Ex-Fraktionschefin der Linkspartei: „Wir waren nicht selbstbewusst genug“

Kerstin Kaiser fordert mehr Selbstkritik. Außerdem sollen sich Ministeramt und Parteivorsitz bei der Linken künftig ausschließen.

„Es braucht eine linke Regierungskultur": Ex-Linkenchefin Kerstin Kaiser. Bild: dpa

taz: Frau Kaiser, warum hat die Linkspartei in Brandenburg acht Prozent verloren?

Kerstin Kaiser: Weil wir die Erwartungen der Wählerinnen und Wähler nicht erfüllt haben. Es gab eine Entfremdung zwischen Partei, Fraktion und Wählern.

Auch in Berlin und Mecklenburg Vorpommern hat die Linkspartei in Rot-Rot Regierungen drastisch verloren. Offenbar macht ihre Klientel den Sprung von der Protest- zur Regierungspartei nicht mit...

Nein, daran liegt es nicht. Umfragen zeigen, dass der Großteil unserer Wähler will, dass wir regieren. Aber ruhig und gut zu regieren, reicht für eine linke Partei nicht. Es braucht eine linke Regierungskultur. Wir müssen zeigen, dass wir mehr und noch Anderes wollen, als die SPD und die Koalition.

Wo?

Zum Beispiel in der Bildungspolitik. Da hat die SPD den Eindruck erweckt, das Inklusion erstmal heißt, Förderschulen zu schließen. Ohne in Gemeinschaftsschulen die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass alle Kinder entsprechend gefördert werden. Da war die Linkspartei nicht ausreichend erkennbar. Zweitens: Wir haben zwar eine Ächtung von Neonazipropaganda in der Verfassung verankert. Aber wir haben den NSU-Skandal in Brandenburg zu wenig thematisiert – und so unsere Forderung nicht untersetzt, den Verfassungsschutz abzuschaffen. Wir haben uns zu sehr auf unsere Ministerressorts reduzieren lassen.

Rot-Rot hat mit einem Linkspartei-Finanzminister hart gespart. Funktioniert sparen für die Linkspartei einfach nicht?

Wie kommen Sie darauf? Wir haben ja trotz sinkendem Haushalt den Kitaschlüssel verbessert, das SchülerBafög eingeführt, mehr Lehrer eingestellt. Wir haben auch nicht wie anderswo auf Kosten der Kommunen gespart. Da gab es solide Politik mit linker Handschrift. Aber es gibt auch reale finanzielle Zwänge.

Die Linkspartei hat fast die Hälfte ihrer Wähler verloren. Doch es gibt keinen Rücktritt. In der Sondierungskommission sind die bekannten Gesichter Finanzminister Christian Görke, Justizminister Helmuth Markov, Fraktionchefin Margitta Mächtig. Ist das die selbstkritische Aufarbeitung einer Niederlage?

Nein. Wir als Partei bis in die Führungsebene sind erschrocken und verunsichert. Wir brauchen jetzt den öffentlichen Dialog über die Gründe der Niederlage. Zweitens: Wie es dann personell weitergeht, ist offen. Und drittens, meine ich, Regierung, Fraktion und Partei sind von außen nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Praktisch wurde die Partei den Erfordernissen der Regierung untergeordnet und so wahrgenommen. Wir müssen als erstes die Vermischung und Verknotung der Verantwortungen aufösen.

...also soll Görke nicht mehr Minister und Parteichef sein...

Ja, das sehe ich so. Die Partei muss auch personell klar von der Fraktionsführung und Regierung unterscheidbar sein. Dabei muss die Partei viel mehr Themen haben und besetzen, als es die eigenen Minister tun. Sie muss über das, was die Regierung tut, hinausweisen. Das hieße für mich, Profil zu zeigen. Dass wir das nicht tun, ist unsere Schwäche. Wir konnten keine glaubwürdige Vision für die Brandenburger Gesellschaft aufzeigen. Das ist ein Grund, warum 113.000 Wählerinnen und Wähler, die uns 2009 unterstützt haben, jetzt nicht zur Wahl gegangen sind.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Linkspartei in rot-roten Koalitionen verliert. Warum hat die Partei in Brandenburg aus Berlin und Schwerin nichts gelernt?

Wir wussten um die Mecklenburger und Berliner Erfahrungen. Aber offenbar waren wir als Fraktion und Partei nicht selbstbewusst und stark genug, neben den Regierungszwängen eigenes Profil zu entwickeln. Die Wähler sahen uns nur noch die Regierungsbilanz verteidigen, anstatt weitergehende Ziele klar zu machen. Das war zu wenig.

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