Nach der Frauenrettung in London: Wider die unsichtbare Sklaverei

Mehr Sonderermittlerteams, mehr Aufmerksamkeit von Nachbarn: Das fordern Experten nach der Rettung von drei versklavten Frauen in London.

„Einer meiner schlimmsten Fälle“: der leitende Ermittler Kevin Hyland vor der Presse in London. Bild: dpa

LONDON taz | Großes Entsetzen herrscht in Großbritannien, nachdem am Donnerstag bekannt geworden war, dass drei Frauen im Süden Londons einem 30 Jahre langen Haussklavenzustand entkommen sind. Premierminister David Cameron sagte am Freitag, er fände die Nachricht über die Ausbeutung der drei Frauen „vollkommen entsetzlich“.

James Brokenshire, Staatsminister für Sicherheit im Innenministerium, sagte, es werde lange dauern, diesen Fall zu dokumentieren. Der leitende Ermittler Kevin Heyland gab an, dass es einer der schlimmsten Fälle von Sklaverei sei, mit denen er je zu tun hatte.

Die kleine Wohltätigkeitsorganisation „Freedom Charity, die sich normalerweise mit Zwangsheiraten auseinandersetzt, war im Oktober nach einer BBC-Dokumentation zu diesem Thema von einer der Frauen kontaktiert worden, wahrscheinlich, weil diese Ähnlichkeiten zwischen den Schicksalen der Mädchen in der Sendung und ihrer eigenen Situation sah.

Die drei Frauen, eine 69-jährige Malaysierin, eine 57-jährige Irin und 30-jährge Britin, konnten in einer mit der Polizei koordinierten Rettungsaktion dem Haus im Südlondoner Stadtteil Lambeth entkommen, in dem sie offenbar jahrzehntelang festgehalten worden waren. Zwei 67-jährige Personen, ein Mann und eine Frau, beide nach Polizeiangaben nicht britischer Abstammung, sind wegen Sklaverei und Verschleppung angeklagt, bleiben aber zunächst gegen Kaution auf freiem Fuß.

Zutiefst traumatisiert

Nach Polizeiangaben wurden die drei Opfer in schecklichen Umständen gefangengehalten und auch geschlagen; sie seien zutiefst traumatisiert. Eine Sprecherin der Heilsarmee, die sich im Auftrag der britischen Regierung normalerweise um die Opfer von Verschleppungen und Menschenhandel kümmert, sagte der taz, dass die Frauen nicht in ihrer Obhut seien - „ein Zeichen, dass es sich hier um einen sehr schlimmen Fall handelt, oder dass es Gesundheitsprobleme gibt, die intensivere Hilfe erforderlich machen“.

Ob die 30-jährige, die nach Angaben der Polizei, ihr ganzes Leben in Sklaverei verbracht hatte, ein Kind eines ihrer Peiniger ist, wurde nicht bekanntgegeben. Catherine Timny von der Selbsthilfegruppe „Kalayaan“, die gegen Misshandlung von als Dienstmädchen eingereisten Migranten in Privathaushalten kämpft, sagt, dass sexueller Missbrauch oft das Letzte ist, was in solchen Fällen herauskommt. Viele Opfer seien nicht in der Lage, darüber zu reden.

Nicht der erste Fall

Es ist nicht der erste solche Fall in Großbritannien. Erst im Oktober waren Ilyas Ashar, 84 und Taliat Ashar, 63, ein Ehepaar aus Manchester zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden, weil sie eine taubstumme Frau gegen ihren Willen als Sklavin hielten. Der Mann soll sie wiederholt vergewaltigt und sexuell misshandelt haben.

In einem anderen Fall, bei dem dieses Jahr Urteile fielen, wurden Alkoholiker und Drogenabhängige in Ostlondon gefangengehalten, als Billigjobber vermietet und ausgebeutet. Außerdem deckte die Polizei einen Ring auf, der verschleppte chinesische und vietnamesische Kinder auf illegalen Marihuanaplantagen ausbeutete.

Laut der Organisation „Walk Free“ leben in Großbritannien 4200 bis 4600 Menschen in sklavereiähnlichen Verhälrtnissen; weltweit seien es 29,8 Millionen. Anthony Steen von der „Human Trafficking Foundation“, die die Regierung beim Kampf gegen Menschenhandel berät, sagte am Freitag, dass Menschenhandel in Großbritannien das zweitgrößte Verbrechen hinter dem Drogenhandel sei. Anders als in der Vergangenheit sei moderne Sklaverei heute jedoch versteckt.

Was tun? Sonderermittler und aufmerksame Nachbarn

Was kann dagegen getan werden? „Kalayaan“ verlangt mehr Aufklärungsarbeit im Ausland über die Rechte von Zeitarbeitern, und zwar in allen Sprachen. „Stop the Traffic“ und „Walk Free“, die beide mit Hausärzten, Polizisten, Gefängnisaufsehern und anderen professionellen Stellen arbeiten, die mit gefährdeten Personen in Kontakt kommen könnten, drängen auf Sonderermittlerteams der Regierung. Ein solches Team war auch an der Rettung der drei Frauen am Donnerstag beteiligt.

Einig sind sich alle über die Rolle von Nachbarn - wenn beispielsweise jemand offensichtlich in einer Wohnung lebt, aber nie das Haus verlässt oder wie in diesem Fall höchstens zum Wäscheaufhängen im Garten unter Aufsicht; oder wenn Schreie auf Gewalt oder Missbrauch hindeuten. Anthony Steen betont, dass es Nachbarn seien, die am meisten zur Aufdeckung solcher Verbrechen beitragen könnten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.