Künstliche Befruchtung vor Gericht: Eine Frage der Ehe

Eine Krankenkasse will Versicherten die künstliche Befruchtung bezahlen – egal ob verheiratet oder nicht. Ein Gericht entscheidet nun über die Kostenfrage.

Befruchtung einer Eizelle in rund einhundertfacher Vergrößerung. Bild: dpa

BERLIN taz | Vor wenigen Tagen stand Christiane Woopen, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, in Berlin vor 350 Gästen, darunter Bundestagsabgeordnete, Rechtswissenschaftler und andere Menschen, die als gesellschaftspolitische Multiplikatoren bezeichnet werden. Sie hielt eine Rede zur Fortpflanzungsmedizin.

Der Deutsche Ethikrat, eine Instanz für Regierung und Parlament in Sachen bioethischer Konfliktberatung, hatte seine Jahrestagung bewusst diesem, wie Woopen es nannte, „notorisch umstrittenen Thema“ gewidmet: Kaum ein anderes Land in Europa pflegt einen ähnlich restriktiven und zugleich hoch emotionalen Umgang mit den Möglichkeiten der Sterilitätstherapie, künstlichen Befruchtung oder Keimzellspende; wenn es um den Schutz von Embryonen und Ehe geht, dann ist in Deutschland der nächste Glaubenskrieg nicht fern.

„Was macht eine Familie eigentlich aus?“, fragte Woopen. „Die Beziehungs- und Abstammungsverhältnisse oder die emotionale Verbundenheit, die Lebensweise und das gegenseitige verbindliche Füreinander-Einstehen?“ Die Antwort lieferte sie mit: „Rechtsregeln, die auf biologische Abstammungsverhältnisse Bezug nehmen, müssen überdacht werden.“ Die Gäste nickten artig. Wie praxistauglich die Forderung ist, könnte sich schon am kommenden Freitag zeigen. Da muss das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in Potsdam einen hochpolitischen Rechtsstreit um die Kosten für künstliche Befruchtungen entscheiden.

Wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung dürfte das Urteil Auswirkungen auf potenziell alle 70 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland haben: Sollen unverheiratete Paare, die wegen Unfruchtbarkeit oder natürlicher Empfängnisschwierigkeit ein Baby im Reagenzglas zeugen lassen, künftig denselben Anspruch auf Kostenerstattung haben wie verheiratete Paare? Oder soll es bei der derzeitigen Ungleichbehandlung bleiben?

Zurzeit bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen lediglich Paaren mit Trauschein die Kosten für eine künstliche Befruchtung – zu 50 Prozent. Unverheiratete dagegen müssen die Therapie komplett allein bezahlen. Je nach Methode und Zahl der Versuche kommen da schon mal zwischen 2.000 und 5.000 Euro zusammen. Formal ausgetragen wird dieser Streit zwischen der Betriebskrankenkasse Verkehrsbau Union (BKK-VBU) mit 400.000 Versicherten und Sitz in Berlin, und dem Bundesversicherungsamt aus Bonn, kurz BVA. Das BVA ist die Rechtsaufsichtsbehörde über die gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland, es untersteht dem Bundesministerium für Gesundheit.

75 Prozent auch für unverheiratete Paare

Die Geschichte, weshalb ausgerechnet diese beiden Akteure sich nun vor Gericht treffen, ist schnell erzählt: Im Jahr 2012 hat die BKK-VBU eine Idee, wie sie ihre Attraktivität auf dem Versicherungsmarkt steigern kann: Sie wirbt damit, ihren Mitgliedern Kinderwunschbehandlungen künftig nicht mehr bloß zu 50 Prozent zu erstatten, wie das laut gesetzlichem Leistungskatalog vorgesehen ist, sondern zu 75 Prozent. Der Clou: Diese Regelung soll auch für unverheiratete Paare gelten. Die BKK-VBU betritt gesundheitspolitisches Neuland.

Dazu allerdings muss sie ihre Satzung ändern. Allein: Die zuständige Behörde verweigert die Zustimmung. „Die beim Bundesversicherungsamt zur Genehmigung eingereichte Änderung der Satzung steht jedoch nicht im Einklang mit höherrangigem Recht“, schreibt ein BVA-Sprecher der taz.

Das höherrangige Recht, es ist verankert im Sozialgesetzbuch V, § 27a, Abs. 1 Nr. 3: Medizinische Leistungen „zur Herbeiführung einer Schwangerschaft“ sind demnach erstattungsfähig, sofern die Personen, die diese Leistungen in Anspruch nehmen, miteinander verheiratet sind. Aus dem Steuerrecht, dem Adoptionsrecht oder dem Erbrecht sind Grabenkämpfe um Sonderregelungen zum Schutz der Ehe bekannt. Aber im Bereich der Gesundheit?

Wer in Deutschland krank wird, der hat einen Anspruch auf ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Behandlung – unabhängig von Alter, Geschlecht oder sozialem Status. So will es das Solidaritätsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung: Wer eine neue Hüfte braucht, dessen Kostenerstattung bemisst sich jedenfalls nicht daran, ob er ledig, verheiratet oder geschieden ist.

Recht auf Familienplanung

Die Störung der Zeugungsfähigkeit ist unstrittig eine Gesundheitsfrage. Eine behandelbare zudem – mit Methoden, die die Akteure der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen für ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich befunden haben. Sie übernehmen sie zur Hälfte. Warum aber nur für Verheiratete? Das Recht auf Familienplanung ist ein internationales Menschenrecht. Darf die Erstattung einer Therapie davon abhängen, welchen Familienstand ein Mensch hat?

Jedes Jahr werden in Deutschland rund 76.000 Kinder dank künstlicher Befruchtung geboren. 19 Millionen Euro gaben die gesetzlichen Krankenkassen 2012 hierfür aus. Keine andere medizinische Leistung ist so unmittelbar mit dem Familienstand verknüpft. Mit der Lebenswirklichkeit vieler Menschen hat dies freilich nichts zu tun: Laut Mikrozensus lebten 2012 70,7 Prozent aller minderjährigen Kinder in Familien mit Trauschein, 9,4 Prozent in Lebensgemeinschaften und 19,9 Prozent bei Alleinerziehenden.

Das Bundesverfassungsgericht urteilte 2007, die Begrenzung der Kostenerstattung auf Ehepaare sei verfassungsgemäß; grundsätzlich sei eine Ausweitung der Leistungen aber auch nicht ausgeschlossen. Der Sprecher des Bundesversicherungsamts übersetzt: „Von der Entscheidung, den Bereich der künstlichen Befruchtung auf verheiratete Paare einzugrenzen, kann nur der Gesetzgeber selbst abrücken.“

Doch der Gesetzgeber schweigt, ebenso wie die Regierung. Das Bundesfamilienministerium unter Manuela Schwesig (SPD) etwa unterstützt, Stichwort demografischer Wandel, kinderlose Paare, die sich für eine künstliche Befruchtung entscheiden – quasi als Zusatzleistung zu den Erstattungen durch die Krankenkassen. Eine entsprechende Richtlinie über Finanzhilfen wurde bereits 2012 unter Schwesigs Vorgängerin Kristina Schröder (CDU) verabschiedet; die Bezuschussung erfolgt über die Bundesländer und jeweils danach, was diese für opportun halten: Sachsen-Anhalt etwa unterstützt auch unverheiratete Paare, verzichtet also auf das Kriterium der Ehe. Geklagt hat dagegen bislang niemand.

Der „besondere Schutz des Staates“

Doch anstatt ein Ende der Absurditäten zu fordern und für eine bundesweit einheitliche Regelung einzutreten, lässt die SPD-Bundesfamilienministerin ihren Sprecher sagen, man wolle „gerne an die federführenden Ministerien weiterverweisen“. Das Bundesgesundheitsministerium unter Hermann Gröhe (CDU) unterdessen verschanzt sich hinter dem „besonderen Schutz des Staates“ für Ehe und Familie, ohne dessen Logik in Bezug auf Gesundheitsleistungen erklären zu können. Derweil das Bundesjustizministerium unter Heiko Maas (SPD) sich als „nicht zuständig“ für das Sozialgesetzbuch erklärt.

Christiane Woopen, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, forderte in ihrem Schlusswort zur Jahrestagung übrigens eine Weiterentwicklung der gesetzlichen Regulierung. Manches Wichtige, so Woopen, sei entweder „gar nicht, unklar oder klar, aber gesellschaftlich umstritten“ geregelt. Wie es aussieht, bleibt diese Herausforderung den Gerichten überlassen.

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