Ex-Bewohner der Hauptmann-Schule: Plötzlich obdachlos

Sozialamt, Jobcenter, Bezirk: Keine Behörde fühlt sich zuständig, die Wohnheim-Kosten für eine Familie weiter zu zahlen. Seit Sonntag ist sie obdachlos.

Florin Lache (17) hat mit seiner Familie zuletzt in einem Park übernachtet.

Eigentlich dürfte es das nicht geben: Eine Familie irrt obdachlos durch Berlin, weil sich niemand für sie zuständig fühlt. Am Sonntag wurden Silvia Lache und ihr Mann Marius Parolea mit den drei Kindern Florin (17), Marian (13) und Ioana (11) aus dem Wohnheim geworfen, in dem sie seit Sommer lebten. Eine Nacht haben sie in der Notunterkunft Fraenklinstraße geschlafen – einer Einrichtung für Obdachlose, die erklärtermaßen kein Ort für Kinder ist, aber in letzter Zeit zunehmend von Familien aufgesucht wird. Eine Nacht verbrachten die Laches im Park, für zwei Nächte nahm sie eine Studenten-WG auf. „Wo sollen wir hin?“, fragt die Mutter Silvia Lache. „Unser Ältester ist schwerkrank, die Jüngeren können nicht mehr zur Schule.“

Im Juni hatte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg die Familie zusammen mit vielen anderen Roma, die in der besetzten ehemaligen Gerhard-Hauptmann-Schule lebten, in Wohnheimen untergebracht. Doch seit Ende Oktober übernimmt er die Kosten der Unterbringung für die Rumänen nicht mehr. Damit ging der „Fall Lache“ an den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf – Obdachlose werden nach Geburtsdaten auf die Bezirke verteilt. Aber auch dieser Bezirk zahlt nicht – obwohl der älteste Sohn Florin schwerkrank ist. Der 17-Jährige ist geistig behindert und leidet an Epilepsie.

Das Jugendamt Charlottenburg-Wilmersdorf hatte daher empfohlen, die Familie weiter unterzubringen. „Es ist nicht vertretbar, die Familie auf die Straße zu schicken, da mit einer Kindeswohlgefährdung in Bezug auf die Gesundheit Florians zu rechnen ist“, heißt es in einem Schreiben des Jugendamt des Bezirks an das Sozialamt des Bezirks. Auch ein ärztliches Attest warnt, „das Leben in der Obdachlosigkeit wäre für den Patienten extrem belastend“. Doch das Sozialamt Charlottenburg-Wilmersdorf ist nur bereit, die Rückfahrtkosten nach Rumänien zu bezahlen, schreibt die Sachbearbeiterin der Familie Lache.

Für die Eltern ist die Rückkehr unvorstellbar: „So gut wie in dem Wohnheim ging es uns noch nie in unserem ganzen Leben: Es gab Wärme, Strom, wir konnten kochen und Wäsche waschen und die Kinder sauber in die Schule schicken“, sagt die Mutter. In Rumänien hätten sie nichts.

Im April waren die Laches nach Berlin gekommen, von Verwandten hatten sie gehört, dass man in der besetzten ehemaligen Schule in der Ohlauer Straße unterkommen kann. „Dort war es schwierig“, erinnert sich Silvia Lache. „Viele Fenster waren kaputt, es war dreckig und viel zu voll.“ Als Friedrichshain-Kreuzberg anbot, die Roma-Familien anderweitig unterzubringen, nahmen die Laches – wie viele andere – daher gern an.

So kamen die Laches zunächst in ein Asylbewerberheim nach Spandau, nach eineinhalb Monaten brachte man sie in einem Wohnheim für Flüchtlinge und Obdachlose in der Stallschreiberstraße in Kreuzberg unter. Für die Kinder war das optimal, die beiden jüngeren gehen im Bezirk auf eine Integrierte Sekundarschule. „Marian und Ioana gehen sehr gern zur Schule, sie haben auch schon Freunde gefunden“, sagt die Mutter.

Doch das Glück der Familie hielt nur kurz. Als Rumänen haben die Laches zwar das Recht, in der EU Arbeit zu suchen, doch die Frage, ob Unionsbürger Anspruch auf Sozialleistungen haben, ist umstritten – die meisten Jobcenter lehnen Anträge von EU-Bürgern ab. Wie bei den Laches: Der Antrag scheiterte, auch ein Eilverfahren beim Sozialgericht war erfolglos. Nun liegt der Fall beim Landessozialgericht.

Auf dessen Entscheidung wollte Friedrichshain-Kreuzberg offenbar nicht warten. Die Bezirke sind zwar gesetzlich verpflichtet, unfreiwillige Obdachlosigkeit zu vermeiden oder zu beenden. In der Praxis bringen sie Obdachlose aber fast nur unter, wenn das Jobcenter zahlt.

Auch der Charlottenburg-Wilmersdorfer Sozialstadtrat Carsten Engelmann (CDU) argumentiert so im Fall Lache: Rechtlich habe er für die Familie nichts tun können, da sie juristisch gegen das Jobcenter verloren habe. „Wenn man den Rechtsweg begeht, kann das auch schiefgehen“, findet er. Mit den Konsequenzen müsse die Familie nun leben.

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