„Zeit“ mit Hansestadt-Teil: Hyperlokales Hamburg

Am Donnerstag erscheint die Wochenzeitung „Zeit“ erstmals mit einem Hamburg-Teil. Online will sie dafür mit Stadtteil-Blogs zusammenarbeiten.

Hamburg, meine Perle: Frühling an der Elbe. Bild: dpa

Noch ist Hamburg Axel-Springer-Land, wenn es um die lokalen Printmedien geht. So ist das halt seit der Nachkriegszeit. Es gibt die Tageszeitungen Bild und Welt mit Hamburg-Teil und das Hamburger Abendblatt, das noch zu Springer gehört, aber bereits an die Funke Mediengruppe verkauft wurde. Dazu gesellen sich die Kleinen: die Boulevardzeitung Mopo und die taz.nord.

Blickt man auf die Bezirke in Hamburg, so sind diese von der medialen Berichterstattung gut abgedeckt. Das hat die Hansestadt nicht unbedingt den sogenannten traditionellen Medien zu verdanken, sondern den hyperlokalen Blogs, die junge Journalisten in den letzten Jahren in den Bezirken gegründet haben.

Meist berichten die Blogs nur aus einem Bezirk oder wenigen Stadtteilen. Hyperlokal ist gleichzeitig eine Spezialisierung, die die Tageszeitungen in der Stadt so nicht leisten. Sie müssen es auch nicht, denn schon heute gibt es Kooperationen zwischen den Bloggern und den etablierten Medien in der Hansestadt.

Die Blogs, meist zwei Jahre alt, sind die Eimsbütteler Nachrichten im Bezirk Eimsbüttel, HH-Mittendrin für den Bezirk Mitte, Wilhelmsburg Online für den Südwesten und das bezirksübergreifende Magazin Elbmelancholie. Themen: Lokalpolitik, Gesellschaft, Kultur und Digitales.

Breite Wahrnehmung erlangten die Internetmagazine Anfang dieses Jahres, als Teile von St. Pauli, der Sternschanze und Altona von der Hamburger Polizei zum „Gefahrengebiet“ ernannt wurden. Der Ernennung vorangegangen war ein Angriff auf die Davidwache, eine Polizeistation auf St. Pauli. Die Lage eskalierte wegen mehrerer schwelender Ereignisse; die ungeklärte Situation von Flüchtlingen aus Lampedusa auf St. Pauli, der drohende Verkauf des linken Kulturzentrums Rote Flora und die anstehende Räumung von Wohnhäusern auf dem Kiez („Essohäuser“).

Neun Tage im Gefahrengebiet

Während der neun Tage, die Hamburg als Gefahrengebiet galt, durften Polizeibeamte ohne konkreten Verdacht Ausweiskontrollen durchführen. Es kam zu spontanen Demonstrationen, von denen die Redaktion von HH-Mittendrin live berichtete und twitterte.

Auch Charlotte Parnack, Print-Redaktionsleiterin der heute erscheinenden neuen Hamburg-Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit, spürte an diesen Tagen, „dass es in Hamburg wunderbare Blogs gibt“. Die Blogger seien ganz nah dran gewesen, dadurch habe sich ganz viel bewegt. „Die Blogs haben wie so kleine Flitzer die Stadt abgebildet.“

Das schafften die 24-jährige Isabella David, Chefredakteurin von hh-mittendrin.de, und ihre KollegInnen auch durch eine von Open Data City entwickelte Applikation namens „Call-a-Journalist“. Open Data City hat sich auf die journalistische Aufbereitung von Daten spezialisiert. Die App ermöglichte den Hamburger Bürgern während der Proteste rund um die Ernennung des Gefahrengebiets den Ruf nach einem Journalisten, wann auch immer sie meinten, einen zu brauchen. Momentan fungiere die App als „Esso-Watch“, um den bevorstehenden Abriss der Essohäuser auf St. Pauli zu begleiten. In Zukunft werde die App gezielt bei größeren Demonstrationen genutzt, kündigt David an.

Die Zeit will die „kleinen Flitzer“ deshalb stärker an sich binden. Sie sollen ihre Texte zukünftig auch im Onlineteil der Hamburger Zeit veröffentlichen können. Auch bekannte Hamburger Blogger wie Nico Lumma, Michalis Pantelouris oder Erik Hauth würden für die Hamburg-Zeit über politische, gesellschaftliche und kulturelle Themen schreiben, so Parnack. „Wir wollen den Hamburger Bloggern auf Zeit Online damit ein Schaufenster schaffen und zeigen, was es im Onlinejournalismus in Hamburg schon alles gibt.“

Kirche, Wissenschaft, Theater

Anlässlich der ersten Ausgabe der Hamburger Zeit hat das Blatt in der Hansestadt von gestern auf heute „Die Lange Nacht der Zeit“ veranstaltet. Mit Lesungen und Podiumsdiskussionen sowie anderen Veranstaltungen an 22 Orten in der Stadt. Die Hamburger kennen diese Nächte. Es gibt sie mit dem Zusatz „Kirche“, „Wissenschaft“, „Theater“ und „Museen“.

Nun also eine ganze Nacht für die erste Hamburger Lokalausgabe der Zeit, die dank der guten Anzeigenlage vierzehn statt acht Seiten haben. „Die Zeit hat mit verschiedenen regionalen Ausgaben sehr gute Erfahrungen gemacht. In der Schweiz, in Österreich, im Osten Deutschlands. Wir sind reif für eine lokale Ausgabe und glauben, dass genug Erfahrung da ist“, sagt die 31-jährige Parnack: Die Zeit sei mit ihrem Verlags- und Redaktionssitz in der Hansestadt bereits sehr verwurzelt.

Die Zeit ist allerdings nicht das erste Printmedium in Hamburg, das eine Kooperation mit den hyperlokalen Bloggern beginnt. Die erste Zeitung war die taz.nord, die mit HH-Mittendrin zusammenarbeitet. Dabei schreiben die jungen Journalisten exklusive Stücke für die taz, aber auch Zweitverwertungen der Bloginhalte kommen ins Blatt.

Für David zeigt die Ausspielung von Inhalten auf beiden Wegen, dass die Gräben zwischen Online- und Printjournalismus leicht zu überwinden sind. „Die On-offline-Diskussion ist albern“, sagt David. Aber: „Das Gefälle sieht man leider immer noch am ehesten bei den Gehaltsschecks.“ Sie ist gespannt, wie sich die Hamburger Zeit von anderen Medien abheben wird und wie sich die Lokalausgabe langfristig entwickelt.

Die Gründungen der Medien von Parnack und David sind das Ergebnis einer publizistischen Lücke. Für David ist die Hamburger Medienlandschaft eher konservativ und an manchen Stellen zu unkritisch. „Auch in zentraleren Stadtteilen gibt es durchaus Lücken in der Berichterstattung, was man zunächst gar nicht erwarten würde.“

Das „Abendblatt“ reagiert

Darauf scheint nun auch das Abendblatt zu reagieren: Am Dienstag startete die Zeitung einen St.-Pauli-Blog. Außerdem kündigte Axel Springer den gemeinsamen Vertrieb des Abendblatts und der Zeit. Zukünftig wird die Wochenzeitung mit der Post ausgeliefert.

Dennoch sagt eine Sprecherin des Unternehmens, dass man den „Markteintritt der Zeit-Ausgabe gelassen“ sehe. Allein mit Blick auf die unterschiedlichen Erscheinungstage bediene die Zeit andere Leserbedürfnisse als das Hamburger Abendblatt.

Leserbedürfnisse erfüllen – genau das versuchen auch die Blogs in ihren Stadtteilen. Sie bleiben dabei aber im Medienmarkt die kleinsten Spieler, die am besten jede Kooperation mitmachen und sich nicht zu laut beschweren, wenn die eigenen Geschichten von den etablierten Medien abgekupfert werden. Es gilt also, um die Gunst von Leserinnen und Lesern zu buhlen, die bislang nicht selbstverständlich zum Geldbeutel greifen. „Wir bekommen viele positive Rückmeldungen, deshalb sprechen wir unsere Leser auch direkt aufs Bezahlen an“, sagt David. „Ziel ist, von unserer Arbeit leben zu können.“

Demnächst sollen eigene Redaktionsräume angemietet werden. Finanziert werden soll das durch eine Crowdfunding-Kampagne. Eine Paywall – wie sie beispielsweise Abendblatt.de hat – will David aber nicht errichten: „Das können wir uns als kleines Magazin nicht erlauben, das ist auch nicht unser Ideal von Onlinejournalismus.“

Die Autorin schreibt für das Blog Elbmelancholie

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.