Kommentar Snowden nach Deutschland: Heuchelei und Nichtstun

Alles spricht dafür, Edward Snowden nach Deutschland zu holen. Doch die große Koalition hat zu viel Angst vor diplomatischen Verwerfungen.

Willkommen im Land der Fahrradfahrer: In Köln hat Edward Snowden Unterstützer. Bild: dpa

Alles spricht für ein Himmelfahrtskommando. Wenn demnächst der NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag die Arbeit aufnehmen sollte, dann möglicherweise mit einem Paukenschlag. Edward Snowden soll als erster Zeuge geladen und aus dem Moskauer Exil eingeflogen werden.

Die Koalition wird das zu verhindern wissen. Zu mächtig ist die Angst vor der Staatsaffäre und den Sanktionen des großen Partners USA. Zu heikel die Aussicht, am Ende abgeschnitten von allen Erkenntnissen der US-Geheimdienste zu sein – die bisher dankend genutzt wurden. Zu fraglich, ob Snowden juristisch tatsächlich als politisch Verfolgter geführt werden kann. Und schließlich: zu schwindend der internationale Rückhalt für einen solchen Schritt, wie das Votum des Innenausschusses am Mittwoch im Europaparlament unterstrich, das Snowden keine Schutzgarantien zubilligen will.

Und dennoch: Wenn all die Entrüstung der deutschen Regierung über die Massenausspähung, gerade auch aus der SPD, mehr gewesen sein soll als Heuchelei, muss Deutschland auch reagieren. Bisher allerdings folgte nur: devotes Nichtstun.

Was aber hat Deutschland tatsächlich zu verlieren? Lässt sich das transatlantische Verhältnis stärker ruinieren als durch millionenfaches Abgreifen von Kommunikationsdaten und Regierungshandys? Selbst die Ansage der US-Geheimdienste, dies künftig zu unterlassen, bleibt aus. Was also haben eigentlich die USA zuletzt für die Partnerschaft getan? Eben.

Und hinter allen geopolitischen Strategiegedanken steckt eine noch größere Frage: die moralische. Denn dem Mann, der die weltweite Überwachungsaffäre aufdeckte, droht weiter eine jahrzehntelange Haftstrafe. Dabei ist er dem Rechtsstaat nur beigesprungen. Anders sind politische Empörung und eingeleitete Untersuchungsausschüsse nicht erklärbar. Jetzt allein Erkenntnisse aus seinen Enthüllungen abzustauben, ist nicht nur billig. Es ist illegitim. Deutschland ist in der humanistischen Pflicht, dem Aufklärer Schutz zu gewähren.

Snowden hat erklärt, dass er bereit ist, hierzulande einzureisen und auszusagen. Und er hat auch einen deutschen Anwalt, der das juristisch für möglich hält. Nix Himmelfahrtskommando: Alles spricht für den Plan, Snowden nach Deutschland zu holen.

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Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort, seit 2014. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Bis 2014 vier Jahre lang Teil des Berlin-Ressorts der taz. Studium der Publizistik und Soziologie.

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