Migranten im öffentlichen Dienst: Aus dem NSU-Desaster nichts gelernt

Die Integrationsbeauftragte Özoguz kritisiert die Polizei und den Verfassungsschutz. Denn sie haben kaum Mitarbeiter mit Migrationshintergrund.

Fahren hier Migranten mit? Bild: dpa

BERLIN taz | Bei Polizei und Verfassungsschutz gibt es kaum Mitarbeiter mit Migrationshintergrund. Das geht aus einer Umfrage hervor (Link zur pdf-Datei), die der Mediendienst Integration, ein migrationspolitisches Info-Portal, beim Bundeskriminalamt (BKA), der Bundespolizei, allen 16 Polizeibehörden der Länder sowie dem Verfassungsschutz in Bund und Ländern durchgeführt hat. Die Zahlen steigen aber dort, wo die Behörden aktiv um Mitarbeiter aus Einwandererfamilien werben.

Wie viele der rund 250.000 Polizeibeamten in Deutschland einen Migrationshintergrund besitzen, ist unklar, denn die meisten Behörden in Bund und Ländern erfassen das nicht. Dort, wo Zahlen vorliegen, fallen sie aber extrem niedrig aus. Bei der Polizei in Niedersachsen liegt der Anteil bei 3,2 Prozent, bei der Polizei in Rheinland-Pfalz bei 2,5 Prozent, und in Mecklenburg-Vorpommern bei nur 0,4 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland besitzt fast jeder Fünfte einen Migrationshintergrund – das heißt, er selbst oder ein Elternteil ist irgendwann nach Deutschland eingewandert.

Einige Bundesländer erfassen zumindest bei den Bewerbern den Migrationshintergrund: In Berlin und Niedersachsen ist der Anteil im Polizeidienst auf zuletzt 32 Prozent (Berlin) beziehungsweise 17 Prozent (Niedersachsen) gestiegen. Auch in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Schleswig-Holstein, die sich aktiv um solche Bewerber bemühen, sind die Zahlen in den vergangenen Jahren leicht gestiegen. Der Verfassungsschutz dagegen verzichtet darauf, gezielt Mitarbeiter aus Einwandererfamilien für sich zu gewinnen.

Die Ergebnisse „untermauern eindrücklich, dass nicht alle Sicherheitsbehörden aus Erfahrungen lernen“, kritisiert Aydan Özoguz. Dass Menschen mit Zuwanderungsgeschichte bei den Sicherheitsbehörden deutlich unterrepräsentiert sind, sei schon nach dem 11. September und nach dem NSU-Desaster bemängelt worden. „Offensichtlich unternehmen nur wenige Bundesländer gezielte Anstrengungen, dies zu ändern. Leider haben wohl zu viele immer noch nicht verstanden, wie wichtig diese strukturelle Veränderung für die Zukunft unserer Sicherheitsbehörden und unser aller Sicherheit ist“, sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung der taz. „Ich fordere daher alle Personalverantwortlichen auf, die Sicherheitsbehörden für mehr Vielfalt zu öffnen. Auf keinen Fall dürfen Polizei und Verfassungsschutz die Bezugspunkte zu unserer vielfältigen Gesellschaft verlieren.“

„Auf einem guten Weg“

Bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) mag man das nicht auf sich sitzen lassen. „Welche Wurzeln ein Bewerber für den Polizeidienst hat, ist eigentlich egal“, findet deren Vorsitzender Oliver Malchow. „Viel wichtiger ist, die entsprechende Qualifikation vorweisen zu können.“ Man sei auf einem guten Weg, die interkultultuelle Kompetenz der Kolleginnen und Kollegen zu fördern und Migranten für den Polizeidienst zu begeistern – „auch wenn die Resonanz noch viel größer sein könnte“. Es dürfe aber nicht sein, dass „für diese Gruppe der berechtigt hohe Standard der Einstellungstests abgesenkt wird“, so Malchow zur taz.

Beim Bundesinnenministerium (BMI) verweist man auf den Nationalen Aktionsplan Integration der Bundesregierung. Deren Maßnahmen, um den Anteil von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst zu erhöhen, habe sich auch das Bundeskriminalamt (BKA) angeschlossen. Eine statistische Erfassung des Anteils von Beschäftigten mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst im Rahmen eines Pilotprojekts stehe aber erst noch bevor.

Der Untersuchungsausschuss des Bundestags, der das Ermittlungsdesaster der Sicherheitsbehörden in der NSU-Affäre aufarbeitete, hatte unter anderem empfohlen, mehr Menschen aus Einwandererfamilien in den Polizeidienst zu holen. „Das dauert seine Zeit, das geht nicht von heute auf morgen. Aber ich nehme jede Gelegenheit wahr, in den Ländern anzumahnen, dass da etwas passiert“, kommentiert Eva Högl, die für die SPD als Obfrau im NSU-Untersuchungsausschus saß.

Eine Migrantenquote, wie sie im Ausschuss diskutiert wurde, lehnt Högl aber ab. „Wir brauchen Vorbilder und gezielte Werbemaßnahmen, um zu zeigen, dass auch Polizei und Verfassungsschutz vielfältig und bunt sind“, sagte sie der taz. Und: „Wir müssen es wirklich wollen.“

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