Neues Brandgutachten im Fall Jalloh: Mit Benzin begossen und angezündet

Zur Ursache vom Tod Oury Jallohs in Polizeigewahrsam gibt es ein neues Brandgutachten. Dessen Fazit: der Flüchtling muss ermordet worden sein.

Sah so das Feuer aus? Präsentationsvideo zum Brandgutachten bei der Pressekonferenz. Bild: dpa

BERLIN taz | 30.000 Euro hatten die Aktivisten bei Unterstützern gesammelt. Es war die letzte Chance, die sie sahen, den Feuertod des Afrikaners Oury Jalloh aufzuklären. Mit dem Geld bezahlten sie den britischen Brandgutachter Maksim Smirnou. Er sollte eine Antwort auf die Frage finden, wie einer der mysteriösesten Todesfälle in einem deutschen Polizeirevier zu erklären ist.

Am Dienstag präsentierte die „Initiative Gedenken an Oury Jalloh“ in Berlin die Ergebnisse von Smirnous gut zehnmonatiger Arbeit. Der Sachverständige hatte die Polizeizelle, in der Jalloh starb, teilweise nachgebaut. In mehreren Brandversuchen hat er Schweinekadaver auf Matratzen aus demselben Material wie in Dessau angezündet.

„Schweinegewebe ist menschlicher Haut am ähnlichsten“, sagte Smirnou. Er kommt zu dem Schluss, die schnelle und völlige Zerstörung der feuerfesten Matratze, auf der Jalloh fixiert war, das Ausmaß und die Intensität der Verkohlung des Körpers bis in tiefe Hautschichten nur durch fünf Liter eines Brandbeschleunigers, etwa Benzin, möglich sei. „Sonst ist das mit der vorgefundenen Situation in Zelle Fünf nicht in Übereinstimmung zu bringen.“

Der Tod: Der aus Sierra Leone stammende Asylbewerber Oury Jalloh war 2005 an Händen und Füßen gefesselt in einer Dessauer Polizeizelle verbrannt. Die Justiz ging davon aus, dass Jalloh die Matratze, auf die er gefesselt war, selbst angezündet hat. Polizisten sollen ein Feuerzeug in seiner Tasche übersehen haben.

Die Verfahren: 2008 wurden zwei wegen fahrlässiger Tötung angeklagte Beamte freigesprochen. Der zweite Prozess endete 2012 mit einer Geldstrafe. Auch gegen dieses Urteil haben alle Parteien eine anhängige Revision eingelegt. Widersprüchlichkeiten in beiden Prozessen hatten Zweifel an der Selbstmordthese genährt. (cja)

In Versuchen ohne oder nur mit zwei Litern Benzin seien Matratze und Tierkadaver nur oberflächlich Verbrannt. Auch die in den Gerichtsakten dokumentierten Konzentrationen von Stoffen wie Blausäure in der Zelle seien nur mit Brandbeschleunigern aufgetreten. Smirnou hat nach eigenen Angaben in den vergangenen zehn Jahren 300 Brandfälle untersucht. Für Gerichte ist er bislang allerdings nicht tätig geworden.

Nur in eine Richtung ermittelt

Die Ergebnisse des Gutachtens sind in einem Video festgehalten. Die Aktivisten haben darin auch Bilder geschnitten haben, die das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt direkt nach dem Brand am 7. Januar 2005 in der Zelle mit Jallohs noch gefesselter Leiche gemacht hat. In dem Video wird deutlich, dass die Justiz von Beginn an in eine Richtung emittelt hat: Noch bevor er den Gewahrsamstrakt betritt, ist ein Polizist mit den Worten zu hören: „Ich begebe mich jetzt in den Keller, in dem sich ein schwarzafrikanischer Bürger in einer Arrestzelle selbst angezündet hat.“

Schon 2005 hatte die Gruppe eine zweite Obduktion der Leiche Jallohs durchgesetzt und aus eigenen Mitteln bezahlt. Erst dabei waren Brüche im Schädel festgestellt worden, die die ersten Pathologen übersehen hatten.

Die Aktivistin Nadine Saeed erinnerte am Dienstag daran, dass in Jallohs Leiche seinerzeit keine Spuren des bei Brandopfern üblichen Stresshormons Noradrenalin festgestellt worden seien. Das sei nur dadurch erklärbar, dass er bewusstlos gewesen ist, als das Feuer entzündet wurde. Auch seien an dem Feuerzeug, das in der Zelle sichergestellt worden sein soll, weder DNA Jallohs noch Bekleidungs- oder Matratzenreste gefunden worden.

Staatsanwalt ist überrascht

Auch der Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann war zur Vorstellung des Gutachtens in das Berliner Haus der Demokratie gekommen. Er sprach von „sehr ernsten, überraschenden und zum Teil erschreckenden Informationen“. Jetzt müsse man sehr genau prüfen, wie man weiter vorgehe, weil einige Punkte früheren Gutachten in Deutschland widersprechen würden. Bittmann sagte: "Das kann nicht einfach weggewischt werden." Voraussichtlich müsse ein neues Gutachten durch die Ermittlungsbehörden erstellt werden.

Am Montag hatten sechs Personen aus der Initiative beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe „Strafanzeige wegen Totschlag oder Mord gegen unbekannte Polizeibeamte“ erstattet. Weil es sich um eine „besonders schwere Straftat mit Bezug zur inneren Sicherheit und Verfasstheit der Bundesrepublik handelt und die Täter notwendigerweise Polizisten sein müssen“, solle die oberste Strafverfolgungsbehörde jetzt Ermittlungen aufnehmen.

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