Im Bilderrausch der Werbung

AUSSTELLUNG Eine Schau in Wolfsburg widmet sich Max Regenberger, der Plakate im Stadtraum fotografisch untersucht

Die heroische Landschaft des amerikanischen Westens ist ein Muss für die Zigarettenwerbung

VON BETTINA MARIA BROSOWSKY

Das fotografische Großbild in Gestalt des Werbeplakats ist im öffentlichen Raum omnipräsent. Die Statistik sagt, dass der durchschnittliche Blickkontakt eines Vorbeifahrenden mit einem Werbeplakat eineinviertel Sekunden beträgt. In dieser kurzen Zeit muss die Werbung grundsätzlich funktionieren: ihre Elemente aus Bild und Text müssen im Ganzen und im Detail dechiffriert und aufgenommen werden können. Einem einzelnen Werbeauftritt aber gelingt wohl kaum die unmittelbare Konsumstimulierung.

Erst in der Summation im öffentlichen Raum, der rapportartigen Wiederholung im Stadtbild, der Aufstellung an repräsentativen Orten, in effektvoller Größe, vielleicht auch illuminiert zum „City-Light“ in seinen Varianten, entfaltet das Werbeplakat seine Wirksamkeit. Und diese ist, trotz des verschwindend geringen finanziellen Anteils der Außenwerbung am Gesamtwerbeaufwand – in Deutschland lediglich 5 Prozent – äußerst effektiv.

Innerstädtische Situationen, aber auch frequentierte Ausfallstraßen der Peripherien sind längst zu suggestiven Projektionsräumen mutiert. Dabei kann die einzelne Werbebotschaft nur noch als „wohlige Redundanz“ erfahren werden, mit der Absicht, „das Konsumklima als Trancezustand gesellschaftlich aufrechtzuerhalten“, wie es der Schweizer Kunsthistoriker Beat Wyss 1999 sagte.

Bildet dann die isolierende Betrachtung einzelner Auftrittssituationen des Werbeplakats, wie sie Max Regenberg in seinen fotografischen Dokumentationen unternimmt, somit eigentlich einen angemessenen Betrachtungsgegenstand? Regenberg, 1951 in Bremerhaven geboren und seit 2000 als freier Fotograf in Köln praktizierend, interessiert sich aus seiner Disziplin und Biografie heraus für das fotografische Bild im Dienste der Werbung. Er ist gelernter Werbefachmann, hat aber früh Distanz zu seiner Branche bezogen. Und als er 1977 für ein paar Jahre nach Kanada zog, schärfte sich sein Blick auf das Werbefoto im urbanen Raum. In Kanada war der Einsatz des teuren Fotos im Außenplakat bereits etabliert, insgesamt war die Außenwerbung in ihrer Präsenz und Technik gegenüber Deutschland wohl eine Dekade voraus.

Hier fing Regenberg an, Werbeplakate und die in ihnen enthaltenen fotografischen Wirklichkeiten zu dokumentieren. Er tat dies mit den professionellen Techniken der Branche, also der Mittelformat- oder Plattenkamera, in sorgfältig komponiertem Arrangement. Diese als Langzeitstudien angelegten Reihen setzt er nach seiner Rückkehr in Deutschland fort, erste thematische Systematisierungen ergaben sich, etwa zum menschlichen Abbild in der Werbung im öffentlichen Raum.

Seit zwanzig Jahren arbeite er nun für sein Archiv, so Regenberg, das mittlerweile auf rund 6.000 analoge Aufnahmen angewachsen ist. Hinzu kommt eine ebenso umfangreiche Plakatsammlung ab den 1980er Jahren, als das Foto auch in der deutschen Außenwerbung Einzug hielt. So recht interessiert hat sich bislang aber kaum jemand für Regenbergs groß angelegte Feldforschung, die Ausstellungen und Publikationen lassen sich jeweils an gut einer Hand abzählen.

Werbung und Landschaft

Die Städtische Galerie Wolfsburg zeigt derzeit einen kleinen Ausschnitt des Konvoluts, der sich thematisch mit dem Gebrauch der Landschaft im Werbeplakat, aber auch mit dessen Kontext im öffentlichen Raum befasst. Der konzentrierte Blick des Besuchers wird nun einerseits auf die konstruierten Bildwelten der Werbeaufnahmen gelenkt. Dies ist auch fotohistorisch durchaus anregend, beispielsweise die Vereinnahmung bekannter Referenzen. Die heroische Landschaft des amerikanischen Westens etwa ist nach wie vor unverzichtbarer Imageträger der Zigarettenwerbung.

Die Kampagnen arbeiten fast vollständig über das Bild, als Humanikonen dienen der traditionelle Cowboy oder moderne Biker. Wesentliche Bildanteile seiner Fotografien überlässt Regenberg aber dem umgebenden urbanen oder landschaftlichen Raum der Werbeträger. Hier registriert sein Blick in präziser, effektloser Kühle disparate Situationen, die Versprechen der Werbeklischees prallen gegen die Verwerfungen modernen Lebens.

Er habe den Weg in eine Bildgesellschaft früh erkannt, sagt Regenberg. Nun untersucht er mit medienimmanenten Mitteln deren visuelle Macht, entlarvt ihr Scheitern: eine stille ästhetische Kritik. In der Summe der ausgestellten Fotos stellt sich dann wieder das redundante Bildrauschen der Werbebotschaften ein, nur mit dem zerstreuten Blick richtig zu würdigen. Aber man hat vorher einmal genauer hingesehen.

■ Bis 27. Oktober, Städtische Galerie Wolfsburg