Zentralafrikanische Republik: Staat außer Kontrolle

Die neue Übergangsregierung hat die Zentralafrikanische Republik nicht stabilisiert. Niemand hat die Milizen im Griff, selbst die eigenen Anführer nicht.

Mitgenommen: Plünderer decken das Dach einer Moschee in Bangui ab. Bild: ap

Zwei Jugendliche haben ein Sofa ergattert, andere schleppen Sessel, Holzplanken, Wellblech davon. Immer mehr junge Männer schließen sich den Plünderern an. Dann ertönen Schüsse aus dem Innern des Hauses. Einige der Neuankömmlinge stieben davon. Die anderen machen ungestört weiter.

Im Bangui dieser Tage sind Szenen wie diese Normalität. Überall in der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik wird geplündert, geraubt, geschossen, gemordet.

„Schauen Sie sich an, wie wir unser Land ruinieren“, sagt Narzisse Bozangé, ein Nachbar, der vor Wut und Hilflosigkeit zittert. „Wir haben zu fünft versucht, das Haus zu bewachen. Aber sie sind bestimmt fünfzig und bewaffnet.“ Dabei gehöre das Haus „noch nicht einmal“ einem Muslim, wie Bozangé es formuliert, sondern sei lediglich an einen General der ehemaligen Rebellengruppe Séléka vermietet gewesen. Der General sei längst geflohen. Seitdem stand das Haus leer.

Das Land: Das dünn besiedelte, mehrheitlich christliche Land im Herzen Afrikas hat seit der Unabhängigkeit 1960 nur selten stabile politische Verhältnisse erlebt. Im Jahr 2003 wurde der gewählte Präsident Ange-Félix Patassé von seinem Armeechef François Bozizé, zugleich Führer einer christlichen Pfingstkirche, gestürzt. Gegen dessen zunehmende Vetternwirtschaft erhob sich Protest.

Die Séléka: Im März 2013 ergriffen Rebellen aus dem muslimischen Nordosten des Landes unter dem Namen Séléka (Allianz) in Bangui die Macht. Ihr Führer Michel Djotodia wurde Staatschef.

Die Anti-Balaka: Nachdem die Séléka zahlreiche Gräueltaten beging, griffen auch christliche Dorfmilizen zu den Waffen. Ein Großangriff dieser sogenannten Anti-Balaka-Milizen auf Bangui am 5. Dezember 2013 provozierte eine Militärintervention Frankreichs, die sich hauptsächlich gegen die Séléka richtete.

Die neue Regierung: Am 10. Januar 2014 trat Djotodia zurück. Catherine Samba-Panza wurde Interimspräsidentin einer Allparteienregierung. Die Gewalt geht jedoch weiter. Bei wechselseitigen Massakern gab es mittlerweile Tausende Tote. Inzwischen sind vor allem Muslime die Opfer, da die Séléka - weitgehend zerschlagen durch französische Truppen - sie nicht mehr schützen kann. (D.J.)

Nach Angaben des Roten Kreuzes vom Wochenende wurden allein in Bangui innerhalb von vier Tagen 43 Menschen getötet; 71 wurden verletzt. Längst nicht mehr verlaufen die gewalttätigen Auseinandersetzungen in dem Krisenstaat entlang der Religionsgrenzen wie zunächst nach dem Putsch der überwiegend muslimischen Rebellenkoalition Séléka im März 2013.

Putschistenführer Michel Djotodia wurde zum Übergangspräsidenten ernannt und übernahm die Macht in dem mehrheitlich christlichen Land. Die Rebellen begingen schwere Kriegsverbrechen an der christlichen Bevölkerung, die ihrerseits bewaffnete Gruppen bildete. Unter dem Namen „Anti-Balaka“ – „Gegen die Macheten“ – fanden sich lokale Milizen, Deserteure der Armee und Banditen zusammen, die seither Verbrechen an Muslimen begehen.

Der vom Ausland erzwungene Rücktritt Djotodias am 10.Januar dieses Jahres und die Wahl der neuen Übergangspräsidenten Catherine Samba-Panza zehn Tage später gaben Anlass zur Hoffnung. Die aber ist nach wenigen Tagen schon wieder verflogen. In der Hauptstadt nimmt die Gewalt wieder zu.

„Signale stehen auf Rot“

„Was hier passiert, ist schockierend, verstörend, furchtbar – alles, was Sie sich vorstellen können“, sagt Abdu Dieng, Koordinator der UN-Hilfswerke in der Zentralafrikanischen Republik. Der Staat existiert nicht mehr, die Menschen sind sich selbst überlassen. Sie haben nichts zu essen, keinen Zugang zu medizinischer Hilfe und kein sauberes Trinkwasser. Nach UN-Angaben sind 2,5 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen – mehr als die Hälfte der Bevölkerung. „Alle Signale stehen auf Rot“, warnt Dieng.

Von der neuen Regierung, die vergangene Woche ernannt wurde, ist bislang wenig Konkretes zu hören. Drei der Minister stehen der aufgelösten Séléka nahe, einer den Anti-Balaka. Gegenüber lokalen Radiosendern erklärten etliche Bewohner Banguis ihre Enttäuschung darüber, dass Vertreter oder Vertraute der bewaffneten Gruppen mit politischen Posten belohnt werden.

Die geben sich indessen betont kooperativ. „Wir sollten jetzt nur noch das Wohl der Nation im Auge haben“, meint Heribert Gotran Djono-Ahaba, einst ein enger Vertrauter von Djotodia und neuer Minister für Jugend und öffentliche Aufgaben. Was die Arbeit der neuen Regierung angeht, bleibt er denkbar vage: „Wir werden uns bald mit der Präsidentin zusammensetzen, um den Anfang einer Lösung zu suchen.“

Kooperativ geben sich auch die Vertreter der beiden bewaffneten Gruppen. „Wir akzeptieren die neue Regierung“, sagt Juma Narkuyu, ehemals Sprecher der offiziell aufgelösten Séléka. „Wir warten nur noch auf den Beginn eines Entwaffnungsprogramms, um in die Armee oder ins zivile Leben zurückkehren zu können.“ Auf Nachfrage räumt Narkuyu ein, dass die militärischen „Profis“ in der Séléka längst nicht alle Kräfte kontrollieren, die als Freischärler oder Banditen im Namen der Rebellen morden und plündern.

Dass auch die Anti-Balaka derzeit alles andere tun, als das Land zu stabilisieren, gibt Alfred Rombhot zögerlich zu, Kommandant der Anti-Balaka in einem Stadtteil Banguis. Die Plünderer und Mörder operierten auf andere Rechnung.

Am ehrlichsten ist womöglich die Einschätzung der neuen Übergangspräsidentin: Samba- Panza bat am Dienstag um die Entsendung einer 10.000-köpfigen UN-Blauhelmmission. Die Lage, so Samba-Panza, gerate immer mehr außer Kontrolle.

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