Die Wahrheit: Benutzt und erniedrigt

Euro-Urne (7 und Schluss): Heute erklärt uns Mark-Stefan Tietze, warum er niemals CDU wählen würde.

Bild: www.rattelschneck.de

Die Frage, warum ich mir lieber beide Hände brechen, abhacken und anschließend durch einen Fleischwolf drehen würde, als am Wahltag mein Kreuz bei der CDU zu machen, ist gar nicht so leicht zu beantworten – vielleicht gibt es einfach zu viele Gründe. Ganz am Anfang steht möglicherweise, dass ich es meinem Großvater auf dem Sterbebett versprochen habe. Ihm nämlich, Sohn eines schlesischen Arbeiterführers und Schwiegersohn eines Wiener Gewerkschafters, schwor ich als Kind in die zitternde, altersfleckige Hand: „Niemals im Leben werde ich die CDU wählen, Großvater, so wahr mir Gott helfe!„

Dies wurde übrigens jedem einzelnen Mitglied unserer Familie rigide abverlangt. Erst nachdem sämtlich alle siebzig Anverwandten unter Tränen jenen Eid geleistet hatten, der sie auf ewig gegen die Christdemokratie imprägnierte, konnte mein besorgter Großvater inmitten der kahlen Kantine der Siegener Arbeiterwohlfahrt (AWO) die Augen schließen und in Frieden von uns gehen.

Es haben sich später auch immer alle daran gehalten, außer einer entfernten und extrem ehrgeizigen Kusine, die sich stets für etwas Besseres hielt und sogar „baute“ (d. h. ein Eigenheim finanzierte), dafür allerdings auf seltsame Weise zu Tode kam. Sie ertrank in ihrem Swimmingpool beim Versuch, Asti Spumante aus einer Magnumflasche zu trinken und gleichzeitig Schwarzgeld zu waschen, das sie sich mit Versicherungsmakelei, Arzneimittelverunreinigung und Organhandel, wie es im CDU-Milieu immer heißt, „selbst erarbeitet“ hatte.

Neben diesen familiären existieren für mich auch handfestere Gründe, in diesem Leben nicht CDU zu wählen, ästhetische zum Beispiel. Parteienexperten sagen: Wenn man nur ein einziges Mal für die Christdemokraten stimmt, sei es rein aus Versehen oder bei vermeintlich unbedeutenden Europawahlen, ist es bereits möglich, dass einem Tommy-Hilfiger-Klamotten und Timberland-Segelschuhe an den Leib wachsen, dazu Burberry-Schals und Barbour-Jacken.

Geschieht so etwas ein zweites Mal, kauft man sich plötzlich einen BMW, einen Audi oder eine Harley sowie die besten Alben von Helene Fischer und Frei.Wild. Beim dritten Mal baut sich dann unvermittelt ein freistehendes, gegebenenfalls verklinkertes Haus um sich herum, mit Garage, Garten, Häuschen für die ganzen Geräte, Carport für den Zweitwagen und omnipräsenten Nachbarn, mit denen man in einem ständigen Renommierwettstreit um alles Mögliche liegt (wie Unkrautvernichtungsmittel, Weber-Grill, Drittwagen). Dafür hat man allerdings keine Sorgen mehr um seine Rente.

Hygienische Gründe

Schwer wiegen für mich indes die hygienischen Gründe, trotz dieses kleinen Heimvorteils doch besser die Finger davon zu lassen. Ehemalige CDU-Wähler berichteten mir, dass man sich nach dem Wahlakt beschmutzt und besudelt fühlt. „Hinterher“, sagte mir eine im Vertrauen, „wird einem schlagartig klar, dass man benutzt und erniedrigt wurde – nur um Typen wie Roland Pofalla und Volker Kauder eine anstrengungslose Karriere zu ermöglichen“. Und ein anderer klagt heute noch, nach Verlassen der Wahlkabine habe es bei ihm überall am Körper ekelhaft zu jucken begonnen, ganz so als habe er Sodomie mit Schutzbefohlenen betrieben, zum Beispiel mit Ameisen oder Flöhen. Bis zum Ende jener Legislaturperiode habe er noch unter Waschzwang gelitten und sei den Dämon erst beim nächsten Wahltermin losgeworden, als er ihn mit einem beherzten Kreuz bei der MLPD exorzierte.

In der Zwischenzeit, so bekannte der Bekannte schamesrot, sei er aber erstaunt gewesen, wie sehr ihn das CDU-Wählen verändert habe. Er habe Lust bekommen, Mittellose zu piesacken und Schwächere zu peinigen, Erfolglose zu verlachen und Gescheiterten ihr Scheitern auch noch zum moralischen Vorwurf zu machen. Wie besessen habe er anderen Leuten unbarmherzig ihre Fehler vorgerechnet (Scheidung, Sozialmissbrauch), bei eigenen Fehlern (Ehebruch, Steuervergehen) aber salbadernd darauf verwiesen, dass er schwach und fehlbar und letztlich auch nur ein Mensch sei. Geradezu verrückt sei ihm freilich vorgekommen, wie viel er sich plötzlich auf seine, wie es im CDU-Milieu immer heißt, „Leistung“ eingebildet habe, auch wenn die im Wesentlichen nur daraus bestehe, Mieteinnahmen zu verwalten und in Sessel zu pupsen.

Man sieht also: Auch psychologisch gibt es gute Gründe, niemals CDU zu wählen. Am Ende stellt sich für mich deshalb lediglich die Frage, was ich denn im Falle eines sogenannten unmoralischen Angebots tun würde. Würde ich auch dann nicht CDU wählen, wenn man mir eine Million Euro dafür gäbe? Nach reiflicher Überlegung und langwieriger Gewissenserkundung kann ich sagen: Nein, ich bin sicher, dass ich es auch dann nicht täte. Ich würde das Geld vielmehr einstecken und dann im Schutz der Wahlkabine, einer solchen Handlung charakterlich vollkommen angemessen, heimlich FDP wählen. Als frisch gebackener Millionär wäre ich praktisch zu diesem Schritt gezwungen, und ich schätze, selbst mein Großvater – Gott habe ihn selig – hätte dafür gerade noch Verständnis.

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