Ausstellung zu "Rassenforschung": Auf dem Dachboden lagerten Schädel

Mit der Ausstellung "Manufacturing Race" erinnern Studierende des Otto-Suhr-Instituts der FU an die "Rassenforschung", die dort betrieben wurde.

Forschung für "Rasse" und Vaterland: Otmar von Verschuer (links), Humangenetiker und Doktorvater von Joseph Mengele, bei der Arbeit. Bild: Archiv

Zwei Männer in weißen Laborkitteln, auf dem Tisch vor ihnen Messaparaturen – und menschliche Schädel. Das Schwarzweiß-Foto, das Julia Scheurer und Thiago Barbosa gerade in ein schwarzes Passepartout stecken, zeigt Berliner Wissenschaftler bei der Arbeit. „Der Herr links“, erklärt Thiago Barbosa, „ist Eugen Fischer, ein Humangenetiker, der während der Kolonialzeit in Deutsch Süd-West-Afrika an den sogenannten Rehobother Bastarden" forschte.“ Barbosas Kommilitonin Scheurer ergänzt: „Seine Rassenforschung führte der Institutsleiter Fischer durch, wo wir heute studieren. Vor uns hat sich aber niemand groß dafür interessiert.“

In der Dahlemer Ihnestraße 22, heute Sitz des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft (OSI) der Freien Universität, residierte von 1927 bis 1945 das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A). Dort wurden – am lebenden wie am toten „Objekt“ – die Rassentheorien ausgearbeitet, die Hitler dann zur Grundlage seiner Vernichtungspolitik machte. Die Rolle des Instituts während der Nazi-Zeit ist zwar mehrfach aufgearbeitet worden, seit 1988 informiert eine Plakette am Eingang über die Geschichte des Gebäudes. Von kolonialen Verstrickungen ist da aber nicht die Rede. „Der Zusammenhang zwischen Kolonialismus und Forschung wird völlig ausgeblendet“, sagt Scheurer. Zusammen mit vier anderen Studierenden des Seminars „Postkolonialismus in internationalen Beziehungen“ will sie das mit der Ausstellung „Manufacturing Race – Contemporary Memories of a Building’s Colonial Past“ ändern.

Für die Schau, die im November für zwei Wochen am OSI zu sehen war und nun den Februar über in der Neuköllner Werkstatt der Kulturen gezeigt wird, haben die Studierenden Material aus dem Archiv der Max-Planck-Gesellschaft und der Universität zusammengetragen. Darunter auch das Tagebuch von Institutsleiter Eugen Fischer, der zu Kolonialzeiten ausgedehnte Reisen nach „Deutsch-Südwest“, ins heutige Namibia, zu unternehmen pflegte. Fischer brachte von den Reisen zwei Skelette mit, die aber in Freiburg während des Ersten Weltkrieges zerstört wurden. Woher die Schädelsammlung stammte, die in der Ihnestraße 22 lagerte, konnten die Ausstellungsmacher nicht zweifelsfrei nachweisen. Mindestens 30 der Schädel wurden vor und nach dem Kolonialkrieg in Deutsch-Süd-Westafrika erworben. Obwohl einige Gebeine vom deutschen Konzentrationslager auf der Haifischinsel nach Berlin geschickt wurden, wurden diese dann Teil der Sammlung des Anatomischen Instituts. Ob einige dieser Schädel auch in der Sammlung des Kaiser-Wilhelm Instituts für Anthropologie, Menschliche Erblehre und Eugenik in der Ihnestraße 22 gelagert wurden, bleibt ungeklärt, weil Lieferscheine dafür fehlen.

(Eine Präzisierung der Ausstellungsmacher hierzu:

Fischer kehrte aus Deutsch Süd-West Afrika mit zwei Skeletten zurück, aber diese wurden in Freiburg während des Ersten Weltkrieges zerstört. In der Schädelsammlung, die in der Ihnestraße 22 lagerte, waren mindestens 30 Schädel aus Deustsch Süd-West-Afrika, die vor und nach dem Kolonialkrieg erworben wurden. Obwohl einige Gebeine von deutschen Konzentrationslagern auf den Haifischinseln nach Berlin geschickt wurden, waren diese dann Teil der Sammlung des Anatomischen Instituts. Ob einige dieser Schädel auch in der Sammlung des Kaiser-Wilhelm-Instituts in der Ihnestraße 22 gelagert wurden, konnten wir nicht mit Sicherheit nachweisen. Es gab auch keine Lieferscheine, soweit wir wissen.)

„Vom Fleisch befreit“

Zu Eugen Fischers Zeiten machte man aus der Herkunft des Forschungsmaterials keinen Hehl, wie eine historische Souvenirpostkarte (s. Abbildung) zeigt: Deutsche Soldaten packen Schädel in Transportkisten, die, wie der Postkartentext gut gelaunt berichtet, zuvor von Hererofrauen „mittels Glasscherben vom Fleisch befreit“ wurden.

„Wir wollen zeigen, dass die Konstruktion von Rassentheorien lange vor der Nazizeit begann. Und wie deutsche Wissenschaftler von Kolonialverbrechen profitierten“, sagt Barbosa. Helfer rollen zwei blaue Tonnen herbei, auf denen mit roter Schrift daran erinnert wird, wie General von Trotha die überlebenden Herero in die Wüste trieb – wo man zuvor alle Brunnen vergiftet hatte. Kisten mit Rindenmulch, in denen lange Spiegel stecken, werden zur Hälfte von lebensgroßen Porträts von KWI-Wissenschaftlern beklebt. In der anderen Hälfte sieht sich der Betrachtende selbst – eine Einladung zur Reflexion darüber, welche Verantwortung der Einzelne im Wissenschaftsbetrieb hat. „Fischer und seine Kollegen glaubten von sich, neutrale Wissenschaft zu betreiben“, so Barbosa.

Im zweiten Raum mit Mediendokumenten wird Otmar von Verschuers spätere Stellungnahme zu hören sein. Der Humangenetiker war der Doktorvater von Joseph Mengele. Er sei nur ein Wissenschaftler gewesen, behauptet der ehemalige Star-Eugeniker, die Politik habe seine Forschung missbraucht. Von den Studierenden geführte Interviews mit heutigen ForscherInnen belegen, dass auch heute das Bewusstsein für die Kolonialverbrechen unterschiedlich ausgeprägt ist: Nicht alle halten es für nötig, sich näher mit dem Thema zu befassen: Im Vergleich zur Nazizeit sei der Kolonialismus ja nur eine Fußnote der deutschen Geschichte.

Diese Haltung zu ändern, hat sich Bilgin Ayata zum Ziel gesetzt. Die Politologin besetzt mit ihrem Postkolonialismus-Seminar eine Lücke im Lehrangebot nicht nur der Freien Universität: „Ich erlebe bei den Studierenden ein riesiges Interesse am Thema und einen großen Wissensdurst“, berichtet sie. Das liege daran, dass sich Deutschland bislang kaum mit seiner Kolonialgeschichte auseinandergesetzt hat.

„Es herrscht die Einstellung, man sei keine richtige Kolonialmacht gewesen“, so Ayata. „Das ist falsch: Die deutsche Kolonialzeit war kurz, aber leider auch sehr intensiv, inklusive Völkermord.“ Über das Engagement des wissenschaftlichen Nachwuchses freut sie sich. Die Ausstellung sei nur ein Teil davon. So habe die Beschwerde eines Studenten beim Auswärtigen Amt dazu geführt, dass eine Infobox, die den deutschen Kolonialismus verniedlichte, verändert wurde. Ein neues Bewusstsein für die Kolonialgeschichte müsse her, fordert die Dozentin und hofft: „In ein paar Jahren werden Bundeswehreinsätze in Afrika nicht diskutiert werden können, ohne an die Geschichte zu denken.“

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