Debatte Prostitution: Ein Loch reicht nicht

Sex-Dienstleistungen sind immer noch verpönt. Eine offizielle Zertifizierung könnte dabei helfen, mehr Anerkennung zu schaffen.

Die eher unwürdigere Variante unter den Sex-Dienstleistungen: Straßenstrich in Berlin. Bild: dpa

Wie haltet ihr es mit Alice Schwarzer und der Prostitution? Das ist so eine Frage, die – ganz zwanglos in die Runde geworfen – unter FreundInnen neuerdings zum Streit führt. Bist du dafür? Dagegen? Ja? Nein? Pro, contra und kein Ausweg. Und das ist schon der Fehler. Wer sich darauf einlässt, verliert. Gerade Leute, die feministischen Ideen gegenüber offen sind, stecken in diesem Dilemma, weil sie dafür und dagegen sind.

Alice Schwarzers Vorstoß, den Umgang mit Prostitution in Deutschland zu skandalisieren, ist richtig, denn er stellt die Frage nach der Würde der Prostituierten. Dass diese nicht mit Würde rechnen können, ist unbestritten. Straßenstrich, ungeschützter Verkehr, Flatrate-Bumsen sind würdelos. Von erzwungener Prostitution ganz zu schweigen. Auch die Sprache ist abwertend: Nutte, Hure, Flittchen, Dirne. Wer eine Frau so nennt, beleidigt sie. Wer’s mit „Kokotte“ versucht, klingt affig, wer „Prostituierte“ sagt, am ehesten neutral. „Musen“ gibt es nur in der Kunst.

Die Wörter, die signifikant am häufigsten zusammen mit dem Wort „Hure“ in Texten auftauchen, sind „Schlampe“ und „beschimpft“, wie Analysen zeigen, die solche Gleichzeitigkeiten von Wörtern ermitteln. „Würde“ kommt nicht vor. Wer seinen Körper zum Zwecke sexueller Dienstleistungen verkauft, darf nicht mit Achtung rechnen. Aber auch wenn es so selten gesagt wird, eines der großen Anliegen der Frauenbewegung ist es, die Würde der Frauen herzustellen. Das ist das eine.

Richtig ist aber auch das andere: das Recht auf Berufsausübung für die in der Prostitution arbeitenden Frauen. Auch das ist eine Haltung, die aus Frauenrechtsperspektive Sinn ergibt. Solange sich Frauen prostituieren, dies aber illegal ist, sind sie schutzlos. So kam es, dass Prostitution seit 2002 nicht mehr kriminalisiert wird. Hinzu kommt, dass ökonomische Unabhängigkeit ebenfalls eine Forderung ist, der sich Frauenrechtlerinnen nicht verschließen. Blöd nur, wenn ökonomische Unabhängigkeit mit einer Arbeit erlangt wird, die Frauen entwürdigt.

Keine freie Gesellschaft ohne Prostitution?

Und jetzt? Dank Alice Schwarzers Aufruf wird nun darüber gestritten, ob die Liberalisierung der Prostitution Deutschland zu einem Bordell macht. Beweisen lässt sich diese Behauptung nicht.

Das Statistische Bundesamt legt seinen Schätzungen die häufig genannte Zahl von 400.000 Prostituierten in Deutschland zugrunde. Die Statistiker gehen von leicht steigenden Zahlen aus, seit es erlaubt ist, Prostitution gewerbsmäßig zu betreiben. Tatsächlich aber ist es seit der Liberalisierung der Prostitution schwieriger, Menschenrechtsverletzungen im Sexgewerbe aufzudecken, weil die Polizei Bordelle nur bei einem konkreten Verdacht betreten darf. Sie sind ja nun legal.

Der Soziologe Hartmut Rosa hat meistens überhaupt keine Zeit – er hetzt von Vortrag zu Seminar, muss Interviews geben. Sein Thema? Entschleunigung. Wie viel Tempo das Leben verträgt, fragt er sich in der taz.am wochenende vom 11./12. Januar 2014 . Außerdem: Ein österreichischer Reproduktionsmediziner behandelt seine Patientinnen mit umstrittenen Methoden – da, wo sie erlaubt sind. Und: Warum stehen die Zeiger in der Uhrenwerbung eigentlich immer auf zehn nach zehn? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Die neue Bundesregierung will nun nachjustieren. Das Aufenthaltsrecht aussagewilliger Opfer von Menschenhandel soll verbessert, die Ausbeutung der Arbeitskraft stärker in den Fokus gestellt werden. So steht es im Koalitionsvertrag. Alice Schwarzer will mehr. Sie fordert etwa eine Anmeldepflicht, Gesundheitskontrollen, eine polizeilich kontrollierte Konzessionspflicht für Bordelle und eine Verschärfung des Strafrechts in Bezug auf Zuhälterei und Menschenhändler. Langfristig indes zielt der von ihr vorgelegte Appell auf die „Abschaffung des Systems Prostitution“.

Und dann?

Dass eine freie Gesellschaft ohne Prostitution möglich ist, das kann auch Schwarzer nur annehmen, genau wie das Gegenteil ebenfalls angenommen werden kann. Deshalb führt eine solche Diskussion zu Zerwürfnissen, nicht zu Lösungen.

Massage und Buchhaltung

Mit dem Gesetz zur Liberalisierung der Prostitution vor mehr als zehn Jahren wurden sexuelle Dienstleistungen gewerblich möglich, Prostitution wurde also zu so etwas wie einem Beruf. Es ist ein halbherziges Gesetz. Denn nicht mitgedacht wurde, dass es für diesen Beruf auch eine Zertifizierung und damit eine Aufwertung – und Kontrolle durch Qualität – geben sollte. Wer das nicht mitdenkt, steckt im Abwertungsmodus fest, den Prostituierte beklagen. Bedeutet es doch: Sex kann jede, hinhalten kann jede, es geht nur um das Loch, es geht nicht um die Frau.

Eine Zertifizierung der Prostitution, ein Gütesiegel, eins der IHK zum Beispiel, könnte so vieles ändern. Es würde Selbstbewusstsein, Anerkennung – Güte eben – mit ins Spiel bringen. Denkbar wären mehrwöchige Trainingsprogramme und jährliche Schulungen, bei denen die Frauen, die in der Prostitution arbeiten wollen, Massagetechniken und Selbstverteidigung lernen, die Grundlagen der Gesprächsführung und Psychologie vermittelt bekommen sowie eine Einführung ins Kamasutra und in die interkulturelle Kompetenz.

Sie beschäftigen sich mit der Geschichte der Kurtisanen von Aspasia in Griechenland bis Mata Hari und auch mit denen in der Literatur, Nana, Sonja, Moll Flanders, oder wie sie alle heißen, sie lernen Buchhaltung, Hygiene, Gesundheitsvorsorge und sozialarbeiterische Grundlagen. Nach Abschluss des Kurses erhält die Prostituierte ein Zertifikat.

Ein solcher Schulungskurs käme den Frauen, die die sexuellen Dienstleistungen anbieten, und den Männern, die sie nutzen, zugute. Denn damit stünde nicht mehr der Geschlechtsakt, sondern die Qualität der Dienstleistung im Mittelpunkt des Handels. Männer, die zu einer Prostituierten mit Zertifikat gehen, wissen um diese positive Auseinandersetzung mit der Leistung, die sie kaufen wollen.

Klar müssen sich Politik und Gewerkschaften auch für Mindestlöhne und faire Bezahlung in der Prostitution einsetzen. Warum sollten Maßstäbe, die sonst als fortschrittlich gelten, bei Prostitution nicht angelegt werden? Denkbar wäre zudem, dass Hurenorganisationen selbst ein Siegel für die Einhaltung sozialer Standards entwickeln. Das ist nicht ironisch gemeint.

Zertifizierung schafft Kontrolle

Viele Unternehmen geben sich einen Verhaltenskodex und willigen ein, soziale und nachhaltige Standards zu wahren. „Garantiert fair gehandelt“. Warum gibt es solche Gütezeichen nicht auch für Bordelle? Wenn Etablissements auf einen guten Ruf setzen, dürfte dies alles Selbstverständlichkeit sein. Und die, für die es nicht selbstverständlich ist, wer will sie?

Als das Prostitutionsgesetz liberalisiert wurde, argumentierten Prostituierte mit der Aufwertung ihrer Arbeit. Aber erst die Zertifizierung der sexuellen Dienstleistungen würde dazu beitragen. Die Politik sollte die Weichen stellen. Die Zertifizierung ist eine positiv gedachte Kontrolle. Möglich, dass das Angebot der Frauen dadurch teurer wird, aber ein hoher Preis wirkt sich ebenfalls positiv auf das Selbstwertgefühl der Dienstleisterinnen aus – und das können Feministinnen nicht schlecht finden.

Natürlich, so werden einige einwenden, wird es weiterhin einen billigen, unzertifizierten Markt geben. Warum? Weil Männer unbedingt abspritzen müssen? Dies so zu denken ist männerfeindlich. Dank geeigneter PR-Aktionen und Medienevents wird sich durchsetzen, dass es für alle besser ist, zu einer zertifizierten Frau zu gehen als zu jemandem, wo der Mann nicht weiß, was er bekommt.

Für die, die aber immer noch nur abspritzen wollen, möglichst billig, und denen eine Blumenvase mit schlankem Hals nicht reicht, bieten sich in naher Zukunft die virtuellen dreidimensionalen Peepshows an oder die Studios, in denen lebensechte Puppen – aus biozertifizierten Kunststoffen – penetriert werden können. Hauptsache, weibliche Schablone? Hauptsache, Loch?

In der Schokofabrik, einem Frauenzentrum in Berlin, stand lange eine aus Gips geformte lebensgroße weibliche Mumie, die innen hohl war. Bauarbeiter, die im Haus tätig waren, schlitzten ihr ein Loch, wo sie ihre Vagina vermuteten, und warfen von oben, dort, wo die Öffnung fürs Gesicht war, ihre Bierflaschen hinein.

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Seit 2002 bei der taz, erst im Lokalteil, jetzt in der Wochentaz. 2005 mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet für die Reportage „Schön ist das nicht“, 2011 wurde die Reportage „Die Extraklasse“  mehrfach prämiert. 2021 erschien ihr Roman "Brombeerkind" im Ulrike Helmer Verlag. Es ist ein Hoffnungsroman. Mehr unter: www.waltraud-schwab.de . Auch auf Twitter. Und auf Instagram unter: wa_wab.un_art

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