Baumschule statt Ateliers

In Peking droht der international renommierten Künstlersiedlung Suojiacun der Abriss. Die Investoren hatten sie nicht legal errichtet. Mitte November gab es den ersten Räumungsversuch, morgen soll das Gelände endgültig planiert werden

VON ULRIKE MÜNTER

Mit der jungen chinesischen Kunstszene verbinden sich für viele ausländische Beobachter die Bilder des Dashanzi New Art District im Norden Pekings. Seit 2003 siedeln sich hier auf dem Gelände einer ehemaligen Munitionsfabrik immer mehr Ateliers und Galerien, aber auch Cafés, Clubs und Designer-Shops an. Aufmerksamkeit erlangte das nach der zentralen Ausstellungshalle kurz 798 genannte Areal zudem durch seine einzigartige Industriearchitektur in Bauhausmanier (taz vom 4. 6. 2004). Von der Off-Szene wegen seiner zunehmenden Kommerzialisierung mittlerweile als „Themen-Park“ verschrien, distanzieren sich immer mehr Künstler von 798 und suchen andere Orte für ihre Ateliers.

Nach dem Vorbild der Anfang 2000 im traditionellen Backstein-Lagerhaus-Stil gebauten Künstlersiedlung Feijiacun entstand Suojiacun, für Nichtchinesen als Beijing International Art Camp bekannt. Die Namensgebung verweist auf die altehrwürdigen chinesischen Familien Fei und Suo, die auf diesem Gelände ihre Grabstätten hatten. Beide Siedlungen befinden sich, wie auch 798, im Chaoyang-Bezirk. Vor seinem Imagegewinn durch die sich hier ansiedelnde Kunstszene wirkte dieses Pekinger Vorstadtareal eher deprimierend in seiner Tristesse aus staubigen Straßen und aneinander geschusterten Behausungen und Garküchen.

So weit, so gut. Allerdings hatte das Suojiacun errichtende Bauunternehmen Beijing Gaoyougao Trade das als Ackerland deklarierte Landstück von der Regierung unter der Vorgabe erworben, hier eine Baumschule und Grasflächen anzulegen. Angelockt vom Boom der chinesischen Kunstszene und des bereits ausgebuchten Feijiacun folgte man dann aber doch lieber diesem weitaus lukrativeren Beispiel. Die passenden Genehmigungen glaubte Gaoyougao Trade noch nachträglich einholen zu können. Bereits im Mai unterschrieben die ersten der mittlerweile 126 Künstler ihre auf zehn Jahre ausgestellten Mietverträge und begannen mit dem Ausbau der zweistöckigen Reihenhausrohbauten.

Mittlerweile haben sich in Suojiacun neben chinesischen und zahlreichen ausländischen Künstlern auch der Professor Shan Yang von der Art Academy der Capital Normal University und die französische Galerie Imagine angesiedelt. Laetitia Gauden von Imagine, die sich um den internationalen Austausch Kulturschaffender bemüht und dafür Ateliers in Feijiacun und Suojiacun zur Verfügung stellt, lebt hier mit ihrer Familie. Sie schwärmt, wie auch die anderen Bewohner, von der herzlichen und konstruktiven Atmosphäre der Community.

Schon kurz nach Baubeginn hatte man von behördlicher Seite den Abbruch des Vorhabens gefordert. Gaoyougao Trade ließ sich allerdings nicht irritieren. Unterschätzt wurde die Konsequenz, mit der die Regierung durch den Erhalt und die Schaffung von Grünflächen die Verbesserung der Luftqualität Pekings anstrebt. Die Olympischen Spiele von 2008 werfen ihre Schatten voraus. Der Bauunternehmer wähnte sich hingegen auf der sicheren Seite, als im Sommer bereits ein Großteil der Gebäude bewohnt waren von bereits international bekannten Künstlern und ausländischen Institutionen. Immerhin war es auch im Falle von 798 gelungen, offizielle Abrissvorhaben abzuwenden. Aktionen, Demonstrationen und die Unterstützung des Australiers Brian Wallace von der renommierten Red Gate Gallery erreichten dann auch tatsächlich einen Aufschub für Suojiacun.

Diese vermeintliche Sicherheit verkehrte sich am Dienstag, den 15. November, in blankes Entsetzen. Hatte der Bauunternehmer noch am Sonntag – wie in China üblich in bar – die Miete für den kommenden Monat einkassieren lassen, so glaubte man am Dienstagmorgen um 8.30 Uhr seinen Augen nicht. Zwei Bulldozer, eine Hundertschaft Polizisten und ein Krankenwagen tauchten an den Toren von Suojiacun auf. Unverzüglich erfolgte der Aufruf, die Gebäude zu räumen. Wer den zuerst zur Zerstörung freigegebenen Gebäudetrakt bewohnte und zu diesem Zeitpunkt gerade zur Arbeit fuhr oder seine Kinder zur Schule brachte, fand schon kurz darauf sein Eigentum auf der anderen Straßenseite wieder. Die Betroffenen organisierten schnellstens Umzugsunternehmen und Freunde, um zu retten, was zu retten war. Aufschub gewährte man auch der herzkranken Frau des Akademieprofessors nicht, die zu diesem Zeitpunkt allein zu Hause war. Sie musste in ein Krankenhaus gebracht werden. Eine chinesische Fotografin, die gerade zwei Tage zuvor ihr Studio eingerichtet hatte, stand plötzlich vor Ruinen.

Im Internet fanden sich schon am selben Tag Aufrufe zur Unterstützung von Suojiacun. Doch abgesperrte Straßen und ein Presseverbot stoppten zunächst diejenigen, die versuchten, das Gelände zu erreichen. Dass in den Folgetagen aber sogar die offizielle englischsprachige Tageszeitung China Daily auf den schmerzlichen Verlust dieses kreativen Schonraums hinwies, zeigt einmal mehr, wie diffus der Handlungsspielraum innerhalb der rechtlichen Grenzen Chinas ist. Auch wurde etwa das voluminöse Equipment eines spanischen Kamerateams konfisziert, zahllose Digitalkameras hielten das zerstörende Szenario hingegen ungehindert fest.

Mit dem Pfiff eines Polizisten endete der Spuk so plötzlich, wie er begonnen hatte. Die Häuser der D-Straße sahen aus wie nach einem Bombenangriff. In zehn Tagen würde das Areal gänzlich geräumt, hieß es. Im Wettlauf mit der Zeit wurde und wird noch immer versucht, zu einer Einigung mit den Behörden zu kommen, indem man Suojiacun zu einem regierungseigenen Projekt zu machen versucht. Es könnte im Rahmen des Olympia-Tourismus als Beispiel für einen gelungenen internationalen Kulturaustausch präsentiert werden. Die Chancen dafür stehen aber eher schlecht.