Kunst vs. Tourismusmarketing: Die Halle der Bürger

Geht es nach der Stadt Wilhelmshaven, soll die örtliche Kunsthalle sich besser touristisch verwerten lassen. Viele Bürger sehen das kritisch.

Die Zukunft könnte klarer sein: die Wilhelmshavener Kunsthalle. Bild: Kunsthalle Wilhelmshaven

WILHELMSHAVEN taz | Jens Graul atmet tief ein, dann beginnt er zu sprechen. Er habe sich auf ein geselliges Beisammensein gefreut, wird er erzählen, aber dieser Abend werde wohl nicht so gesellig werden. Graul, neuer Kulturbeauftragter der Stadt Wilhelmshaven, steht an diesem Abend hinter einem Rednerpult, das so schwarz ist, wie es früher Särge waren. Zur Eröffnung der neuen Ausstellungssaison 2014 soll Graul den Mitgliedern und Freunden der örtlichen Kunsthalle erklären, was dran ist an diesen Gerüchten, die seit Tagen durch die Stadt schwirren: Die Kunsthalle soll geschlossen werden! Nein, sie soll im Gegenteil mit mehr Geld und Mitteln ausgestattet werden. Sie soll ins Dachgeschoss des Küstenmuseums umziehen.

Graul wird mehr als 22 Minuten brauchen, bis er in ein, zwei Sätzen die Zukunft des Hauses kurz beleuchtet. Da ist er schon fast am Ende mit seinen Ausführungen, die darum kreisen, dass Veränderung zur genetischen Grundausstattung von Kultur gehöre und es manchmal geradezu positive Kräfte aktiviere, kein Geld zu haben. Das Publikum hört zu, das Publikum murrt leise, aber es lässt den Kulturbeauftragten seine weitschweifigen Ausführungen zu Ende bringen. Die große Koalition in der Stadt habe ihn beauftragt zu prüfen, ob die Kunsthalle nicht ihren bisherigen Standort verlassen und besser in das Gebäude des örtlichen Küstenmuseums umziehen solle. Dieses wiederum müsse sich zu einem echten Stadtmuseum entwickeln.

Aber von Anfang an, ins Jahr 1913: Im Beisein von Kaiser Wilhelm II. eröffnen die Bürger Wilhelmshavens, dieser grauen, am Reißbrett entworfenen Militärstadt am Jadebusen, eine Kunsthalle, für deren Bau und Unterhalt sie tief in die eigenen Taschen gegriffen haben. Später, im „3. Reich“ wird der Bürgerverein, der das Haus trägt, gleichgeschaltet, die Kunsthalle noch später bei einem Bombenangriff komplett zerstört.

Nach dem 2. Weltkrieg wird moderne Kunst dann in einer den Engländern abgeschwatzten Baracke gezeigt. Mitte der 1960er-Jahre setzen sich die Bürger erneut zusammen, wieder nimmt man eigenes Geld und bezieht 1968 schließlich eine neue Kunsthalle: einen eigensinnigen, flachen, multifunktionalen Bau. Bis heute erweist er sich als Geschenk, denn er erlaubt auf kleinstem Raum, dem großflächigem Gemälde ebenso wie der filigranen Zeichnung sich gebührend vorzustellen.

Geführt wird die Kunsthalle weiterhin vom bürgereigenen Kunstverein, der zunehmend Drittmittel einzuwerben hat. Die Stadt trägt in den kommenden Jahrzehnten in allmählich sinkender Höhe die Personal und Unterhaltungskosten. Der Arbeitsschwerpunkt liegt auf junger, aktueller, bildender Kunst, und die Wilhelmshavener Kunsthalle braucht sich keinesfalls hinter der in Bremerhaven oder auch dem Kunstverein in Oldenburg zu verstecken.

Die Sorge der Bürger

Und nun das: „Wir, die unterzeichnenden Wilhelmshavener Bürgerinnen und Bürger, sehen mit großer Sorge die Entwicklung um die Wilhelmshavener Kunsthalle“, so ist ein offener Brief des Künstlers Hartmut Wiesner überschrieben, den bisher weit über 250 Bürger unterschrieben haben. Wiesner und Graul kennen sich: Sie gehörten in den späten 1960ern zu denen, die damals frischen Wind in die Stadt brachten. Doch schnell trennten sich ihre Wege: Wiesner wurde Maler und Bildhauer, dazu Lehrer und lange Jahre Dozent an der Kunsthochschule in Oldenburg. Graul stieg in der Verwaltung vom Bau-Assessor zum Umweltbeauftragten auf, dann zum Umwelt und Schuldezernenten und schließlich zum Kulturdezernenten.

Inzwischen pensioniert, ließ er sich nun zum eigens geschaffenen Kulturbeauftragten ernennen. Durch die kurze Amtsdauer von zwei Jahren wurde eine öffentliche Ausschreibung umgangen – das bisherige Kulturdezernat gleichwohl abgeschafft. Ende der 1980er-Jahre etablierte Wiesner mit „Der Eisenstein“ ein recht ambitioniertes, internationales Kurzfilmfestival in der Stadt – dem Graul später die Förderung strich: Es ist ziemlich ausgeschlossen, dass die beiden Männer in diesem Leben noch einmal Freunde werden.

So vollzieht sich in fast schon exemplarischer Weise eine Auseinandersetzung um Kunst und Tourismusmarketing: einerseits kunstsinnige Bürger, die auch mal ratlos aus einer Ausstellung kommen und für die der „Nutzen“ nicht in Übernachtungszahlen und Euros zu fassen ist. Andererseits eine Verwaltung, die Kunst nur noch mittragen will, wenn sie sich ihren Vorstellungen von unterhaltsamer Erlebniskultur unterordnet.

Der Plan: die "Maritime Meile"

So soll Wilhelmshavens Kunsthalle nun Teil der sogenannten „Maritimen Meile“ werden, mit dem Marine sowie dem Küstenmuseum, mit dem es sich Räume teilen soll. Und letzteres selbst, rein inhaltlich betrachtet? Es macht gerade Winterpause, wirbt aber mit einem Plakat für eine Ausstellung zu Piraten im Jadebusen, die ab Februar fortgesetzt werden soll. „Ergänzend zu den siedlungshistorischen Ausstellungsthemen ’Lebensraum Küste‘ und ’Frühe Küstenbewohner‘ können die Besucher rekonstruierte Deicherstiefel, Friesenmäntel und eine Getreidemühle ausprobieren“, so steht es im Internet.

Vielsagend ist ein Vorschlag Michael Diers’, des Geschäftsführers der Wilhelmshavener Touristik & Freizeit GmbH, dem das Küstenmuseum direkt unterstellt ist: Er regt an, die Stadt mit einem Pumuckl-Museum museumsmäßig nach vorne zu bringen. Zwar ist der rothaarige Pumuckl, 1961 für den Bayrischen Rundfunk entwickelt, keine echte Lokalgröße, wurde aber im Fernsehen von einem gewissen Hans Clarin gesprochen. Der immerhin 1929 in Wilhelmshaven geboren wurde.

Ebenfalls von der Touristik-GmbH wird im kommenden August ein Street Art Festival organisiert. Das dreht sich nicht etwa um Graffiti – sondern um Pflastermalerei. „Straßenbilder – hier und da steht man plötzlich vor ihnen, schaut fasziniert auf die Farben und ist erstaunt über die Fingerfertigkeit der Künstler“, so eine kurze, aussagekräftige Positionsbestimmung.

Kommt ein Fetting-Museum?

Und dann gibt es noch einen weiteren prominenten Ex-Wilhelmshavener, dem man hinter den Kulissen ein Haus widmen will – wer weiß, ob nicht der vielleicht bald leere Kunsthallenbau dafür vorgesehen ist? Der Maler Rainer Fetting, einst einer der Jungen Wilden, schuf bereits eine Skulptur für das Hauptgebäude der Wilhelmshavener Stadtsparkasse – einen Mann, der die Fassade hinaufklettert. Graul sagt nur knapp: „Es gibt Gespräche.“ Dann schweigt er eisern über die Idee zu einem Fetting-Museum, über die doch alle sprechen.

Bleibt noch Viola Weigel, Leiterin der Kunsthalle, die gerade ihre Vertragsverlängerung unterschrieben hat, wohl nicht ahnend, was da auf sie zukommt. Mit ihr hat die Stadt noch nicht gesprochen. „Ein Teil des Problems ist es“, sagt sie, „dass die Politik und die Verwaltung uns Kunstleute erst dann dazuholt, wenn sie sich eigentlich schon entschieden hat, was passieren soll.“ Und so hat sie einen Wunsch: „Ich möchte von Beginn an mit am Tisch sitzen und ich möchte Fachleute dabei haben.“

Der Kulturbeauftragte Graul jedenfalls verspricht an diesem Abend eines: dass die Verwaltung – also der Oberbürgermeister, die regierenden Parteien und er selbst – sich schnell melden werden, wenn zur Zukunft der Kunsthalle diskussionsfähige Ergebnisse vorliegen.

Noch bis zum 26. Januar zeigt die Kunsthalle Wilhelmshaven Arbeiten der für den jährlichen Nachwuchspreis „Nordwestkunst“ nominierten KünstlerInnen. Gespräch mit den diesjährigen Preisträgerinnen Gosia Machon und Jenny Feldmann: Sonntag, 26. Januar, 15 Uhr.

Weitere Informationen unter: www.kunsthalle-wilhelmshaven.de

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