Krise in der Ostukraine: Russischer Rückzug nicht erkennbar

Die an der Grenze zur Ukraine aufmarschierten russischen Truppen sollen abgezogen sein. Die Nato sieht das anders. In Donezk gab es Verletzte bei Demonstrationen.

In Donezk trafen prorussische Demonstranten und Anhänger der Kiewer Regierung aufeinander. Bild: reuters

MOSKAU/WASHINGTON dpa/afp | Die Nato hat den Angaben des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu über einen Abzug russischer Truppen aus dem Grenzgebiet zur Ukraine widersprochen. „Wir haben die Erklärung des russischen Verteidigungsministers gesehen“, sagte ein Nato-Diplomat im militärischen Hauptquartier in Mons (Belgien) am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa.

„Wir haben derzeit keine Informationen, die auf einen Abzug russischer Truppen von der ukrainischen Grenze hindeuten.“ Die Nato fordere Russland „weiterhin auf, gemäß der Vereinbarung von Genf zugunsten von Diplomatie und Dialog alle Truppen entlang der ukrainischen Grenze abzuziehen“.

Schoigu hatte am Montagabend während eines Telefonats mit seinem US-Kollegen Chuck Hagel gesagt, die Truppen seien abgezogen worden. Grund dafür sei die Beteuerung aus Kiew, die ukrainische Armee „nicht gegen unbewaffnete Zivilisten“ im Osten des Landes einzusetzen. Die Nato hatte am 10. April Satellitenbilder aus dem Grenzgebiet veröffentlicht und von 35.000 bis 40.000 dort stationierten russischen Soldaten gesprochen.

Laut einer Mitteilung des US-Verteidigungsministeriums hatte Schoigu in dem Telefonat versichert, dass russische Truppen nicht in die Ukraine eindringen würden. Die Situation bleibe gefährlich, sagte Hagel der Mitteilung zufolge, und drängte auf einen „verantwortungsvollen Weg nach vorn“. Die frühere Sowjetrepublik habe das Recht, innerhalb seiner Landesgrenzen Recht und Ordnung herzustellen, sagte Hagel.

Zudem bat er seinen russischen Amtskollegen um Unterstützung bei der Freilassung des festgehaltenen Teams von OSZE-Militärbeobachtern, zu dem auch vier Deutsche gehören. Beide Minister erkannten die Notwendigkeit für „fortlaufende Gespräche“ in der Krise um das osteuropäische Land.

Neue Sanktionen gegen Russland

Die Bundesregierung verlangte vom selbst ernannten Bürgermeister der Separatisten-Hochburg Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, das Team „unverzüglich, bedingungslos und unversehrt“ freizulassen. Ponomarjow lassen solche Appelle bislang jedoch kalt.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier forderte in einem Telefonat mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow mehr Engagement von der Regierung in Moskau, um die Gefangenen freizubekommen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verlangte die Freilassung der OSZE- Beobachter, „unverzüglich, unverletzt und ohne Bedingungen“.

Die Separatisten werfen ihren Gefangenen „Spionage für die Nato“ vor und erwägen einen Austausch mit inhaftierten Gesinnungsgenossen. Die prowestliche Regierung in Kiew lehnt dies ab.

Die EU und die USA machten am Montag ihre Drohungen wahr und verhängten neue Sanktionen gegen russische Regierungsmitglieder, Unternehmen und Manager. Die US-Regierung bezeichnete die zusätzlichen Einreiseverbote und Kontensperrungen als „Antwort auf Russlands anhaltende illegale Intervention in der Ukraine und provokative Handlungen, die der Demokratie in der Ukraine schaden“.

Statt seine Verpflichtungen aus dem Genfer Friedensplan vom 17. April zu erfüllen, habe Moskau die Krise gar noch angefacht. Prominente Namen auf der US-Liste sind etwa Vizeregierungschef Dmitri Kosak und der Chef des staatlichen Ölkonzerns Rosneft, Igor Setschin.

Einreiseverbote und Kontensperrungen

Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow sprach nach Angaben der Agentur Interfax von einem Realitätsverlust der USA. Der Sanktionstext verkenne vollständig die Vorgänge in der Ukraine. Der Minister kündigte Gegenmaßnahmen an.

Der ukrainische Übergangsministerpräsident Arseni Jazenjuk hofft indes auf eine Reaktion Russlands auf die neuen Sanktionen. Nur, wenn die internationale Gemeinschaft gemeinsam handle, könne Moskau dazu gebracht werden, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und internationale Gesetze zu achten. „Das ist unsere einzige Chance. Die einzige Chance für mein Land und meine Regierung zu überleben“, sagte Jazenjuk im Interview der Deutschen Welle.

Die USA stimmten sich in der Sanktionsfrage mit den Europäern ab. Die Regierungen der 28 EU-Staaten beschlossen am Montag Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen 15 Personen, wie der EU-Ministerrat in Brüssel mitteilte. Damit wächst die Gesamtzahl der von solchen EU-Maßnahmen betroffenen Russen und prorussischen Ukrainer auf 48.

Zunächst blieb unklar, wer auf die ergänzte EU-Sanktionsliste gesetzt wurde. Diese wird aller Voraussicht nach erst am Dienstagvormittag im EU-Amtsblatt veröffentlicht, wie es in Brüssel hieß.

Hagel aus Steinen

Mindestens 14 Menschen sind im ostukrainischen Donezk bei Zusammenstößen zwischen prorussischen Aktivisten und Anhängern der Regierung in Kiew verletzt worden. Einige der mit Schlagstöcken und Messern bewaffneten prorussischen Angreifer warfen bei der Demonstration am Montag Steine und Blendgranaten auf die Demonstranten in der Regionalhauptstadt, wie ein AFP-Reporter berichtete. Die Polizei versuchte demnach vergeblich, die Gruppen auseinanderzuhalten.

Den rund 1000 Kiew-treue Demonstranten standen etwa 500 prorussische gegenüber. Steinwürfe hätten 14 Menschen verletzt, darunter einen Journalisten, teilten die Behörden mit. Ein Demonstrant sprach von einem regelrechten „Hagel von Ziegel- und Pflastersteinen“. Die Lage im Osten der Ukraine ist seit Wochen stark angespannt. In rund einem Dutzend Städten der Region halten prorussische Milizen Polizeiwachen und Verwaltungsgebäude besetzt.

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