Der große Sieger heißt Gabriel: Sie nannten ihn Siggi Pop

„Heute antworte ich auf alle Fragen“, sagt Sigmar Gabriel. Der SPD-Chef ist mächtig wie nie zuvor. Nur einer kann ihm noch im Weg stehen: Sigmar Gabriel.

Die unumstrittene Nummer eins: Sigmar Gabriel. Bild: dpa

BERLIN taz | Im Willy-Brandt-Haus hat sich was getan. Die meterhohen Folien, die seit dem Beginn der Koalitionsverhandlungen das Innere der SPD-Zentrale gegen neugierige Blicke geschützt haben, sind weg. Jetzt, wo alles erledigt ist, wo der Mitgliederentscheid durch ist und die Posten vergeben werden, darf wieder jeder sehen, was sich bei den Sozis tut.

An diesem Sonntagmittag stellt der Parteivorsitzende die künftigen SPD-Kabinettsmitgliedern vor. Sigmar Gabriel, man sieht es ihm an, ist immer noch verdammt stolz auf seine SPD. Tags zuvor hatte die Auszählung ergeben, dass 76 Prozent der teilnehmenden Sozialdemokraten einverstanden sind mit dem Koalitionsvertrag, den Gabriel und andere Spitzengenossen über Wochen mit der Union ausgehandelt haben.

Gedreht hat das Ding vor allem einer: Sigmar Gabriel. Der Mann, den sie mal Siggi Pop nannten. Der, den Karikaturisten gern noch breiter zeichnen, als er tatsächlich ist. Der, der stets als sprunghaft und eitel beschrieben wird. Genau der wird jetzt Vizekanzler in einer Großen Koalition. Wer hätte das gedacht? Vielleicht nicht einmal er selbst, sollte man meinen, wenn man tags zuvor gesehen hat, wie ihm bei der Verkündung des Mitgliedervotums vor Freude und Rührung die Tränen in den Augen gestanden haben.

Sigmar Gabriel ist im Dezember 2013 auf dem Höhepunkt seiner persönlichen und politischen Laufbahn angelangt. Er ist jetzt 54 Jahre alt, er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Im schwarz-roten Kabinett wird er das um das Thema Energie erweiterte Wirtschaftsministerium führen. Er bleibt Parteivorsitzender. Und für all dies, dieses Übermaß an Zuschreibungen und Macht, hat ihm die Basis auch noch ihr Okay gegeben. Jetzt muss er nur noch das Richtige daraus machen.

Als Gabriel vor Beginn der Koalitionsverhandlungen verkündet hatte, er wolle, dass ganz zum Schluss die Parteibasis über das ausgehandelte Dokument entscheidet, war das Zittern groß. Zwar wurden die SPD-Unterhändler für ihre Strategie gelobt, alle 474.820 Genossen mit am Verhandlungstisch Platz nehmen zu lassen. Aber wer konnte nach dem Bundestagswahl-Ergebnis von 25,7 Prozent sagen, ob sie zustimmen würden? Drei Monate nach der verlorenen Wahl sollten die Genossen die verhasste Große Koalition absegnen? Kaum vorstellbar.

Gabriel dreht die Stimmung

Aber Gabriel und seine Leute zogen in den Kampf um die Stimmen der Mitglieder. Auf Regionalkonferenzen erläuterten sie den Inhalt des Koalitionsvertrages. Sie ließen sich für Kompromisse beschimpfen und hatten sich gegen den Verdacht zu erwehren, ihnen ginge es lediglich um Posten. Von dem, was Machtbeteiligung, und von dem, was Machtverzicht bedeuten würde, bekamen alle Beteiligten Stück für Stück einen Begriff. Und siehe da: Die Stimmung drehte sich.

Am Ende hat Sigmar Gabriel gewonnen: An diesem Sonntagmittag nun nennt er die Namen jener, die mit ihm am Kabinettstisch Platz nehmen dürfen. Er nennt auch den Namen jenes Mannes, der es nicht geschafft hat: Thomas Oppermann. Der künftige Fraktionsvorsitzende hatte auf das Justizministerium gehofft. Nun steht er mit blassem Gesicht auf dem Podium und ringt um Haltung. Als Sigmar Gabriel wortreich Oppermanns Eignung zum Fraktionschef erläutert, klopft der sich selbstironisch auf die Schulter: Schon gut, ich mach’s ja.

Die anderen Minister in spe lächeln derweil unentwegt. Der Chef lobt sie der Reihe nach: Frank-Walter Steinmeier, den „profilierten Außenpolitiker“; Andrea Nahles, die das Arbeits- und Sozialministerium führen wird. Dann den Saarländer Heiko Maas, der das Justizressort übernimmt, und Manuela Schwesig, die neue Familienministerin.

Es folgt Barbara Hendricks, die Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit und Städtebau wird. Schließlich Aydan Özoguz, „eine Frau mit türkischen Wurzeln“, die Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration wird. Schließlich geht es um Nahles’ Nachfolge als Generalsekretärin. Gabriel, das war bekannt, wollte den Parteilinken Ralf Stegner auf dem Posten sehen.

Stegner zu männlich

Doch weil Stegner ein Mann ist und, so Gabriel, „in der SPD die Alltagsgesichter zu männlich sind“, wird nun eine Frau gesucht, die künftig die Geschäfte im Willy-Brandt-Haus führt. Und Ralf Stegner wird stellvertretender Parteivorsitzender. Extra für ihn wird die Zahl der Vizeposten von fünf auf sechs aufgestockt.

Als danach die zahlreichen anwesenden Journalisten nach Staatsministerposten, Inhalten und Analysen fragen, antwortet nur einer: Sigmar Gabriel. Irritierenderweise mehrfach im Pluralis Majestatis, jenem autoritären, das Ich meinenden Wir. Detailfragen, so der kommende Vizekanzler, beantworte er, „wenn wir im Amt sind“.

Und als Aydan Özoguz nach Eckpunkten ihrer Arbeit gefragt wird, geht Gabriel dazwischen. „Heute antworte ich auf alle Fragen. Wir stellen Personen vor und geben keine Regierungserklärung ab.“ Das, mit Verlaub, könnte Sigmar Gabriel auch gar nicht. Für Regierungserklärungen ist immer noch die Bundeskanzlerin zuständig.

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