Debatte Degrowth-Bewegung: Gegen ein erzwungenes Wachstum

Eine neue Bewegung trifft sich zur Konferenz und sucht nach Alternativen zur bisherigen Geldwirtschaft. Sie lebt vom Teilen und Ausleihen.

Immer nur kaufen, kaufen, kaufen. Die Degrowth-Bewegung will Alternativen zum bisherigen Konsum finden. Bild: dpa

Eine neue Bewegung entsteht, von der noch niemand weiß, ob sie sich durchsetzen wird. Sie richtet sich gegen eine Wirtschaft, die Wachstum und Konkurrenz erzwingt. Es ist eine leise wuchernde Bewegung. Sie bekämpft den Kapitalismus nicht direkt und arbeitet sich auch nicht an übermächtigen Strukturen ab, sondern agiert kleinteilig und in individuellen Gruppen. Getrieben wird sie von dem Wunsch nach einem guten Leben.

Einige Beispiele: In Deutschland wurde jahrzehntelang nur der Buschberghof bei Hamburg von Landwirten und Konsumentinnen gemeinsam betrieben – doch plötzlich existieren 50 solcher Höfe. Wissenschaftler sehen nicht mehr ein, warum ihre Texte bei Großverlagen wie Springer oder Elsevier erscheinen sollen, die damit Gewinne von 35 Prozent einfahren, während Forscher in armen Ländern keinen Zugang zu den Erkenntnissen haben.

Also haben sich weltweit schon mehr als 3 Millionen Wissenschaftler über die Plattform Researchgate vernetzt, um ihre Forschungsergebnisse kostenlos ins Internet zu stellen. Europaweit haben Bürger 10.000 grüne Energiegenossenschaften gegründet. An 1.200 Orten auf der Welt bauen Menschen an „Transition-Towns“, um ihren Alltag künftig ohne Öl, Gas und Kohle bewältigen zu können.

Leih mir deinen Grill

Das Internet erleichtert diese neuen Kooperationsformen. So lassen sich Gebrauchsgegenstände jetzt mühelos miteinander teilen: Warum soll man die Wohnung mit Fonduetopf und Kreissäge vollrümpeln, wenn Nachbarn diese Geräte schon haben? Laptop und Smartphone zeigen in Sekundenschnelle, wer in der Umgebung bereit ist, das Gewünschte auszuborgen. Dabei reicht die Spannweite von Vermietplattformen bis zu nichtkommerziellen Initiativen wie fairleihen.de in Berlin, wo etwa 900 Nutzer Dinge des Alltagsbedarfs suchen oder anbieten. Selbst beliebte Statussymbole werden plötzlich geteilt: Carsharingplattformen haben bundesweit mehrere tausend Autos im Angebot.

Die neue Währung ist Vertrauen – nicht Geld. Wer einen fettverschmierten Grill zurückbringt oder bei der Übergabe anzügliche Bemerkungen macht, muss mit negativen Einträgen im Internet rechnen. Zugleich entstehen unkompliziert neue Kontakte. Zugleich lassen sich durch gemeinsames Nutzen, Tauschen und Weitergeben Ressourcen sparen.

Das alles ist noch neu und klein. Doch wie die Leuphana-Universität Lüneburg erhoben hat, wächst mit zunehmendem Bildungsgrad auch die Bereitschaft, Dinge übers Internet zu teilen. Zugleich belegen Umfragen, dass das eigene Auto bei unter 30-Jährigen enorm an Bedeutung verliert. Wohlstand und Sozialprestige lösen sich immer mehr vom Eigentum ab.

Kritiker wenden ein, dass nur teilen kann, wer Gegenstände besitzt – dass also die Armen ausgeschlossen seien. Doch der Berliner Leila-Laden beispielsweise steht jedem offen, und bei tamyca gibt es Kleinwagen schon ab 13 Euro pro Tag.

Noch keine Massenbewegung

Auch Wissen, Ideen und digitale Dateien sind teilbar, ohne dass die Gebenden dabei verlieren. Stattdessen gewinnen sie meist, weil sich nun andere an der Weiterentwicklung beteiligen können. In der freien Software ist es schon seit dreißig Jahren Usus, Programme als offene Quellen zur Verfügung zu stellen. Doch inzwischen breitet sich diese Praxis – was strategisch wichtig ist – auch in der Produktion aus.

Langlebigkeit, die Verwendung heimischer und ungiftiger Rohstoffe sind dabei ebenso typisch wie eine modulare Konstruktion, die Reparaturen und eine spätere Wiederverwendung von Einzelteilen ermöglicht. Dies ist noch keine Massenbewegung, doch international gibt es schon Dutzende von Gemeinschaftswerkstätten und mehrere Internetplattformen, auf denen Bauanleitungen für Lastfahrräder, Maschinen, Fotoapparate oder Möbel zu finden sind.

Konstruktionspläne im Netz

In solchen virtuellen und realen Kreisen bewegt sich auch Alex Shure aus Siegen. Der 27-Jährige hat keine formale Ausbildung, sondern in verschiedenen Betrieben mitgearbeitet, um sich das fachliche Wissen anzueignen. Shure hat eine drahtlose Schaltung für elektronische Geräte entwickelt, die viele Kabel in Hauswänden überflüssig macht. Alle Entwicklungspläne stellt er als „offene Quellen“ ins Internet – jeder kann sie verwenden, weitergeben, fortentwickeln.

Eine Copyleft-Lizenz schützt Shures Erfindungen davor, privatisiert zu werden. Viel Geld verdienen muss er nicht: Bei seinen häufigen Berlinbesuchen kann er bei Bekannten wohnen und in einer Gemeinschaftsküche essen. Gelegentlich fotografiert er Hochzeiten oder unterstützt kleine Firmen bei Computerproblemen. Shure ist typisch: Einen Teil des Lebensunterhalts verdient er in der „alten Ökonomie“, das Neue gestaltet er völlig selbstbestimmt.

Wie immer versucht der Kapitalismus, Innovationen zu vereinnahmen und für sein eigenes Wachstum zu nutzen. Unternehmen machen sich auf Internetseiten breit, auf denen Privatleute ihre Betten für Touristen anbieten. Daimler und VW sind ins Carsharing eingestiegen.

Studien belegen nun, dass jedes geteilte Auto 8 bis 13 Pkws ersetzt. Daimler untergräbt also sein eigenes Kerngeschäft, indem es ins Carsharing einsteigt. Auch was Patente angeht, rutschen die Konzerne strukturell in die Defensive: Während sie ihr Wissen abzuschirmen versuchen, können offen zugängliche Konstruktionspläne ständig verbessert werden.

Ob sich der Schwarm oder der Hai durchsetzen wird, ist noch nicht ausgemacht. Manche Kritiker befürchten, dass die letzten ökonomiefreien Räume vernichtet werden, wenn persönliches Vertrauen zu einer Wirtschaftsform wird. Doch sie übersehen dabei, dass in der heutigen Geldwirtschaft Freundschaft, Liebe und gute Nachbarschaft nur in Nischen stattfinden können. Warum sie nicht ins Zentrum rücken – und die Wirtschaft ins ganz normale Leben integrieren?

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