Debatte um Prostitution: Der unsichtbare Freier

In der Prostitutionsdebatte werden alle Bereiche durchleuchtet: Huren, Bordelle, Gesetze. Nur die Männer nicht, die für Sex zahlen.

„Die Freier sind nicht die Bösen“: Mann betritt Bordell. Bild: dpa

Hendrik T. hört die Tür hinter sich ins Schloss fallen und steht wieder auf der Straße. Keiner der vorbeihastenden Passanten bemerkt, wo er gerade herkommt. Er mischt sich in die Menge und beginnt zu weinen, ohne genau zu wissen, warum: Hendrik hat gerade zum ersten Mal für Sex bezahlt – so erinnert er sich.

„Wir fordern: Prostitution abschaffen!“, sagen Alice Schwarzer und die Zeitschrift Emma in einer Petition. Unterschrieben haben auch zahlreiche Prominente und PolitikerInnen. Der „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ reagierte unmittelbar mit einem Gegenappell für Prostitution. Nun diskutiert die Gesellschaft wieder über die Prostitution und was denn nun das angeblich Beste für die Sexarbeiterinnen ist. Nur die Freier, Männer wie Hendrik T., kommen kaum zu Wort.

„Durch die momentane Berichterstattung fühle ich mich weder repräsentiert noch angesprochen“, sagt Hendrik T. „Das liegt wohl zum einen an dem sehr undifferenzierten Bild von Freiern innerhalb der Debatte. Zum anderen habe ich das Ganze vollkommen heimlich gemacht, wodurch ich es besser verdrängen und diesen schambesetzten Teil gut von mir lostrennen konnte.“

Hendrik T. ist 29 Jahre alt und Referendar an einer Berufsschule. Und er hatte in der Vergangenheit Sex mit Prostituierten. Offen und selbstbewusst darüber zu reden fällt ihm immer noch schwer. Wenn Hendrik T. über sich als Freier spricht, versteckt er sich hinter umständlichen Sätzen. Es klingt, als sei nicht er, sondern ein anderer Mann ins Bordell gegangen. Diskutieren Leute im Fernsehen oder in den Zeitungen über Prostitution, interessiert es Hendrik T. nur politisch, wie er sagt, als habe es mit ihm selbst nichts zu tun. „Wie der Syrienkonflikt.“

Dann zögert Hendrik T. lange und blickt konzentriert auf seine Hände. Als er wieder aufsieht, sagt er: „Wenn hingegen Menschen, die mir nahestehen, sich abfällig über Bordellbesucher äußern, greift mich das an, und ich fühle mich schuldig, voller Scham. Dann denke ich, dass ich einer von denen sein sollte, die sich für die Rechte von Prostituierten einsetzen und gleichzeitig respektvoll über Freier sprechen. Ohne selbst einer zu sein.“

Freier sind keine Täter, Huren keine Opfer

Alexa Müller, Mitarbeiterin des Vereins Hydra und selbst Sexarbeiterin, nennt mehrere Gründe, warum Erfahrungen von Freiern in der aktuellen Debatte keine Rolle spielen: „Es gibt kaum Freier, die sich öffentlich outen wollen. Viele schämen sich außerhalb der Bordelle in dieser moralgeschwängerten Kultur schon genug“, erklärt sie. Müller glaubt auch, dass Politik und Gesellschaft kein Interesse daran hätten, sich ausführlich mit den Freiern zu befassen, weil es das öffentliche Bild ins Wanken bringen könnte: „Kämen nette, respektvolle Klienten haufenweise zu Wort, würden das Täterbild des Freiers und somit auch das Opferbild der Hure nicht mehr stimmen. Diese Bilder sind bewusst von Medien und Politik für ihre Zwecke instrumentalisiert.“

Müller erwähnt, dass auch Frauen Kundinnen von ihr seien. Zum Beispiel weil sie Schwierigkeiten mit dem Orgasmus hätten und etwas lernen wollten, wie auch einige Männer. „Sind das dann auch Täterinnen?“, fragt sie. Falle der Täter auf einmal weg und der Freier sei Kunde, würde das den „gesellschaftlichen Schein von Anständigkeit und Moral“ erschüttern, meint Müller. „Stattdessen wird eine sexfeindliche Kultur zementiert, in der verschwiegen werden kann, wo die meiste sexuelle Gewalt stattfindet: in der Ehe und unter Menschen, die sich kennen.“

Wenn der Freier nicht länger als Täter gesehen würde, wer wäre dann für die Missstände im Bereich der Prostitution verantwortlich? Susanne K. arbeitete früher als Sexarbeiterin und ist heute Geschäftsführerin mehrerer Berliner Bordelle. „Die Freier sind nicht die Bösen“, sagt sie. „Es gibt auch Arschlöcher darunter. Aber in der Regel bezahlen sie, bekommen ihren Sex und gehen. Die Politiker hingegen nehmen nur und geben nichts.“ Sie meint damit die deutsche Steuerpolitik.

Die pauschalisierten Steuererhebungen, die gemäß dem Düsseldorfer Verfahren vorab über das Bordell abgerechnet werden müssen, erschweren die legale Prostitution für die Sexarbeiterin. Solange eine Sexarbeiterin gemeldet ist, verdiene der Staat an ihr, unabhängig davon, ob sie sich aus freiem Willen oder mangels einer Alternative prostituiere. Gleichzeitig blieben vielen durch Regelungen in der Asyl- und Sozialpolitik Alternativen zur Prostitution verwehrt: „Der Strich ist dann für viele Frauen doch besser als die Abschiebung oder kein Einkommen.“

Der erste ist „das Gesicht der Freier“

Christiane Howe, Sozialwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität, hat viel im Bereich der Prostitution geforscht und dabei besonders auch die Rolle des Freiers untersucht. Zur Abwesenheit des Freiers in der Debatte sagt sie: „Es ist immer eine große Hürde, der Erste zu sein, der sich outet. Dann ist man das Gesicht der Freier per se, und das haftet einem an. Man braucht ein ganz dickes Fell dazu.“ Howe findet es problematisch, dass in Forschung und Medien nur wenig über Freier bekannt ist: „Bis heute bestehen die hartnäckigsten Vorurteile: Freier sind allesamt fett, unattraktiv, einsam oder stehen mindestens unter einem enormen sexuellen oder wie auch immer gearteten Druck.“

Aus den wenigen vorliegenden Studien gehe jedoch hervor, dass die Gruppe der Freier in jeder Hinsicht heterogen sei. Um die Sexarbeiterinnen zu unterstützen, müssen Verhalten, Gefühle, Erfahrungen und Motive der Freier besser erforscht und verstanden werden.

Hendrik T. geht 2006 während seiner Studienzeit in Hamburg zu Sexarbeiterinnen. Prostitution ist zu diesem Zeitpunkt bereits legal – entsprechend der rot-grünen Gesetzesreform, die zum Ziel hatte, die Situation der Sexarbeiterinnen zu verbessern. „Die Gesetzeslage, aber auch die offene Verfügbarkeit haben die Besuche bei Prostituierten für mich leichter gemacht“, sagt Hendrik T. Als er das erste Mal ein Bordell aufsucht, muss er in keine zwielichtige Ecke schleichen, sondern findet Prostitution dort, wo er auch sonst häufig mit seinen Freunden unterwegs ist: auf der Hamburger Reeperbahn.

Er geht durch die bunt beleuchteten Straßen und ist unsicher und aufgeregt, aber nicht allein. „Die hohe Frequenz, mit der überall um mich rum Männer aus dem Treiben der Straße in Stripklubs und Bordelle abbogen, hat es leichter gemacht“, erinnert er sich. „Hätte ich befürchten müssen, dass die Polizei an der nächsten Ecke wartet und ich eine peinliche Anzeige bekomme, wäre die Hemmschwelle deutlich höher gewesen.“ Für ihn sei die Legalität wichtig gewesen, sagt Hendrik T., verallgemeinern lasse sich das aber nicht: „Wäre ich regelmäßiger zu Prostituierten gegangen, kann ich mir vorstellen, dass ich auf eine Weise abhängig geworden wäre. Dann wäre es vielleicht nebensächlich, ob Prostitution legal ist oder illegal, ich hätte es so oder so gemacht.“

Sehnsucht nach einem „positiven Gefühl“

Hendrik T. ist nur einer von vielen. Ist er als Freier verantwortlich für die Missstände im Bereich der Prostitution? Oder ist es vielmehr eine fragwürdige Politik, die nicht imstande ist, freiwillig als Sexarbeiterin tätige Frauen anzuerkennen und unfreiwillig oder alternativlos arbeitende zu schützen?

Heute glaubt Hendrik T., dass ihn Unzufriedenheit und Einsamkeit dazu gebracht haben, ins Bordell zu gehen. „Ich hatte Sehnsucht nach einem diffusen positiven Gefühl“, erinnert er sich. „Nachdem sich das Gefühl auch nach wiederholten Besuchen nie eingestellt hat, bin ich irgendwann nicht wieder hingegangen.“

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