Aktuelles Album von 2raumwohnung: Neue Deutsche Gefälligkeit

Der Wellnesspop von 2raumwohnung ist sehr erfolgreich und verstörend inhaltsleer. Auch mit seiner neuen Platte scheitert das Duo am eigenen Anspruch.

Kuschlig, aber nicht mehr: Inga Humpe und Tommi Eckart. Bild: dpa

Inga Humpe wirkt relaxt, wie sie da an diesem einfachen, auf alt gemachten Holztisch im Hinterraum einer Galerie in Berlin-Kreuzberg sitzt. Promotag. Stundenlang Fragen beantworten. Humpe sieht nicht so aus, als sei das ein lästiger Job. Eher wirkt sie so, als käme sie gerade vom Yoga: ausgeglichen, bemüht um ehrliche Antworten. Die Gesichtszüge sind ruhig, sie spricht überlegt. Und nimmt zwischendurch langsam einen Schluck aus dem Wasserglas.

Es gibt dann aber doch etwas, womit man Inga Humpe ärgern kann. Wir sprechen über leicht konsumierbare, über gefällige Musik. „Natürlich stört mich das, wenn Leute über uns sagen, wir wären gefällig“, sagt sie, „gefällig, das ist vielleicht Kylie Minogue oder so.“

Humpe ist Sängerin des erfolgreichen Berliner Popduos 2raumwohnung. Ein neues Album erscheint in diesen Tagen, „Achtung Fertig“ heißt es. Die erste Single „Bei Dir bin ich schön“ konnte man zumindest bei Berliner Radiosendern bereits rauf und runter hören. Humpe und ihr Partner Tommi Eckart haben die zwölf Songs plus Intro in Los Angeles geschrieben und dann in Berlin produziert. Vier Jahre Zeit haben sich die beiden mit dem gut 50-minütigen neuen Studioalbum gelassen.

Das Interessante an 2raumwohnung: Seit die beiden 2001 mit „Kommt zusammen“ auf der Bildfläche erschienen, stehen sie – rein kommerziell – für eine seltene Konstanz. Fünf von bisher sechs Alben konnten sich dauerhaft in den Top Ten platzieren, insgesamt verkauften sie bislang weit mehr als 700.000 Alben. Mehrmals gab es Gold. Man darf davon ausgehen, dass auch dieses Album wieder sehr erfolgreich sein wird.

Konsensmusik

Bemerkenswert daran ist, dass sich Menschen mit den unterschiedlichsten musikalischen Hintergründen – ob sie nun indie-, elektro- oder popaffin sind – auf diese Band einigen können. Seit jeher spielen sie diesen smart daherkommenden Elektropop mit mal knackigen, mal flauschigen Beats, die zweifelsohne gut produziert sind.

Inga Humpe singt dazu vor allem über Liebe und Beziehungen, über hundert Jahre Zweisamkeit. Seltsamerweise waren sie – vielleicht im Gegensatz zu den befreundeten Rosenstolz oder Ich + Ich mit Schwester Annette Humpe – nie großen Anfeindungen ausgesetzt. Das lag wohl daran, dass sie trotz zum Teil sehr schwülstiger Texte irgendwie als hip galten. Wieso?

„Vielleicht haben wir ja doch einen Sound entwickelt, der hält“, vermutet Humpe – und das stimmt, denn sie sind in eine Lücke gestoßen, haben den Sound der Berliner Clubkultur in einen größeren Popkontext gebracht. Nur klingt der eben auch auf dem sechsten Album noch genauso kuschelig und chillig wie eh und je: „Die ganze Nacht lang Sonne / ich spür’ keine Zeit / alles dreht sich um uns rum / und zwei sind eins“, heißt es in „Ein neues Gefühl“. Doch das neue Gefühl kommt einem allzu bekannt vor: Wo ist die Bewegung, die Weiterentwicklung?

Auch die urbane Alterslosigkeit, die Humpe und Eckart verkörpern, dürfte ein Grund für ihren Erfolg sein – wenn irgendwer für das ewige Jungsein steht, sind es die 57-jährige Humpe und der sieben Jahre jüngere Eckart, die auch privat ein Paar sind.

Beides erklärt den Erfolg der Band als Repräsentanten der Wellness-Chill-out-Sphären unserer Gesellschaft. Das geht bei 2raumwohnung – zumindest mittlerweile – aber mit dem vollständigen Verzicht auf Inhalte einher. Sicher, Pop muss nicht die Welt erklären, aber er sollte zumindest eine Haltung zur Gegenwart haben.

Selbst wenn 2raumwohnung sich mal mit größeren Zusammenhängen beschäftigen, hört sich das so an: „Zeitung und Fernsehen / meistens ärgerlich / schlechte News / alles traurig / das, was du da so hörst und siehst / macht nicht gerade Mut / aber im Verhältnis dazu / geht’s Dir gut.“ Humpe sagt im Gespräch: „Ich versuche bewusst, einfache Worte und Bilder zu finden für das Komplexe, das wir erleben.“

Musiker mit Vergangenheit

Dabei hatte man 2raumwohnung angesichts der musikalischen Vergangenheit des Duos durchaus zugetraut, dem meist flachen deutschen Pop dauerhaft neue Akzente zu geben: Humpe ist bereits in den 80ern mit den Postpunk/Neue-Deutsche-Welle-Bands Neonbabies und DÖF (Deutsch-Österreichische Freundschaft) erfolgreich – mit Schwester Annette gehört sie zu den NDW-Pionierinnen. Der DÖF-Song „Codo“ hat sich ins kollektive Musikgedächtnis eingebrannt.

Eckart wiederum kommt ursprünglich aus dem Punk, arbeitet in den 80ern und 90ern dann etwa mit dem NDW-Musiker Andreas Dorau und Techno-Pionier DJ Hell zusammen.

In den 90ern beginnen Humpe und Eckart mit gemeinsamen Musikexperimenten. 2raumwohnung wird dann im Frühjahr 2000 für einen Zigarettenwerbespot ins Leben gerufen: Mit „Wir trafen uns in einem Garten“ werden die Newcomer schlagartig zu Pop-Lieblingen.

Ihr Debüt „Kommt zusammen“ sowie die Folgealben „In wirklich“ und „Es wird Morgen“ werden in den frühen nuller Jahren dafür gefeiert, dass sie das Berliner Lebensgefühl so gut widerspiegeln. „Melancholisch schön“ im Jahr 2005 ist dann ein Ausflug in Bossa-Nova-Gefilde, auch auf „Lasso“ (2009) gehen einige Songs in diese Richtung.

Keine Retter des Deutschpop

Wer aber von 2raumwohnung erwartet hat, dass sie dem Genre Deutschpop dringend benötigte neue Impulse geben, muss spätestens beim Hören von „Achtung Fertig“ enttäuscht sein. „Popmusik ist die einzige Form von Musik, die nicht konservativ ist“, meint Inga Humpe. Mit einigen der neuen Songs widerlegen sie dies locker-leicht: „Bye bye bye / ich werd Dich vermissen / Bye bye bye / Du wirst andere küssen / Bye bye bye / ganz schön radikal.“ Nein, radikal ist hier gar nichts, das Album ist durchzogen von Gefühligkeit und Sentimentalität.

Humpe sieht diese Gefühligkeit als Stärke: „Bei 2raumwohnung ging es schon immer ums Empfinden, ums Spüren“, sagt sie. „Das ist ja auch etwas, was in unserer Gesellschaft vernachlässigt wird. Wir laufen stumpf und zugeballert als Konsumenten durch die Gegend. Für mich ist dieses Album ein Versuch, da rauszukommen. Auf die Einzigartigkeit der Momente zu schauen.“

An diesem Anspruch scheitern sie – was daran liegt, dass die Subjekte in Humpes Texten stets passiv und ohne Gestaltungswillen sind. „Ich kauf mir ein Kleid / und streune stundenlang durch die Glitzerwelt / hab jede Menge Zeit / wenn der Himmel jetzt nicht auf mich fällt“, heißt es in „Wunderbare Tage“. Zurück bleibt die Irritation, dass das Album ohne jegliche Brüche daherkommt.

Der sinnliche Zugang bleibt ohne Aussage und oberflächlich – er erzählt zum Beispiel nichts über die Umstände, denen die empfindenden Subjekte ausgesetzt sind. Gegen Sinnlichkeit grundsätzlich wäre gar nichts zu sagen – wäre sie etwa durchaus geeignet, Kritik an den Zuständen der Gegenwart zu üben. Die Neue Subjektivität in der Literatur der 1970er Jahre etwa hat mit den Mitteln des auf Innerlichkeit und Selbsterfahrung ausgerichteten Schreibens opponiert.

2raumwohnung aber verharren in Innerlichkeit, alles ist Empfindung. „Es geht mir gut / ich weiß nicht warum“, singt Humpe, oder: „Ich mag’s genauso wie’s gerade läuft / warum?“ Wären sie und Eckart den Fragen ernsthaft nachgegangen, hätte „Achtung Fertig“ ein reflektiertes Album über das Grundgefühl ihrer Generation werden können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.