Dezentrales soziales Netzwerk „Twister“: Etwas Bitcoin, etwas Twitter

Es sieht Twitter auffallend ähnlich, ist aber dezentral und verschlüsselt. Sein Erfinder sagt, „Twister“ sei nicht zensierbar und kaum auszuspionieren.

„Twisternde“ Simpsons: Noch wird an der Twitter-Alternative sehr viel getestet Screenshot: Miguel Freitas / Twister

BERLIN taz | Im Sommer 2013 gingen die Menschen in Brasilien auf die Straße. Sie protestierten gegen hohe Metroticketpreise, gegen Korruption und Polizeibrutalität. Die Nachrichten verbreiteten sich in den Sozialen Medien, besonders bei Twitter. Im Sommer 2013 veröffentlichte der Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden brisante Dokumente, die eine weltweite Überwachung von Internetnutzerinnen durch US-Geheimdienste offenbarten – auch Twitter war betroffen. Im Sommer 2013 begann Miguel Freitas darüber nachzudenken, wie eine Alternative zu dem Kurznachrichtendienst aussehen könnte.

„Mir wurde klar, dass es gefährlich ist, solche Informationsflüsse in den Händen von einzelnen Firmen zu haben“, sagt Freitas, der an der Katholischen Universität von Rio de Janeiro forscht. Weltweit wurde immer wieder bei Protesten damit gedroht, das Internet abzuschalten, oder zumindest Twitter und Facebook. „Ich suchte nach dezentralen Alternativen, die nicht abgeschaltet werden können, fand aber keine.“

Das Problem ist kein einfaches: Soziale Medien haben immer eine zentrale Instanz, die die Konten der Nutzerinnen verwaltet. Bisher machen das die Server von Unternehmen wie Twitter und Facebook. Bei Alternativen wie Diaspora, können Nutzerinnen selbst solche Server betreiben. Aber kann man die Server ganz rausnehmen? Kann ein dezentrales Netzwerk so stabil sein, dass alle Informationen auch vorhanden sind, wenn wichtige Teile des Netzes offline sind?

Das Problem, merkte Freitas, war nicht nur lösbar, sondern schon gelöst worden – bei einem ganz anderen Projekt. Die Onlinewährung Bitcoin funktioniert ohne Zentralbank oder ähnlicher Instanz; die Nutzerinnen der Währung müssen einander misstrauen, weil die virtuellen „Münzen“ mittlerweile Hunderte Euro wert sind. Und dennoch vertrauen sie der Technologie genug, um sie weiter zu verwenden. Die Technik „Blockchain“ protokolliert für Bitcoin jede einzelne Transaktion, die es in dieser Währung jemals gegeben hat. Dasselbe Prinzip könnte auch jede einzelne Nutzerin eines dezentralen Netzwerks registrieren.

Je größer, desto stabiler

„Ich war schon lange von der genialen Bitcoin-Technik begeistert“, sagt Freitas, „und konnte sie nun praktisch anwenden.“ Seine Alternative „Twister“ sieht Twitter auffällig ähnlich. Nutzerinnen legen ein Konto an, können anderen Nutzerinnen folgen oder von ihnen gefolgt werden. Sie können öffentliche Nachrichten schreiben, die höchstens 140 Zeichen lang sein dürfen, sie können Nachrichten von anderen weitergeben oder auf sie antworten. Sie können auch Privatnachrichten an andere Nutzerinnen schicken – und anders als bei Twitter sind sie bei Twister verschlüsselt.

Der wichtigste Unterschied liegt aber in der Technik der Vernetzung: Alle Computer, die bei Twister eingeloggt sind, speichern einen Teil der Inhalte des gesamten Netzwerks und geben sie weiter, wenn sie benötigt werden. So werden keine zentralen Server gebraucht, die die Tweets aller Nutzerinnen speichern – es reicht, wenn alle einen Teil haben und so alle Daten vorhanden sind. Auch das Prinzip ist gar nicht neu: So funktionieren auch Tauschbörsen, die Dateien als Bittorrents übertragen.

Während Twitter in Zeiten großer Nachfrage abstürzen kann, heißt das für Twister: Das Netzwerk wird immer stabiler. Je mehr Nutzerinnen es benutzen, desto mehr Kopien der Daten sind online verfügbar und desto weniger abhängig ist Twister von Einzelpersonen. Sollte Twister eines Tages so viele Nutzerinnen haben wie Twitter, wäre das Netzwerk nur mit Schwierigkeiten abzuschalten.

Nur für Masochisten

Doch das Programm ist weit entfernt davon, fertig zu sein. Noch gibt es allerlei Fehler: Nachrichten werden nicht korrekt dargestellt, die Followerzahl kann von Rechner zu Rechner unterschiedlich gezählt werden, manchmal stürzt das Programm einfach ab. Es gibt zwar schon Anwendungen für Android, Linux und OSX, aber sie sind noch nicht einfach zu installieren. Man müsse „Masochist“ sein, um das zu tun, heißt es in den Anweisungen.

Zudem wurde das Netzwerk in den vergangenen Tagen mehrmals angegriffen und viele neue Nutzerinnen verloren ihre Konten. Dennoch: Die Zahl der angemeldeten Konten hat inzwischen mehr als 10.000 erreicht, die Zahl der Programiererinnen, die mithelfen es aufzubauen, ist auch gewachsen.

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