Überaschungsteam Costa Rica: Mit Tom Bartels auf Safari

Bei der ARD weiß man: Costa Rica ist der sympathische Underdog, profitiert aber vom Klima. Das ist Blödsinn. Was ist dann das Geheimnis?

Wie süß, diese Costa-Ricaner, hier nach dem Sieg über Italien. Bild: reuters

Ja, das macht eine Weltmeisterschaft erst richtig weltmeisterlich: Ein paar tanzende und singende Exoten aus einem Dritte-Welt-Land, die fröhlich ein paar Sensationen landen, ehe sie sich tränenreich verabschieden und die Erwachsenen unter sich bleiben. Halb ist diese Sympathie für die Underdogs ein sehr menschliches Gefühl und Bestandteil jeder Weltanschauung (jeder ist für David, sofern er nicht gerade selber Goliath ist), halb ist sie Paternalismus, Exotisierung und Kitsch.

Bei Fußball-Weltmeisterschaften waren oft afrikanische Teams in der Rolle des sympathischen Underdogs, nun ist Costa Rica das neue Afrika. Seit dem 1:0 gegen Italien und der Qualifikation fürs Achtelfinale scheint keine Nachrichtensprecherin ohne gönnerhaftes Lächeln über Costa Rica reden zu können. Selbst der Staatspräsident habe mitgefeiert, meldet die Deutsche Presse-Agentur. Was für ein lustiges Völkchen aber auch.

Schon während des Spiels entzückt sich ARD-Kommentator Tom Bartels im Tonfall eines Safaritouristen über die „Ausgelassenheit“ der Costa-Ricaner. Für ihren Erfolg weiß er indes nur eine Erklärung, die er in der zweiten Halbzeit nicht oft genug wiederholen kann: das Wetter.

Man kann es sich gut vorstellen, wie Bartels auf der Pressetribüne sitzt, mit Jack-Wolfskin-Basecap oder khakifarbenem Safarihut, innerlich darüber fluchend, dass er nach 20 Jahren im Geschäft immer noch solche Volontärsjobs machen muss und sich mit dem Gedanken an die Caipi danach tröstet – und an das Deutschland gegen Ghana, das er ebenfalls moderieren wird.

Der Klimaquatsch

Im nordostbrasilianischen Recife ist es bei Anpfiff 13 Uhr Ortszeit. 29 Grad, 70 Prozent Luftfeuchtigkeit. „Das ist ihr Klima“, weiß Bartels, als ob die costa-ricanische Liga, wo fast die Hälfte des WM-Kaders beschäftigt ist, ihre Spiele zur Siesta austragen würde. Auch seine Kollegen Matthias Opdenhövel und Mehmet Scholl wiederholen nach dem Spiel die so beliebte wie blödsinnige Behauptung, die lateinamerikanischen Teams seien aus klimatischen Gründen im Vorteil.

Allenfalls erklärt die schwüle Hitze von Recife, warum die Italiener (waren das nicht Südländer?) so schlecht, aber nicht, warum die Costa-Ricaner so gut waren. Das hat andere Gründe. Zum Beispiel: die exakte Gegneranalyse und eine maßgenaue Taktik. Das können nicht nur Joachim Löw und sein Fachreferent Urs Siegenthaler, das kann – für die ARD-Leute offenbar unvorstellbar – auch ein Trainer, der Jorge Luis Pinto heißt und aus Kolumbien stammt.

Die taktische Grundausrichtung seiner Mannschaft wirkt arg defensiv: Ein 5-4-1, mit einer ungewöhnlichen Fünferkette in der Abwehr, einem sich schell nach vorne verschiebenden Mittelfeld und nominell einzigem Stürmer. Costa Rica lässt den Gegner kommen, um nach der Balleroberung mit wenigen Stationen nach vorne zu spielen. In den besten Momenten erinnert es sie an das überfallartige Spiel der Holländer, nur dass sie weniger über die Flügel kommen. Sie haben eben keinen Arjen Robben, wie insgesamt ihre individuelle Klasse bescheiden ist.

Trainer mit Ideen

Dafür hat ihr Trainer Ideen: Beim 3:1 gegen Uruguay – nebenbei: auch nicht gerade am Polarmeer gelegen – spielte sein Team bei Freistößen, Ecken und aus dem Spiel heraus wieder und wieder hohe Flanken an der gegnerischen Innenverteidigung vorbei auf die linke Seite. Dort stand nämlich Uruguays Rechtsverteidiger Maxi Pereira, mit einer Körpergröße von 1,73m kein Kopfballspezialist. Einen der vielen Versuche köpfte der vorgerückte costa-ricanische Verteidiger Oscar Duarte zum vorentscheidenden 2:1 ein. Doch das Repertoire beschränkte sich nicht darauf; die beiden anderen Tore fielen nach schnellen, aber flach gespielten Spielzügen, einmal über die rechte Linie (Joel Campbell), einmal aus der Mitte (Marcos Urena).

Gegen Italien bediente Costa Rica eine ganze Klaviatur, von brachialen Zweikämpfen in der ersten Halbzeit bis zu Xavi-Iniesta-Gedächtnis-Fußball, den es in der zweiten Hälfte phasenweise zeigten. Auch nach der Führung beließen sie es nicht dabei, das Ergebnis zu verteidigen und zu kontern, sondern taten, was keiner italienischen und keiner von José Maurinho befehligten Mannschaft in dieser Situation in den Sinn kommen würde: Sie bauten bis zum Schluss immer wieder eigene Spielzüge auf. Und das war nicht naiv, sondern zweckmäßig: Sie ermüdeten die ohnehin müden Italiener und versuchten, mit einem zweiten Tor die Entscheidung herbeizuführen.

Erst auf dieser Grundlage – ein Trainer, der sein Handwerk versteht und eine Mannschaft, die dessen Vorgaben zu befolgen weiß – können die übrigen Faktoren zur Geltung kommen: das „große Herz“ (Mehmet Scholl) oder der „Teamgeist“ (Giovane Elber). Dass deutsche Fernsehkommentatoren diese Leistung ignorieren, ist kein Zeichen von Inkompetenz, sondern kündet von Schlimmerem: Borniertheit.

Plötzlich Favorit

Wer Costa Rica ernst nimmt, findet genug Schwächen: Seine Technik wirkt oft hölzern, ihre am Gegner orientierte Spielweise ist reaktiv. Anderseits: Ihr Bester (Campbell) spielt in Piräus, der Rest bestenfalls für Clubs wie Brügge (Duarte) oder Mainz (Junior Diaz). Die müssen nicht versuchen, einem Gegner wie Italien ihre eigene Spielweise aufzudrängen.

Am Dienstag, im Spiel gegen die bereits ausgeschiedenen Engländer, würde ein Unentschieden genügen, um als Gruppensieger ins Achtelfinale einzuziehen. Ob dort der Gegner Elfenbeinküste, Japan oder gar Griechenland heißt – in dieses Spiel wird Costa Rica als Favorit gehen. Falls Pinto und sein Team mit dieser neuen Rolle zurechtkommen, kann es danach nur leichter werden. Dann dürften nur noch große Teams übrig sein. Aber wer sich gegen zwei, drei Ex-Weltmeister durchsetzt, braucht sich vor drei weiteren nicht zu fürchten – egal bei welchem Wetter.

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