Israelische Chefzensorin über ihren Job: „Unsere Zensur ist präventiv“

Sima Vaknin-Gil will die israelische Zensurbehörde vom Militär trennen. Sie erklärt, wie sie die Balance halten muss zwischen dem Recht auf Sicherheit und dem auf Freiheit.

„Es gilt, die Balance zu halten“, sagt Israels Chefzensorin. Bild: fult/photocase.com

sonntaz: Frau Vaknin-Gil, als wir Ihnen das letzte Mal begegnet sind, trugen Sie eine Uniform der israelischen Armee, als Sie einen Vortrag hielten. Hier auf der Journalistenkonferenz in Eilat sieht man Sie in Dreiviertelhose und Turnschuhen. Sind Sie als Chefin der Zensurbehörde nun Teil des Militärs oder nicht?

Sima Vaknin-Gil: Wir sind zwar aus logistischen und finanziellen Gründen bei der Armee verankert, gehören aber nicht dazu. Ich zeige mich deshalb hier in Zivil, außer auf dem Panel. Wenn ich die Zensurbehörde repräsentiere, trage ich auch die Uniform.

Sie tragen die Uniform der Armee, empfangen aber keine Befehle vom Generalstabsschef?

Ich wurde vom Verteidigungsminister zur Chefzensorin von Israel ernannt. Meine Arbeit wird nicht vom Militär beeinflusst, ich arbeite unabhängig. Wenn jemand ein Problem mit meinen Entscheidungen hat, sehen wir uns vor dem Obersten Gerichtshof.

Warum tragen Sie dann die Uniform? Ist das eine Machtdemonstration?

Macht will ich damit nicht demonstrieren, aber Autorität. Wir repräsentieren Israels Sicherheitssystem. Es ist ein Überbleibsel des britischen Mandats. Damals, 1948, haben die Briten einfach ihre eigene Militärzensur auf Israel übertragen und bei den Israeli Defence Forces angegliedert. Das ist bis heute so. Ich bin übrigens gerade in Verhandlungen, die Zensurbehörde komplett vom Militär zu trennen und dem Verteidigungsministerium anzugliedern. Sie sind die Ersten, die das erfahren.

Warum jetzt?

Der Verteidigungsminister und ich finden beide, dass es passender wäre, wenn die Zensorin keine Uniform tragen würde. Israel ist jetzt weniger militant, als es noch vor ein paar Jahrzehnten war, deshalb könnte man es jetzt mal wieder versuchen.

Israel bezeichnet sich selbst als die einzige Demokratie im Nahen Osten. Eine Zensurbehörde steht dazu aber im Widerspruch, oder?

Ja. Uns ist klar, dass Zensur und Demokratie einander ausschließen. Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass Israel mit einigen Herausforderungen konfrontiert ist. Unsere Zensur ist präventiv. Das bedeutet, wenn sie jetzt jemanden aus dem israelischen Militär interviewen und den Artikel in Israel veröffentlichen wollen, dann sollten Sie es vorher der Zensurbehörde vorlegen. Der gesamte Nahe Osten ist so instabil, wir wissen nicht, was an unseren Grenzen passieren wird, wohin Hamas und Hisbollah sich bewegen. Es ist ungewiss, was in Ägypten passiert – das alles bedroht Israels Sicherheit. Es gilt, die Balance zu halten zwischen dem Recht auf Leben, das gewisse Sicherheitsmaßnahmen erfordert, und dem Recht auf freie Rede.

Vaknin-Gil, 48, ist seit neun Jahren Chefin der israelischen Zensur. In ihrem Büro sammelt sie Eulen. Die Vögel symbolisieren für Vaknin-Gil ihre Behörde: intelligent, nachtaktiv.

Wie geht das?

Wir legen der Presse keine drakonische Vorgaben auf, sondern arbeiten mit einer gemeinsamen Übereinkunft, einem Konsens. Das ist eine Win-win-Situation: Ich setze nicht meine gesamte Macht ein, die ich per Gesetz verliehen bekommen habe. Dafür bekomme ich alle Informationen, die Artikel oder Beiträge, die die Sicherheit des Landes gefährden könnten, vorher zur Kontrolle.

Computer werden immer kleiner und verschmelzen mit uns. Warum lassen wir sie nicht gleich in unsere Körper einbauen? Die Titelgeschichte „Bessere Menschen“ über Cyborgs und ganz gewöhnliche Menschmaschinen lesen Sie in der taz.am wochenende vom 14./15. Dezember 2013 . Darin außerdem: Der Generationen verbindende Fernsehabend am Samstag ist tot. Das wird auch Markus Lanz nicht ändern. Warum das gut so ist. Und: Ein Gespräch mit dem Direktor des Zirkus Roncalli über Heimat, Glühbirnen und den Duft der Manege. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob etwas durch die Zensur geht oder nicht?

Nehmen wir zum Beispiel den Iran. Ich werde jede Form von Kritik an der Politik, sämtliche Pros und Kontras eines Angriffs, erlauben. Ich werde kein Komma verändern, wenn es um Netanjahu und Obama geht. Alles ist erlaubt bis auf eines: die Veröffentlichung von Militär- und Geheimdienstinformationen. Es kommt meistens eher darauf an, wie man die Information verpackt, als um die Information selbst. Wenn eine Information als Gedanke des Journalisten verkauft wird anstatt als Aussage des Generalstabschefs, dann lasse ich es durchgehen.

Oft geht es nur um einzelne Wörter, oder es wird eine Phrase eingefügt: „laut ausländischen Medien“. In Kriegszeiten sind wir rigider, die Informationen des Geheimdienstes sollen geheim bleiben, und unmittelbar vor Militäraktionen erlaube ich nicht, dass darüber berichtet wird. Genauso wenig darf über Kriegsgefangene berichtet werden, denn das ist in Israel ein sehr heikles Thema.

Wie viele eingereichte Beiträge werden von Ihnen im Jahr zensiert?

88 bis 90 Prozent der Beiträge geben wir beanstandungslos zurück. Bei den übrigen 12 Prozent sind es meistens nur kleine Wortänderungen. In diesem Jahr wurden fünf Beiträge zurückgehalten, weil sie Geheimdienstinformationen zu einem möglichen Terroranschlag beinhalteten. Als die Gefahr vom Tisch war, wurden sie freigegeben.

Aber ist Zensur in Zeiten von NSA überhaupt noch zeitgemäß – wissen Feind und Freund nicht sowieso schon alles? Oder ist das israelische Sicherheitssystem besser als unseres?

Ich glaube, es ist sogar schlechter. Aber die NSA hat nichts mit Zensur zu tun, sondern mit dem Sammeln von Informationen, von Alliierten und Feinden gleichermaßen. Bei der Zensur geht es darum, jemandem, der die Information bereits hat, davon abzuhalten, sie zu veröffentlichen. Es gibt immer noch eine Menge Informationen, die nicht nach außen dringen dürfen und die deshalb nicht an die Öffentlichkeit gelangen, weil es uns gibt. Es gibt Geheimnisse, die Israel sehr schaden könnten. Aber die werden niemals öffentlich werden.

Sicher?

Absolut sicher. Aber viele Informationen werden auch publik. In Büchern, in Blogs. Die Frage ist auch gar nicht: Ist die Information einmal nach außen gedrungen? Sondern wo, wie, von wem und in welcher Auflage. Also geht es im allgemeinen Rauschen des Internet unter – oder erreicht die Nachricht eine Aufmerksamkeit, bei der sich die Hisbollah denkt: Da muss was dran sein. Das heißt: Von vielem, was im Internet kursiert, weiß ich, dass es ganz und gar nicht harmlos, sondern sehr gefährlich ist, aber die meisten anderen wissen es eben nicht.

Die Informationsflut im Internet hat also auch gewisse Vorteile?

Ja. Zwischen all dem Blödsinn gehen die wichtigen Informationen von verlässlichen Quellen oft unter. Ich war selbst mal beim Geheimdienst, ich weiß, wie schwer es ist, aus all den Informationen die wichtigen rauszupicken. Aber wenn der Sicherheits- und Geheimdienstspezialist einer großen Zeitung etwas schreibt, das sich nur aus Internetinformationen speist, ohne ein Zitat aus der Armee – dann ist er trotzdem eine vertrauenswürdige Quelle, deren Informationsauswahl bereits so viel Bedeutung hat, dass ich seine Artikel zensieren muss. Ich lese dann auch nicht nur seine Artikel, sondern auch seine Tweets und Blogeinträge.

Da haben Sie ja jede Menge zu tun. Bei der wachsenden Zahl von Twitterern und Bloggern wird es nicht gerade einfacher, diese zu kontrollieren.

Ich will sie ja nicht kontrollieren, niemand kann das Internet kontrollieren. Auch nicht China mit seinen 30.000 Zensoren. Wie sollte ich es mit 34 Mitarbeitern hinkriegen? Aber ja, es ist eine wachsende Herausforderung.

Wenn sich der Redakteur für Sicherheitsangelegenheiten zu sehr kontrolliert fühlt, könnte er seine Informationen aber auch einfach an ausländische Journalisten weitergeben. Eine Möglichkeit, die Zensur zu umgehen.

Außerhalb Israel kann ich nichts dagegen tun. Wenn Sie hier eine kritische Information erhalten und sie in Deutschland veröffentlichen, kann ich das nur bedauern. Aber die meisten Journalisten würden einen solchen Scoop nicht aus der Hand geben. Was leider oft passiert, sind Kooperationen von Israelis und ausländischen Journalisten. Da ist dann der Teil, der nicht von uns gecheckt wurde, für die israelische Sicherheit sehr bedenklich.

Was passiert, wenn sich ein Journalist nicht an die Regeln hält?

Er bekommt einen Anruf von mir. Ich versuche herauszufinden, warum er so gehandelt hat. Es gibt ein Schlichtungskomitee und schlimmstenfalls eine eher harmlose Strafe. Aber, wie gesagt, die israelischen Journalisten wissen sehr viel, und sie geben es nicht preis. Manchmal sind sie strenger mit sich selbst als ich mit ihnen.

Das Interview führte Julia Niemann zusammen mit Anne Demmer.

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