Kommentar Gaza-Solidarität in Frankreich: Falsche Feindbilder

Die französische Regierung hat das Demonstrationsrecht eingeschränkt. Und damit Öl ins Feuer antisemitischer Kräfte gegossen.

Gaza? Nein, Sarcelles, ein Vorort von Paris. Bild: reuters

Die Nahostpolitik der französischen Staatsführung und im Speziellen ihre Haltung gegenüber der Solidarität mit Palästina steht zur Debatte. In Paris und in Sarcelles, einem Vorort der französischen Hauptstadt, gab es bei antiisraelischen Kundgebungen schwere Ausschreitungen. Einige Demonstranten wollten Synagogen angreifen, in Sarcelles wurden mindestens zwei Geschäfte jüdischer Ladenbesitzer in Brand gesteckt. In beiden Fällen fanden die Kundgebungen trotz eines behördlichen Verbots statt. In einem Dutzend anderen Städten dagegen waren die Demonstrationen bewilligt worden – sie verliefen alle ohne nennenswerten Zwischenfälle.

Der kausale Zusammenhang scheint auf der Hand zu liegen: Mit ihrer Einschränkung des Demonstrationsrechts haben die Behörden Öl ins Feuer gegossen. Und das massive Polizeiaufgebot, das die Kundgebung verhindern sollte, war provokativ. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit.

Entmutigend ist für einen großen Teil der Bevölkerung auch die ziemlich einseitige Position der Staatsführung, die sich für das legitime Recht Israels auf Sicherheit ausspricht, sich umgekehrt aber für das trostlose Schicksal der palästinensischen Bevölkerung kaum zu interessieren scheint.

Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve hat ein entschlossenes Vorgehen gegen jegliche Art von Antisemitismus angekündigt, nachdem Proteste gegen den Konflikt im Gazastreifen am Sonntag zu Gewaltausbrüchen geführt hatten. Demonstranten hatten sich vor zwei Synagogen Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. In dem von vielen Juden bewohnten Stadtbezirk Sarcelles brannte ein Geschäft für koschere Lebensmittel.

„Es ist inakzeptabel, wenn Synagogen angegriffen werden oder Geschäfte, nur weil sie von Juden geführt werden", sagte der Minister am Montag bei einem Besuch von Sarcelles. "Nichts kann Antisemitismus rechtfertigen.“ Solche Gewaltakte würden bekämpft und bestraft. Er würde ebenso handeln, wenn Moscheen oder Kirchen angegriffen würden, sagte Cazeneuve. (rtr)

Und das ist der Nährboden für Verbitterung und Hass, für um sich greifende Ressentiments, für den ohnehin in Frankreich schwelenden Antisemitismus. In seiner gewaltsamen Form aber bleibt er auch bei den gegenwärtigen Demonstrationen marginal. Die Eskalation im Konflikt zwischen Israel und Palästina kann allerdings zu weiterer Radikalisierung führen und Spannungen zwischen muslimischen und jüdischen Bevölkerungsgruppen schüren, die sich gegenseitig der politischen Einseitigkeit und Mitverantwortung beschuldigen.

Angesichts dieser Risiken darf die französische Regierung die Straße nicht durch paradoxe Restriktionen den radikalsten Kräften überlassen. Sie setzt sich sonst dem Verdacht aus, rückwirkend mit der Gewalt einiger Provokateure und dem bisher marginalen Antisemitismus die eigene Repression rechtfertigen zu wollen. Die Solidarität mit Palästina wie mit Israel muss sich demokratisch ausdrücken können. Sonst wächst eine Frustration, die falsche Feindbilder schafft.

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Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

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