Die Wahrheit: Sedierte Rebellen

An nur zwei Tagen im Jahr haben alle Pubs und Schnapsläden Irlands geschlossen. Aber auch bei diesen Gelegenheiten finden sich Schleichwege zum Alkohol.

Ostern ist vorbei, der Karfreitag ist es erst recht. Gott sei Dank. Es ist neben Weihnachten der einzige Tag, an dem im katholischen Irland Pubs und Schnapsläden, die „Off-Licences“, geschlossen sind. Entsprechend groß war der Andrang am Gründonnerstag. Der Weinhändler meines Vertrauens, dessen Laden die Ausmaße einer Kirche hat, musste für den Tag drei zusätzliche Mitarbeiter einstellen.

Die Regierung hatte eine halbe Million Euro für eine Anzeigenkampagne bereitgestellt, mit der die Nation daran erinnert werden sollte, sich rechtzeitig vor Karfreitag mit Alkoholika einzudecken. Dennoch ignorierte auch in diesem Jahr wieder so mancher die Warnung. Am Karfreitag standen allein im Großraum Dublin 122 Menschen ohne Alkohol da. Dafür mussten sie büßen. Geschäftstüchtige Mitbürger hatten sich Vorräte angelegt, die sie auf dem Schwarzmarkt zu exorbitanten Preisen verhökerten.

Es ist eine Art irischer Nationalsport, dem Alkoholverbot am Karfreitag ein Schnippchen zu schlagen. Viele, die an einem normalen Wochentag keinen Tropfen anrühren, setzten alles daran, um am Karfreitag zügig ins Delirium zu gelangen. Das ist leider alles, was vom Rebellengeist der Iren übrig geblieben ist.

Ich will mich davon gar nicht ausnehmen. Vor vielen Jahren verbrachte ich an der irischen Nordwestküste einen Osterurlaub mit dem schriftstellernden Hooligan John McGuffin und einem ständig Joints rauchenden Elektriker, der wegen seines Berufes Sparky genannt wurde. Der Wirt der kleinen Dorfkneipe mochte uns, weil wir seinen Umsatz erheblich steigerten, und so verabredeten wir ein geheimes Klopfzeichen für den Karfreitag.

Unglücklicherweise bestand Sparky darauf, vor dem illegalen Kneipenbesuch noch einen Joint zu drehen. Die Folgen waren fatal. Der Wirt öffnete auf unser Klopfzeichen erfreut, und im Handumdrehen hatte er drei große Biere gezapft. Er versuchte wie immer, uns in ein Gespräch zu verwickeln, worauf vor allem McGuffin stets freudig angesprungen war. Doch diesmal hockten wir schweigend auf den Barstühlen und hielten uns anderthalb Stunden lang an unserem Glas Bier fest. Am Ende wurde es dem Wirt zu bunt, und er warf uns hinaus. Wenn er schon seine Lizenz riskiere, müsse es sich wenigstens lohnen, rief er uns hinterher. Später gestand Sparky, dass sein Joint diesmal nicht sein selbst angebautes Gras enthalten hatte, sondern Opium, das er in einer chinesischen Spelunke in Belfast günstig erstanden hatte. Ob er noch bei Sinnen sei, wollten wir wissen. Gegen das Betäubungsmittelgesetz konnte man schließlich täglich verstoßen, aber gegen das Ausschankverbot nur zwei Mal im Jahr. Beim Wirt waren wir unten durch. Er glaubte, dass uns der Katholizismus übermannt hatte und wir wegen Gewissensbissen sein Bier verschmäht hatten. Unser Argument, dass wir abends gegen das karfreitägliche Fleischverbot verstoßen und einen Truthahn verspeist hatten, ließ er nicht gelten. Es gebe ja keine Zeugen. Wahre Rebellen hätten das Tier in aller Öffentlichkeit vor der Kirche verzehrt, meinte er.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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