Provinz in der Ukraine: Der nächste Trouble Spot

Seit drei Wochen ist die Lage in der Ukraine mehr als angespannt. Im Zentrum steht Kiew. Aber auch auf der Krim regt sich was.

Eigentlich ist es ja ganz beschaulich auf der Krim. Bild: imago/Itar-Tass

KRIM taz | Die Lage in der Ukraine ist angespannt. Seit drei Wochen schon. Die Demonstrationen von heute unterscheiden sich in ihrem Wesen von denen der Orange Revolution. Im Mittelpunkt des weltweiten Interesses steht Kiew. Was in den Regionen passiert, ist kaum bekannt. Dabei spielt die Krim eine nicht ganz unwichtige Rolle. Viele sehen sie bereits als den nächsten potenziellen Trouble Spot.

Was sich auf der Krim vor dem Hintergrund des ukrainischen EuroMaidan abspielt, ist ein deutliches Zeichen und von historischer Bedeutung. Zum ersten Mal in der Geschichte organisiert sich die apolitische und phlegmatische Krimbevölkerung selbst. Viele gehen auf die Straße, ohne die Unterstützung politischer Kräfte.

Natürlich lässt sich das Ausmaß der Protestaktionen in der Hauptstadt der Republik Krim, in Simferopol, nicht annähernd mit dem der Kiewer Demonstrationen vergleichen. Doch in dieser Region ist jeder, der sich auf die Straße wagt, ein Ereignis. Erstaunlich ist auch, dass sich sogar aus Sewastopol, dem Hort prorussischer Positionen, Demonstranten auf den Weg nach Simferopol gemacht haben. Auf eine derartige Entwicklung waren die Machthaber der Krim nicht vorbereitet. Und so lässt sich das Parlament der Krim einiges einfallen, um die Proteste zum Erliegen zu bringen.

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Wenn sich die selbst organisierten Demonstranten für die Eurointegration in Simferopol auf dem Platz der Autonomie versammeln, steht ihnen eine ungleich größere Zahl an Pro-Regierungs-Demonstranten mit Fahnen der „Partei der Regionen“ gegenüber. Sie sind gekommen, weil die Machthaber sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Straße bringen.

Wer nicht protestiert, wird abgemahnt

„Mein Chefarzt hat allen Angestellten befohlen, zu einem bestimmten Zeitpunkt auf dem Leninplatz zu einer Demonstration zu erscheinen“ berichtet Olga, eine Krankenhausärztin aus Simferopol. „Dort angekommen, muss man sich unter Angabe der Anwesenheitszeiten in die Anwesenheitslisten eintragen. Wer nicht kommt, muss mit einer Abmahnung oder gar seiner Entlassung rechnen.“

Prorussische Demo in Simferopol im September. Bild: imago/Itar-Tass

Ähnliches berichten Lehrer, Bibliothekare, Sozialarbeiter und andere staatliche Angestellte. Wer auf dem Platz eingetroffen ist, erhält ein Transparent mit Parolen wie: „Krimbewohner für bessere Wirtschaftsbeziehungen mit der Russischen Föderation! Keinen Handelskrieg gegen Russland! Stoppt die Erpressung der Europäischen Union!“ Tausende werden so zu Demonstranten.

Auf der anderen Seite des Platzes ist die andere Demonstration. Dort fordert man die Unterzeichnung des Assoziationsabkommens der Ukraine mit der EU. Diese Kundgebung hat mit einigen hundert Demonstranten weniger Teilnehmer. Dennoch ist sie für die Krim ein großer Erfolg! Auf der Krim kann man nicht so einfach auf die Straße gehen und seine Forderungen öffentlich kundtun. Es ist die Sehnsucht der Menschen nach europäischen Werten, nach einem Leben in Würde und Ehrlichkeit und ohne Korruption, die diese Leute auf den Platz gebracht hat.

Zum ersten Mal hört man in diesen Tagen die ukrainische Nationalhymne wieder in den Straßen von Simferopol, sieht man Passanten in ukrainischer Nationaltracht und mit den Fahnen unseres Landes. Oft demonstrieren ganze Familien. Andere bringen ihre Freunde mit. Auf diesen Demonstrationen herrscht eine sehr vertraute, heimische Atmosphäre, aus den Augen der Demonstrierenden leuchtet die Hoffnung. Glücklicherweise finden sich auf keiner der beiden Seiten Aggressionen. Russische Medien, die dies berichten, verzerren das Bild von der Haltung der Krimbewohner zur Eurointegration der Ukraine.

Ratlose Machthaber

Die Befehle und Aktionen der örtlichen Machthaber zeigen, dass man dort ratlos ist, nicht weiß, wie man mit der wachsenden Zahl der Befürworter der Eurointegration umgehen will. Anfang Dezember bat das Parlament der Krim den Präsidenten der Ukraine um die Verhängung des Ausnahmezustands über das Land. Am 11. Dezember spielte der Oberste Sowjet der Krim seinen letzten Trumpf aus und warnte, dass ein Verbot der russischen Sprache drohe, sollte der EuroMaidan gewinnen.

Auch der vom Kreml in der Ukraine eingesetzte Wiktor Medwetschuk, den man in Russland gerne den „nächsten Präsidenten der Ukraine“ nennt, profiliert sich mit antieuropäischer Rhetorik. Die Straßen der Krim sind voll von Losungen wie: „Die Assoziierung mit der EU vernichtet Arbeitsplätze“, „Nach der Assoziierung kommt die gleichgeschlechtliche Ehe“, und ähnlichen. Insbesondere ältere Menschen schenken diesen Parolen Glauben. Das zeigt aber auch, dass man vom Wesen der Assoziierung und ihren Vorzügen nur wenig Kenntnisse hat. Dass dies so ist, liegt auch an den örtlichen Medien und ihren regierungsfreundlichen Besitzern.

Interessant ist die Position der Krimtataren. Ihr neuer Chef erklärte unlängst, das Volk der Krimtataren stelle sich hinter eine europäische Entwicklung der Ukraine. Einige machten sich sogar eigens auf den Weg nach Kiew zum EuroMaidan. Früher hätten sie damit die Stimmung auf der Krim angeheizt, heute ist jedoch alles anders.

Die Behörden der Krim tun alles, um die Lage in den Griff zu bekommen und dem offiziellen Kiew zu zeigen, dass man auf der Krim keinen EuroMaidan zu erwarten habe. Doch die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache. Eine neue Generation ist herangewachsen, und diese versteht sich als Teil einer großen und europäischen Ukraine.

Aus dem Russischen von Bernhard Clasen

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