Gewerkschaften im Kapitalismus: Die Ego-Lokomotive

Gewerkschaften retten den Kapitalismus. Damit das funktioniert, dürfen sich die Lokführer aber auf keinen Fall durchsetzen.

Die Gewerkschaften sind die Lokomotiven des Kapitalismus. Bild: imago/anka agency international

Die Gewerkschaften werden nicht genug gewürdigt, schon gar nicht von den Kapitalisten. Denn ohne die Arbeitskämpfe wäre der Kapitalismus längst zusammengebrochen – und Karl Marx hätte recht behalten.

Marx hat sein „Kapital“ 1867 veröffentlicht und beschrieb einen Kapitalismus, der die Arbeiter so grausam ausbeutete, dass die Lebenserwartung in Industriestädten wie Liverpool bei durchschnittlich 17 Jahren lag.

Die Arbeiter verdienten gerade genug, um zu überleben – und konnten sich kaum mehr als Brot und Kartoffeln leisten. Der Kapitalismus steuerte daher auf ein Problem zu, das Marx phänomenologisch richtig beschrieben hat, obwohl seine eigentliche Mehrwerttheorie falsch war: Der Kapitalismus ist zum Untergang verdammt, wenn es keine Käufer gibt, die die ständig steigende Warenmenge abnehmen können.

Diese Falle schnappte nur deswegen nicht zu, weil die Gewerkschaften ab etwa 1870 europaweit dafür sorgten, dass die Reallöhne stiegen. Die Beschäftigten konnten nun für jene permanente Nachfrage sorgen, die der Kapitalismus benötigt, damit sich technische Erfindungen lohnen und Wachstum entsteht. Ohne die Gewerkschaften wären Autos oder Flugzeuge nicht mehr erfunden worden, weil der Kapitalismus schon vorher verschwunden wäre. Europa hätte nur die Eisenbahn gekannt.

Arroganz der Macht

Man könnte die Gewerkschaften also als die Lokomotive des Kapitalismus bezeichnen – aber daraus folgt noch lange nicht, dass die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) ein besonderes Streikrecht genießen sollte. Es ist kontraproduktiv, wenn kleine Einzelgruppen ganze Firmen lahmlegen können, nur weil sie an den Schaltstellen sitzen. Diese Arroganz der Macht ist nicht nur bei Lokführern zu finden, sondern auch bei Krankenhausärzten, Piloten, Betriebsfeuerwehren oder Fluglotsen.

Diese Kleingruppen argumentieren gern, es fördere den „Wettbewerb“, wenn mehrere Gewerkschaften in einer Firma unterwegs seien. Die elitären Kleingewerkschaften gerieren sich, als seien sie die Inkarnation der Konkurrenz.

Dies ist ein glatter Irrtum. Die Institution Gewerkschaft hat mit Wettbewerb nichts zu tun – sondern ist ein Kartell. Die Konkurrenz zwischen den Arbeitnehmern wird systematisch ausgeschaltet, indem nicht jeder Einzelne sein eigenes Gehalt verhandeln darf, sondern für alle ein Tariflohn gilt. Dahinter steht die Erkenntnis, dass jeder für sich allein vom Arbeitgeber ausgetrickst und erpresst werden könnte, weswegen man sich eben zusammenschließen muss.

Schlicht unsolidarisch

Gegen dieses Kartell haben die Kleingewerkschaften auch nichts – aber sie wollen ihr eigenes Kartell sein, das sich nur um die Sonderinteressen ihrer Mitglieder kümmert. Dies ist aber kein „Wettbewerb“, sondern schlicht unsolidarisch.

Alle Beschäftigten sind wichtig in einem Betrieb, sonst wären sie nicht angestellt. Aber nicht jeder hat die gleiche Streikmacht. Wenn die Lokführer in den Ausstand treten, fallen sofort fast alle Züge aus. Streikt hingegen der Reparaturbetrieb der Bahn, ist für die Passagiere lange nichts zu merken.

Wenn sich die Gruppen mit der größten Streikmacht absondern, werden sie für sich selbst zwar ein deutlich höheres Gehalt erkämpfen – aber nur zulasten ihrer Kollegen, die weniger Durchschlagskraft haben.

Es ist nachvollziehbar, dass die anderen Gewerkschaftsführer von GDL-Chef Claus Weselsky nicht begeistert sind. Sie bezeichnen ihn als „Egoisten“ – und haben damit recht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.