Mehr als Musik

JAZZCORE Weil der Betreiber ihres Labels Geburtstag hat, haben sich die Assassins Of God noch mal zusammengerauft. Von transkontinentalen Netzwerken vor dem Internet

Ein einziger ungerader Takt genügte, um eine tiefe ästhetische Verunsicherung zu erzeugen

VON ANDREAS SCHNELL

Die Achtzigerjahre – schon eine komische Zeit. Taugte eine Weile für schlechte Partys, auf denen die stilistischen Entgleisungen der Dekade nicht nur musikalisch wieder auflebten: Neon, toupierte Haare, jämmerliche Versuche, die Elektronik zum Zweck der Musikproduktion zu nutzen, was in pappigen Schlagzeugsounds und schmierigen Keyboardflächen mündete – oftmals zumindest.

Aber die Achtziger waren auch das Jahrzehnt, in dem das Anlauf nahm, was dann mit Nirvana explodierte und zur völligen Erosion dessen führte, was Jugendrebellion einmal war. Angetreten mit der Maxime „It’s more than music“ wollte Hardcore einst retten, was von Punk übrig geblieben war, abseits der Musikindustrie, in immer auch aus der Not und deren Wendigkeit heraus geknüpften Netzwerken, die schon bald nationale und kontinentale Grenzen überschritten. Black Flag waren Vorreiter dieser Bewegung, ihre Tourneen legendär, allesamt per Telefon aus dem einen Raum heraus gebucht, der der den Musikern als Proberaum, Hauptquartier und oft auch Schlafzimmer diente.

Über hastig zusammengetackerte Hefte tauschte sich die Szene aus, die Post muss gut an ihr verdient haben, auch wenn die Wiederverwendung von Briefmarken Standardhandwerk war. Es muss um 1981 gewesen sein, als in Kreuzberg das Fanzine Bonzen entstand, aus dem später das gleichnamige Label hervorging, das ab 1988 Bands wie Jingo De Lunch, die Ewings, Disaster Area, Schwarze Feuer, die Hostages Of Ayatollah und die Assassins Of God veröffentlichte.

Letztere kamen aus San Francisco und gehörten zu jenen Bands, die aus Hardcore andere Lehren gezogen hatten als „Schneller, härter, lauter“. Wie No Means No und Victim’s Family hatten sie sich umgehört und festgestellt, dass es noch mehr Musik da draußen gibt, die jene subversive Intensität verströmte, die an Punk und Hardcore in the first place so attraktiv war. Captain Beefheart, Pere Ubu, aber natürlich auch den radikaleren Jazz und die visionären Prog-Rock-Bands der frühen Siebzigerjahre. Verkürzt wurde das in einer Szene, die in Teilen immer dogmatischer und puristischer wurde, „Jazzcore“ genannt, ganz egal, ob da etwas swingte, ob improvisiert wurde oder frei gebratzt. Ein einziger ungerader Takt genügte, um eine tiefe ästhetische Verunsicherung zu erzeugen. Aber das war Ken Kearney, Ellen Schoenwetter und Bruce Ducheneaux, den Ur-Assassins, auch egal. Die Szene war Ende der Achtziger groß genug, um Subszenen zuzulassen. Das Community Center „The Farm“ war in diesem Sinne ein zentraler Bezugspunkt. In dem Gebäudekomplex in der damals noch nicht gentrifizierten Mission in San Francisco traf die eher klassisch orientierte Hardcore-Szene auf Nachbarn wie die Irren von den Survival Research Laboratories, es gab eine eigene Farm, eine Bücherei, eine Kunstgalerie.

Und hier trafen sich auch Chris Rankin und Hilary Binder, die Anfang der 90er-Jahre nach Tschechien zogen und in Tabor ein ähnliches Projekt aufzogen, unkommerziell, möglichst unabhängig von Subventionen, interdisziplinär, international connected. Ein Netzwerk, das es also gab, lange bevor das Internet unser aller Leben umkrempelte.

Dass die alten Netzwerke immer noch funktionieren, beweisen die regelmäßigen B.O.B.-Treffen in Bremen, Oakland und Bath, bei denen sich Punks aus den drei Städten treffen, Musik hören und feiern. Und durchaus auch praktischen Anteil an den Lebensumständen der jeweils andern nehmen – für ansonsten unbezahlbare Krankenhausrechnungen wird dann auch gern mal zusammengeschmissen.

Dorthin unterwegs sind Kicker aus Oakland, die, in ihren Reihen Musiker von Neurosis, Dystopia und Filth, auf dem Weg nach Bath auch in Bremen hereinschauen und ihren sympathisch unverschnörkelten Hardcore-Punk ganz im Geiste der frühen Achtziger herauskloppen.

■ Samstag (heute), 21 Uhr, Friese