Schotten stimmen gegen Unabhängigkeit: Very British

55 Prozent stimmen gegen eine Abspaltung von Großbritannien. Vor allem in den Armenvierteln Glasgows ist man enttäuscht.

So hatten sie sich die Nacht nicht vorgestellt. Bild: ap

EDINBURGH taz | Schottland bleibt, wo es ist: im Vereinigten Königreich. Beim Volksentscheid am Donnerstag stimmten laut amtlichem Endergebnis 44,7 Prozent für die Unabhängigkeit, 55,3 Prozent waren dagegen. Dieses Ergebnis hatten letzte Meinungsumfragen am Mittwoch vorhergesagt. Und um fünf Uhr morgens Ortszeit räumte die stellvertretende Premierministerin Nicola Sturgeon von der Scottish National Party (SNP) die Niederlage ein: „Es wird heute Nacht kein Ja geben. Wir sind zutiefst enttäuscht, aber ich bin auch begeistert von unserer Kampagne. Es gibt offenbar einen großen Appetit für Veränderungen. Was wir nicht erlebt haben, und zwar ganz sicher nicht, ist eine Bestätigung des Status quo.“

Premierminister Alex Salmond fügte später hinzu, dass er das Ergebnis akzeptiere. Er werde weiterhin einen konstruktiven Beitrag zu schottischen und britischen Politik leisten. Von einem Rücktritt, über den manche Medien im Falle einer Niederlage spekuliert hatten, war keine Rede.

Es war ein trüber Tag in Edinburgh, die Stimmung war angespannt, in den Geschäften, Cafés und Restaurants gab es kaum ein anderes Gesprächsthema. In der Nacht zogen Anhänger der Unabhängigkeit auf den Calton Hill in der Innenstadt und versammelte sich in dichtem Nebel um die Ruine der Akropolis auf dem Gipfel, doch Partystimmung kam nicht auf. Dafür hatte eine erste Hochrechnung gesorgt, die sich später als relativ akkurat herausstellte.

„Mir geht es ja nicht schlecht“, sagte einer, „und wenn ich zu meinen Lebzeiten nie die Gelegenheit bekommen hätte, über die Unabhängigkeit abzustimmen, hätte ich das gar nicht vermisst. Aber nun hatte ich diese Gelegenheit, und sie wird zu meinen Lebzeiten nicht noch einmal kommen. Ich bin enttäuscht.“ Ein anderer machte die Einmischung aus dem Ausland für die Niederlage der Ja-Seite vernatwortlich. „Ich glaubte bisher, dass man sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines Landes einmischt“, sagte er. „Aber je stärker die Stimmen für Unabhängigkeit bei Umfragen wurden, desto lauter wurden die Stimmen aus dem Ausland. Zum Schluss bettelte auch noch Barack Obama um ein Nein.“

Angstmache und Einigkeit

Viele waren der Meinung, dass die Angstmache der Unabhängigkeitsgegner am Ende den Ausschlag gegeben habe. Die Unsicherheit über die Währung, über die Banken, über die Finanzierung des Wohlfahrtsstaats haben viele vor einem Ja zurückschrecken lassen. Hinzu kam das Liebeswerben der Parteichefs der drei großen Westminster-Parteien: Premierminister David Cameron, sein Stellvertreter Nick Clegg sowie Oppositionsführer Ed Miliband waren Anfang der Woche nach Schottland gereist und versprachen weitere Rechte für das schottische Parlament im Gegenzug für ein Nein. Konkrete Zusagen wurden jedoch nicht gemacht.

Die Wahlbeteiligung war mit 84,6 Prozent sehr hoch, in manchen Wahlkreisen lag sie über 90 Prozent, und selbst in Glasgow gingen immerhin 75 Prozent an die Wahlurne. Im Gegensatz zur Hauptstadt Edinburgh, die mit 61 Prozent Nein stimmte, sagte Glasgow Ja zur Unabhängigkeit. Die SNP hatte in den Ghettos der größten schottischen Stadt erheblich Zeit investiert.

Die Partei hatte im Laufe der Jahre eine Datenbank aufgebaut, in der so gut wie jeder Wahlberechtigte mit seinen Vorlieben und politischen Ansichten verzeichnet ist. Darauf griff man nun zurück und schaffte es, Menschen an die Wahlurne zu bringen, die noch nie in ihrem Leben gewählt hatten. In Teilen von Shettleston, Castlemilk, Drumchapel und Easterhouse, den vier ärmsten Vierteln Glasgows, hatten bei den letzten Wahlen in manchen Bezirken nur elf Prozent ihre Stimme abgegeben. Wozu auch? Keine Regierung hatte in den vergangenen 50 Jahren etwas daran geändert, dass in diesen Vierteln mehr als die Hälfte der Kinder in Armut leben. Die Zahl der Menschen, die an den Suppenküchen anstehen, hat sich in den vergangenen drei Jahren verfünfzehntfacht.

Seit die Tories die „Schlafzimmersteuer“ verhängt haben, ist die Wut auf Politiker noch gestiegen. Diese Steuer betrifft Leute in Sozialbauwohnungen, die über ein Zimmer mehr verfügen als sie benötigen. So müssen sie entweder ausziehen, Untermieter aufnemen oder zahlen. Besonders unsensibel gingen die Behörden mit einem Vater aus Easterhouse um, dessen schwerbehinderte Tochter gestorben war. Innerhalb weniger Tage wurde er zur Kasse gebeten.

Es überrascht daher nicht, dass die Armen Ja gestimmt haben, während die Nein-Stimmen vor allem aus den wohlhabenderen Schichten, von Menschen über 65 und von den Bewohnern der Grafschaften an der Grenze zu England kamen. Nicht alle Schotten hatten in der Nacht jedoch gebannt auf die Auszählung der Stimmen gestarrt. In Glasgow hatte sich ab Mitternacht eine lange Schlange gebildet – vor dem Apple Store, weil die Leute das neue iPhone ergattern wollten.

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