Kolumne Rambazamba: Wo ist die Schland-Hysterie?

Das Land schwächelt zur WM: In Deutschland weicht gewöhnlicher multikultureller Patriotismus sachlicher Fußballatmosphäre.

Gut, der eine oder andere national verzierte Balkon findet sich dann doch. Bild: dpa

Nein, es ist nicht wie immer. Es gibt keine sattelfesten Studien, aber der Augenschein bei, beispielsweise, Spaziergängen durch Berliner Viertel wie Neukölln, auch einige Telefonate mit FreundInnen in anderen Ecken des Landes legen die starke Vermutung nah: Diese hysterisch anmutende Deutschland-Deutschland-Hysterie ist nicht mehr.

Nicht mehr jedes Auto ist mit Seitenspiegel-schwarz-rot-gold-Kondom verrüscht; nur aus wenigen Fenstern in metropolen Gebieten ragen deutsche Flaggen und Wimpel hervor. Gut so? Schwächelt das Land, weil deren Einwohner von Löw und seinen Spielern kaum mehr etwas erwartet?

Oder ist die Stimmung einer coolen Planung geschuldet, nach der die kreischigste (Selbst-)Begeisterung dosiert eingesetzt wird, weil das Turnier ja noch im günstigsten Fall bis 13. Juli dauert? Man darf sagen: Selbst die patriotischsten Ecken in Berlin – das sind die arabisch-türkisch bewohnten – geben sich einer Fußballatmosphäre als solcher hin. Man weiß an der Sonnenallee sehr genau, dass das textil gezeigte Bekenntnis zur DFB-Elf nicht mehr sensationell wirkt.

Und tatsächlich sind ja in beinah jeder Kneipe, jedem Späti, jedem Café Screens eingeschaltet, nach wie vor: Public-Viewing-Orte sind wirklich nicht rar – und sehen nun aus wie Stätten des Überdrusses. Denn Desinteresse am Fußball kann ja nicht der Grund sein. ARD und ZDF bilanzieren Quoten, die mit nichts sonst in ihren Programmen erreicht werden, selbst nach Mitternacht und auch ohne deutsche Beteiligung.

Wahrscheinlich trägt das allgemein kühle Wetter dazu bei, öffentliches Open-Air-vor-dem-Kneipen-Flach-Screen nur sparsam dosiert zu genießen. Friedliche Stimmung liegt über dem Land. Man schämt sich nicht, mal ganz allein eine Übertragung einzuschalten. Allein, und sei es als „Wall of Sound“ globalen Zuschnitts.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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