Reform des EEG: Bis über die Grenze des Zulässigen

Gegen die Opposition, gegen Brüssel, gegen sich selbst: Die Große Koalition hat ihre Ökostrom-Reform durchgepeitscht – vorläufig.

Wirkt genervt: Sigmar Gabriel am Donnerstag im Bundestag. Bild: dpa

BERLIN taz | Eigentlich hätte dies der Moment sein sollen, in dem die Anspannung für Sigmar Gabriel fürs Erste vorbei ist. Am Freitagvormittag um kurz vor elf Uhr stimmt der Bundestag mit der Mehrheit von Union und SPD für die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG).

Sechs Monate lang hat der Wirtschaftsminister und SPD-Chef auf diesen Termin hingearbeitet. Bei der Kabinettsklausur im Januar stellte Gabriel die ersten Eckpunkte vor, seitdem verhandeln er und sein Staatssekretär Rainer Baake parallel mit der EU-Kommission, den Bundesländern, den Regierungsfraktionen und allen Interessengruppen über die Pläne.

Doch als Gabriel am Freitag kurz vor der Abstimmung seine knappe Rede im Bundestag müde vom Blatt abliest, wirkt er keineswegs entspannt. Das ist angesichts der Ereignisse der letzten Tage nicht wirklich erstaunlich. Denn um das Gesetz noch rechtzeitig durch den Bundestag zu bringen, ist der SPD-Chef nicht nur bei den parlamentarischen Regeln bis an die Grenze des Zulässigen gegangen (oder auch darüber hinaus). Er muss zudem hinnehmen, dass bis zulezt nicht klar ist, ob die Europäische Kommission seinem mühsam ausgehandelten Gesetz zustimmt.

Der Stress begann damit, dass sich Union und SPD vor 14 Tagen nicht über wichtige Details des Gesetzes einigen konnten, vor allem beim Biogas und der Eigenstrom-Belastung. Eine Verhandlungsrunde folgte auf die nächste, Pressetermine wurden angekündigt und wieder abgesagt. „Wir wissen doch auch nicht, wann wir etwas wissen“, lautete die entnervte Antwort aus dem Büro eines der Verhandlungsführer auf Nachfragen, wann mit einer Einigung zu rechnen sei.

Persönlich nach Brüssel

Am Freitag letzter Woche folgte dann der nächste Schock: Die EU-Kommission meldete neue Einwände gegen das Gesetz an – drei Tage bevor es von Fraktionen und Ausschüssen verabschiedet werden sollte. Zum einen gingen Brüssel einige Privilegien der Industrie doch wieder zu weit; zum anderen störte sie sich plötzlich daran, dass Strom, der aus dem Ausland nach Deutschland importiert wird, nicht von der EEG-Umlage befreit ist, mit der die deutsche Energiewende finanziert wird.

Auch wenn EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia später behauptete, die Forderungen seien keineswegs neu gewesen: Im Wirtschaftsministerium haben sie dem Vernehmen nach jedenfalls ziemliche Hektik ausgelöst. Weil sich die Probleme telefonisch nicht ausräumen ließen, flog Gabriels Staatssekretär Baake am Montag kurzfristig zu persönlichen Gesprächen nach Brüssel.

Bei einigen wichtigen Details zu Industriepreisen und Eigenstrom erzielte er eine Einigung. Doch beim ausländischen Strom blieb Brüssel stur. Baake, der schon unter Jürgen Trittin Staatssekretär war und als einer der profundesten Kenner der Energiepolitik gilt, stieß an seine Grenzen. Sein Argument, dass die Brüsseler Forderung weder logisch noch umsetzbar ist, prallte an seinen Kontrahenten ab, so ist später aus dem Ministerium zu hören. Daraufhin stieg der Minister selbst in den Ring.

Sigmar traf den Duzfreund in Ypern

Am Mittwoch griff er die EU-Kommission öffentlich an, sprach von „Foulspiel“ und „Geiselhaft“. Am Freitag schickte er einerseits einen förmlichen Brief an den „Herrn Vizepräsidenten Joaquín Almunia“, in dem er die Forderung aus Brüssel zurückwies. Am selben Tag, so heißt es in Regierungskreisen, traf er den EU-Kommissar, der der spanischen Schwesterpartei der SPD angehört, bei der Gedenkfeier zum Ersten Weltkrieg in Ypern – und machte seinem Duzfreund dort noch einmal klar, dass Deutschland in dieser Frage keinesfalls nachgeben werde. Doch ob der Druck wirkt, ist weiter unklar.

Und auch ein weiterer Konflikt ist noch nicht ausgestanden. Am Freitag haben Grüne und Linke erfolglos versucht, die Abstimmung über das EEG von der Tagesordnung zu nehmen. Sie sehen die Rechte des Parlaments und speziell der Opposition verletzt. Tatsächlich spielten sich in der letzten Woche denkwürdige Szenen ab. Als sich der kurzfristig einberufene Wirtschaftsausschuss am Dienstagmorgen im Paul-Löbe-Haus neben dem Bundestag trifft, um die umfangreichen Änderungsvorschläge am Gesetzespaket zu diskutieren, müssen die Abgeordneten unverrichter Dinge wieder abziehen: Das Wirtschaftsministerium arbeitet noch am Gesetzestext, der offiziell nur eine „Formulierungshilfe“ für die Parlamentarier ist.

Beim zweiten Versuch rund zehn Stunden später liegt der 204-seitige „Änderungsantrag“ dann zwar vor. Aber die Kopien sind noch druckwarm, als die Abgeordneten sie unmittelbar vor Sitzungsbeginn erhalten. Zeit zum Lesen, geschweige denn zum gründlichen Prüfen gibt es nicht. Weil Union und SPD eine Verschiebung ablehnen und auch eine erneute Expertenanhörung verweigern, hat die Opposition nun eine Beschwerde beim Ältestenrat des Bundestags eingelegt. Die Fraktion der Linken prüft zudem eine Organklage beim Bundesverfassungsgericht.

Gabriel tut derweil so, als störe ihn der Ärger mit EU und Opposition nicht. „Es ist relativ schwierig, mich dauerhaft zu verärgern“, sagt er nach der Abstimmung. Und noch eins räumt er ein: Auch wenn er sich gegen die Kommission durchsetzt, ist die Debatte keineswegs vorbei. „Viele entscheidende Fragen des Energiemarktes haben wir mit diesem Gesetz noch nicht gelöst.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.