Kommentar Kleiner Parteitag der Grünen: Kollektive Realitätsverleugnung

Im Sich-selbst-toll-Finden macht den Grünen keiner was vor. Diese Fehleinschätzung nimmt allerdings mittlerweile grotestke Formen an.

Eindeutig grün sind nur noch die Mikrofone: Simone Peter auf dem Kleinen Parteitag in Berlin. Bild: dpa

Fragen Sie sich manchmal, was eigentlich diese kleine sympathische Oppositionspartei macht? Hören wir kurz hinein in den Kleinen Parteitag der Grünen: Grün sei wieder da, rufen da wichtige Spitzenkräfte, jetzt werde frei aufgespielt, ganz ohne Ladehemmung. „Das Tief der Bundestagswahl ist überwunden“, findet Simone Peter. Frau Peter, das nur am Rande, ist die nicht mehr ganz neue Bundesvorsitzende der Grünen.

Den Grünen macht im Sich-selbst-toll-Finden schon lange keiner mehr was vor, und ein bisschen PR in eigener Sache geht auch in Ordnung. Aber das Ausmaß an kollektiver Realitätsverleugnung, das da in den Berliner Uferhallen zu besichtigen war, war dann doch zu grotesk. Alles ist gut? Nein. Wirklich nicht. Nichts ist gut bei den Grünen.

Die Misere beginnt ganz oben. Die im Herbst neu inthronisierte Spitze erweckt bisher nicht den Eindruck, die Partei aus der Krise führen zu können. Da funkelt nichts, da leuchtet nichts, da fehlt jene intellektuelle Klarheit, die eine verwirrte Partei dringend brauchte. Wenn etwa die Fraktionschefin verspricht, die „Bräsigkeit“ der GroKo anzuprangern, würde man sich wünschen, sie finge bei der des eigenen Spitzenquartetts an, das in etwa so viel Biss und Aroma wie ein schwabbeliger Tofuballen besitzt. Nun wäre eine schwache Führung allein kein auswegloses Dilemma, würde wenigstens die Partei vor Lebendigkeit strotzen.

Aber in wichtigen inhaltlichen Fragen verharren Linke und Realos weiter in ihrer selbst verordneten Sprachlosigkeit, obwohl sie himmelweit auseinanderliegen. Was tun mit dem moderat linken Finanzkonzept? Während die einen stoisch behaupten, man brauche trotz des Wahldesasters im Bund nichts zu verändern, fehlt den anderen jede Idee, wie man das verprellte Bürgertum wieder locken könnte. Statt über Steuer- und Wirtschaftspolitik zu streiten, philosophieren die Grünen lieber über gutes Essen, Zeitpolitik und, klar, irgendwie auch über Öko. Das ist hübsch und ungefährlich, aber auch verdammt langweilig.

Solche Ersatzhandlungen sind schon albern. Noch alberner ist es aber, die zu kritisieren, die wenigstens präsent sind. Jürgen Trittin sei in den Medien zu dominant, greinen Grüne öffentlich. Ja nun. Wo sind denn die klugen Gedanken des ehrgeizigen Nachwuchses? Hat er vielleicht nichts zu sagen? Und vor allem: Haben die Grünen keine anderen Sorgen?

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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