlicher Autounfall, wo er eine Nachrichten-Crew bei der Arbeit beobachtet. Sie filmen den Unfallort und die Opfer für die Morgennachrichten, Aasfresser-Journalismus. Und Lou entdeckt ein Interesse, wozu seine soziopathische Persönlichkeitsstruktur ihn womöglich befähigt. Also besorgt er sich einen Camcorder und einen Polizeiscanner und beginnt nachts in seinem Wagen durch die Straßen von Los Angeles zu streifen, auf der Suche nach spektakulären Unfällen und Gewaltverbrechen.

Mit solchen Schreckensbildern erzielen die lokalen Morgennachrichten ihre Quote, und Lou versorgt eine besonders verzweifelte Produzentin, deren Karriere beim Sender in der undankbaren Frühschicht in einer Warteschleife kreist, mit frischem Material. Nina, gespielt von Rene Russo, imponiert die Skrupellosigkeit, mit der Lou auf die blutigen Tatsachen hält, wo seine nicht minder zimperlichen Kollegen diskret Abstand nehmen.

Kaputt-libidinöse Symbiose

Die beiden bilden eine kaputt-libidinöse Symbiose im Bodensatz des Fernsehjournalismus. Das Affektbild, auf das „Nightcrawler“ dabei hinausläuft, beschreibt Nina einmal mit einleuchtender Plastizität: „Eine schreiende Frau, die mit durchgeschnittener Kehle die Straße hinunterrennt.“

„Nightcrawler“ ist bei aller Ernsthaftigkeit, mit der Gilroy seine Medienkritik durchexerziert, aber auch ein schöner Anachronismus. Nicht zufällig erinnert Gyllenhaal, wenn er die Verletzten an einer Unfallstelle für eine bessere Bildkomposition arrangiert, an die Eröffnungssequenz von Haskell Wexlers semi-dokumentarischer Marshall McLuhan-Kolportage „Medium Cool“ von 1968: Ein Kamerateam, darunter der großartige Robert Forster, filmt ein Autowrack, ohne die schwerverletzte Frau am Boden zu beachten.

„Nightcrawler“ nimmt also eine Form von Mediensatire auf, der spätestens seit Sidney Lumets „Network“ kaum noch etwas hinzuzufügen ist. Gilroy allerdings akzentuiert seinen zeitgeistigen Pessimismus, indem er die Inszenierung an der hermetischen Logik seines Protagonisten ausrichtet.

Für moralische Standpunkte kein Raum

In seiner neongesättigten Noir-Ästhetik erinnert „Nightcrawler“ über weite Strecken – und durchaus beabsichtigt – an die Männerfilme eines Michael Mann („Heat“) oder William Friedkin („Leben und Sterben in LA“), deren Pragmatik einem bedingungslosen Ethos der Arbeit unterworfen ist. Lous Subjektivität informiert die Bilder soweit, dass für moralische Standpunkte kein Raum bleibt. Sein Sidekick Rick (Riz Ahmed), den er in einer Art Mentorenrolle unter seine Fittiche nimmt, bleibt zu blass, um Lous dominantem und latent gewaltbereiten Charakter etwas entgegenzusetzen.

Auch die sendereigene Juristin wird von Nina als Witzfigur vorgeführt. Auf diesen Witz aber, das ist der Clou, legt Gilroy es nicht eine Sekunde lang an. Für eine Satire unterspielt „Nightcrawler“ jeden Anflug von Komik mit bewundernswerter Konsequenz. Gilroys Film ist humorlos wie die funktionale Sprache Lous.

Als Mediensatire ist „Nightcrawler“ dabei nicht viel weiter als etwa „Anchorman 2“, in dem Will Ferrell als „Idiot savant“ die Ära des Krawalljournalismus quasi im Alleingang begründet. Gilroy entwirft in seinem grotesk heiß- und gleichzeitig leerlaufenden Irrsinn aber immer wieder fantastische psychogrammatische Kippbilder: Bei einem Besuch im Fernsehstudio genießt Lou seinen stillen Triumphmoment vor der Kamera, wenn er sich vor das Kulissenbild vom nächtlichen Los Angeles setzt („Es sieht so echt aus.“) und sich auf einem Monitor selbst im Fernsehen betrachtet. Ein schönes Bild für eine mediale Persönlichkeitsstörung.

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