Dresdener #Bombergate: Piratinnen feiern Bomber Harris

Die Piratenpartei klärt ihre politische Grundausrichtung. Anlass ist die Aktion zweier Piratinnen, die für die Dresden-Bombardierung dankten.

Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Aktion von Femen … Bild: archiv

BERLIN taz | Die Piraten diskutieren derzeit darüber, wo die Partei sich im politischen Spektrum verorten soll. Die Vorstände mehrerer Landesverbände werden auf der nächsten Mitgliederversammlung Anträge einreichen, die die Piraten ausdrücklich als „sozialliberale Partei“ positionieren. Die Landesvorstände reagieren damit auf das „Bombergate“, das die Piraten bereits seit Tagen beschäftigt.

Am 13. Februar hatten zwei Piratinnen in Dresden dem britschen Luftwaffenbefehlshaber Arthur Harris für die Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg gedankt. Die eine Piratin: SeeroiberJenny:Anne Helm, die auf Platz fünf der bundesweiten Liste für die Europawahl kandidiert und einzieht, wenn die Piraten fünf Prozent bekommen. Die andere: Debbie_Anna&oldid=2100774:Mercedes Reichstein, die in Berlin als Landesvorsitzende Parteitag/2014.1/Kandidaten/DebbieAnna:kandidiert und am 7. Februar aus Protest gegen Putin eine Brandflasche auf die russische Botschaft in Berlin geworfen hatte.

Die Debatte bei den Piraten nahm zunächst nur langsam an Fahrt auf, denn die beiden Piratinnen waren nicht unmittelbar zu erkennen: Sie hatten sich maskiert und die Aktion nicht unter Piratenflagge, sondern mit dem Femen-Symbol der zwei Kreise mit einem senkrechten Strich (symbolisiert Eierstöcke) ausgeführt.

Femen allerdings distanzierte sich per Facebook von der Aktion: „Wir bedauern, dass eine Aktivistin die Initiative ergriffen hat diese Aktion durchzuführen, welche weder mit der Ideologie noch mit dem FEMEN-Hauptoffice übereinstimmt.“

Femen wies auch darauf hin, die Gruppe stehe „für Frieden und Gewaltlosigkeit und kann den Slogan zur Unterstützung vom dem Tod von tausenden unschuldigen Opfern in Dresden nicht unterstützen. Krieg bedeutet Tod und großes Leid, vor allem für Frauen und Kinder.“ Femen lehnt außerdem Vermummung ab und erläuterte, dass „mit unserer wahren Identität in der Öffentlichkeit stehen und somit die Verantwortung für die Aktionen tragen“.

… entpuppt sich bei einem zweiten Blick auf den Gürtel und das das Tatoo am rechten Arm … Bild: Picturealliance/Geisler-Fotopress

Tattoo-Vergleich

Bei den Piraten begann die Debatte um die Aktion, als Abgeordnete aus Berlin das Foto von der Aktion in Dresden über Twitter weiterverbreiteten. Schnell fiel dann auf, dass es sich bei der einen angeblichen Femen-Aktivistinnen um Anne Helm handelt: Ein älteres, unvermummtes Bild zeigt sie mit dem gleichen Herz-Tatoo am rechten Handknöchel und mit dem gleichen auffälligen braunen Gürtel mit drei metallischen Gürtelschlaufen neben der Schnalle. Mercedes Reichstein ist durch ihr Tattoo mit dem schwarzen Stern unter der linken Brust erkennbar.

Anne Helm und Mercedes Reichstein haben sich bis heute noch nicht selbst dazu geäußert, ob sie die vermummten Frauen sind. Der Bundesvorstand der Piraten verbreitet allerdings eine politische Erklärung von Anne Helm zur Bombardierung Dresdens.

… als Piraten-Europakandidatin Anne Helm. Bild: Internet

Darin heißt es, die Stadt „war als Produktionsstandort und Umschlagplatz für die näherrückende Front alles andere als ein nicht-militärisches Ziel. Den Berichten von Zeitzeugen wie etwa Victor Klemperer folgend, stand ein Großteil der Bevölkerung noch hinter dem Naziregime. Klemperer, dessen Deportation aufgrund seiner jüdischen Herkunft kurz bevorstand konnte letztendlich durch das Bombardement fliehen.“

Deutschland hat angefangen

In der Erklärung heißt es weiter, es sei „selbstverständlich zu betrauern, dass den Luftangriffe auch Unschuldige zum Opfer fielen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass dieser Krieg von Deutschland ausging und dass die ersten Städte, die durch Bombenangriffe zerstört wurden, der Luftwaffe zum Opfer fielen.“

Anne Helm schreibt, sie freue sich über die Proteste gegen die Neonazi-Aufmärsche in Dresden. „Den alliierten Streitkräften zu danken, die das Nazi-Regime besiegten, sehe ich nicht als falsch an. Kriegsopfer dürfen jedoch keinesfalls verhöhnt werden. Das hat kein Mensch verdient, weder die, die ihre Leben verloren, noch die Überlebenden.“

Parteiintern werden nun heftig Argumente ausgetauscht, es gibt inzwischen tausende Tweets mit dem Hashtag „Bombergate“. Das ehemalige Bundesvorstandsmitglied Julia Schramm findet die Aktion gut. „Sauerkraut, Kartoffelbrei – Bomber Harris, Feuer frei!“, schreibt sie auf Twitter. Das Wort „Kartoffelbrei“ bezieht sich darauf, dass die Deutschen („Kartoffeln“) in Dresden zu Brei gebombt wurden.

Abgeordnete kritisiert Molotov-Cocktails

Die Berliner Piraten-Abgeordnete Susanne Graf kritisiert sowohl die Aktion in Dresden als auch die vor der russischen Botschaft. „Molotov-Cocktails werfen ist nicht akzeptabel, Massenmord schönigen ist es ebenfalls nicht“, schreibt sie auf Twitter. Sie „dachte auch eigentlich, dass das so zum Selbstverstädnis eines demokratischen Menschen dazugehört“, ergänzt sie. Der Bundesvorstand erklärt: „Die Aktion selbst war keine Aktion im Namen der Partei. Wir identifizieren uns nicht damit und heißen sie auch nicht gut.“ Der Bundesvorstand verweist darauf, dass Anne Helm „massiven Anfeindungen aus dem rechten Spektrum ausgesetzt“ ist, die Vorstandsmitglieder „sprechen ihr hierzu unsere Solidarität aus“.

Das ehemalige Bundesvorstandsmitglied Christophe Chan Hin dagegen positioniert sich im Lager der Antideutschen. Er schreibt auf Twitter, er unterstütze ausdrücklich einen Blogbeitrag von „Kpeterl“, in dem es über die Bombardierung Dresdens heißt: „Dem Angriff ging der Wunsch voraus, den Krieg und damit das Leiden von Millionen Menschen zu beenden.“ Es sei „vollkommen absurd, den kriegsbedingten Bombenangriff auf Dresden als Massenmord zu bezeichnen“. Es sei dabei um etwas anderes gegangen: „Ein Land, das dutzende Länder überfallen hat und Millionen von Toten verschuldet hat, das neben den Verbrechen der Shoa und dem Porajmos andere Menschen wegen ihrer ‚Rasse‘ und anderem vernichtet hat, musste niedergerungen werden.“

Links oder sozialliberal?

Bei der Piraten bricht nun wieder die Auseinandersetzung aus, wie sie sich eigentlich positionieren wollen: Als eindeutig linke Partei oder als Sozialliberale? Zuletzt kochte die Debatte im Januar hoch, als einige Mitglieder kritisierten, dass in der Veranstaltungshalle eine Antifa-Fahne und die schwarz-rote Fahne des Anarchosyndikalismus hing.

Mehrere Landesverbände wollen jetzt eine Richtungsentscheidung herbeiführen. In einem Antrag des Landesvorstandes NRW und einem fast wortgleichen Antrag des Landesvorstandes Niedersachsen heißt es: Die Partei „bekennt sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Art. 21 II Grundgesetz, eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt.“ Man betrachte die Piraten, so heißt es dort ausdrücklich, „als sozialliberale Partei“.

Die beiden Landesvorstände kritisieren zudem die Aktion in Dresden: „So sehr man den Alliierten für die Befreiung vom Nationalsozialismus dankbar ist, so wenig war unserer Meinung nach diese Aktion geeignet, um darauf aufmerksam zu machen. Ein sensibles Thema wie der 2. Weltkrieg verlangt eine sachliche Auseinandersetzung und keinen Populismus.“

„Das Tätervolk verteidigt sein Deutschsein“

Aus Berlin dagegen gibt es prominente Unterstützung für die beiden Piratinnen. Der Fraktionsvorsitzende der 15 Piraten im Abgeordnetenhaus, Oliver Höfinghoff, twittert: „Wer das Bombardement von Hamburg oder Dresden als ‚Massenmord‘ bezeichnet, zeigt im günstigsten Fall seinen Mangel an historischer Bildung!“ Er schreibt: „Wann kapiert dieses Deutschland endlich, dass eine Entnazifizierung heute so nötig ist, wie eh und je.“ Den Kritikern wirft er vor, „das Tätervolk verteidigt lieber sein Deutschsein! Na herzlichen Dank!“ Er unterstützt Anne Helm: Solidarität mit ihr sei „wichtiger als Deutschland!“

Dem NRW-Landtagsabgeordneten Robert Stein reicht es: Er begründete seinen Austritt aus der Piratenpartei mit der Debatte. „Niemand distanziert sich. Niemand ruft zur Räson auf“, zitiert ihn der Westfälische Anzeiger.

Mitglieder-Exodus

In Hessen haben laut dem Landesvorstand bereits viele Mitglieder die Hoffnung aufgegeben, die Piraten noch vom antideutschen Kurs abbringen zu können: „In den letzten Tagen haben viele Menschen ihren Austritt aus der Piratenpartei erklärt“, heißt es in einer Pressemitteilung. Der Vorstand positioniert sich dabei gegen die Antideutschen: „Wir wollen keinen Zweifel aufkommen lassen, dass wir diese geschmacklose Aktion ablehnen“, heißt es in der Erklärung. „Wir verurteilen jegliche Verhöhnung von Kriegsopfern.“

Der Vorstand der Piraten in Bayern versucht, durch eine Erklärung den Mitglieder-Exodus noch aufzuhalten: „Wir rufen alle bayrischen Mitglieder auf, die aufgrund der Aktion in Dresden über einen Austritt aus der Piratenpartei nachdenken, zu bleiben und innerhalb der Piratenpartei für unsere Ideale Freiheit, Transparenz und Teilhabe einzutreten.“

Auch der Thüringer Landesvorstand hat sich zu Wort gemeldet. Er kritisiert neben dem Aktion in Dresden auch auch die Anti-Putin-Aktion von Mercedes Reichstein: „Ebenso ist ein Brandsatz gegen die russische Botschaft für uns als Piraten kein Mittel politischer Auseinandersetzung.“

In der Nacht auf Freitag schließlich griffen auch die Systemadministratoren der Partei in die Debatte ein und legten in einem Warnstreik große Teile der Technik lahm: Das Piraten-Wiki läuft nicht mehr, Mailinglisten sind tot, auch die Telefonkonferenz-Infrastruktur ist abgeschaltet. In einer Erklärung zu dem „Orgastreik“ heißt es: „Wir haben lange zugesehen, wie sich diese Partei politisch entwickelt, und haben uns immer weiter auf unsere heile Insel Verwaltung und IT zurückgezogen, in der Hoffnung, dass es auch wieder besser wird. Das war offensichtlich keine gute Idee.“ Die Partei sei 2006 gegründet worden, „um sich für Freiheit, Bürgerrechte und Mitbestimmung zu engagieren. Wir fordern eine Besinnung auf diese ursprünglichen Ziele.“

Immerhin ist durch die Aktion der Administratoren auch die Austrittswelle beendet, wie der ehemalige politische Geschäftsführer Johannes Ponader twittert: „Das beste ist ja, dass jetzt auch das Austrittsformular offline ist.“

Zum Weiterlesen

Matze's Blog: Vom Bombergate und dem Umgang damit

Beiträge aus dem beschädigten Leben: Piraten und ein Bombergate

Piratensumpf: Eine Stellungnahme ohne Aussage

Paranoidalknoten: Orgastreik

ballerstaedt: Der Aufschrei der Leisen

Fabio Reinhardt: It´s about Framing – Ein (Er-)klärungsversuch

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