Saudische Filmemacherin über „Wadjda“: „Mein Fenster zur Welt“

Haifaa Al-Mansour hat mit „Das Mädchen Wadjda“ als erste Regisseurin einen saudischen Spielfilm gedreht. Sie arbeitete unter erschwerten Bedingungen.

Filmheldin Wadjda und ihr Sehnsuchtsobjekt Fahrrad. Bild: Razor Film

taz: Frau al-Mansour, Sie sind die erste Frau Ihres Landes, die bei einem Spielfilm Regie führte. Warum muss das extra betont werden?

Haifaa al-Mansour: Es ist tatsächlich so. Außerdem ist es der erste Spielfilm, der komplett in Saudi-Arabien gedreht wurde. Ich ahnte, dass mein Film daher viel Aufmerksamkeit bekommen würde, auch weil wir ja keine Kinos haben. Aber ich wollte einfach eine bewegende Geschichte erzählen, die den Zuschauern unser Land näherbringt.

Ihr Film handelt von der zehnjährigen Wadjda, die sich in den Kopf setzt, ein Fahrrad zu kaufen, und ihrer Mutter, die ihr erklärt, dass Frauen nicht Fahrrad fahren dürfen.

Auch wenn „Das Mädchen Wadjda“ nicht autobiografisch ist, wollte ich eine Geschichte aus meiner Perspektive erzählen. Deshalb geht es um Frauen. In Saudi-Arabien herrscht Geschlechtertrennung. Als Kind ging ich auf Mädchenschulen. Mein Zugang zur männlichen Welt war sehr begrenzt.

Geht es um unterdrückte Frauen?

Da bin ich mir nicht sicher. Es geht hier nicht um Opfer, sondern um Frauen, die versuchen, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Wadjda und ihre Mutter manövrieren ständig und nutzen das System, um glücklich zu werden. Dabei geraten sie in Konflikt mit ihrer Umgebung. Natürlich hat man in einer solchen Situation Mitgefühl. Aber die Charaktere sind keine traurigen, passiven Figuren. Sie bestimmen ihr Schicksal selbst.

Die 39-Jährige hat Literatur in Kairo und Regie/Filmwissenschaft im australischen Sidney studiert. Vor ihrem Filmdebüt drehte sie drei Kurzfilme und den Dokumentarfilm „Women Without Shadows“ (2005). Al-Mansour ist mit dem ehemaligen US-Kulturattaché in Saudi-Arabien verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Bahrein.

Wichtige Rollen spielen auch der ausländische Fahrer der Mutter und Wadjdas streng konservative Lehrerin.

Zwischen Frauen und ihren Fahrern geht es in saudischen Haushalten zu wie bei „Tom und Jerry“: ein ewiger Machtkampf. Die Frau fühlt sich als Arbeitgeberin, aber der Fahrer weiß, dass sie ohne ihn nichts machen kann. Die Lehrerin ist ein Beispiel dafür, wie Frauen das System reproduzieren. Ich habe absichtlich keine Gesellschaft dargestellt, in der Männer die Unterdrücker und Frauen die Guten sind. Alle Figuren sind in einer komplexen Situation gefangen.

Hatten Sie überhaupt eine Drehgenehmigung? Kinos wurden in den siebziger Jahren geschlossen.

Ja, wir hatten eine, denn es gibt bei uns Fernsehen. Als Frau durfte ich bei den Dreharbeiten allerdings nicht mit den Männern zusammenarbeiten. Deshalb musste ich mein Filmteam in einem Lieferwagen mit Funkgerät und Monitor anweisen, was es zu tun hat. Das hat alles kompliziert gemacht. Aber ich respektiere die Kultur und arbeite nicht dagegen an.

Drehten die Schauspielerinnen draußen?

Da hat uns die Handlung geholfen. Als Kind genießt meine Protagonistin mehr Freiheiten. Ihre Mutter bleibt dagegen zu Hause.

Reem Abdullah, die die Mutter spielt, ist berühmt. Was für Karrieren sind für saudische Schauspielerinnen möglich?

Bekannt wurde sie durchs Fernsehen. Für Wadjdas Rolle haben wir eine Laiendarstellerin gesucht. Zum Casting kam Waad Mohammed mit zerzausten Haaren und Turnschuhen mit lila Schnürsenkeln und hörte Justin Bieber. Sie ist ein normales saudisches Kind. Im Ausland war sie zum ersten Mal, als wir für die Premiere nach Venedig geflogen sind. Ich wollte ein saudisches Mädchen, das trotzdem Teil einer globalen Jugendkultur ist.

Warum sind Sie Filmemacherin geworden, obwohl Ihnen so viele Steine in den Weg gelegt wurden?

Ich bin in der Kleinstadt Zulfi aufgewachsen, als Nummer acht von zwölf Kindern in einem konservativen Elternhaus. Trotzdem brachte mein Vater viele Filme mit nach Hause. Bruce Lee und Jackie Chan waren die Helden meiner Jugend. Ansonsten war der Alltag in Zulfi ziemlich eintönig. Spielfilme waren mein Fenster zur Welt. Schon als kleines Mädchen verliebte ich mich in das Medium Film. Später habe ich in Ägypten Literatur studiert. Wieder zu Hause fing ich zunächst in einem normalen Job an. Als junge Frau fühlte ich mich im Arbeitsleben unsichtbar. Meine Filmleidenschaft wirkte wie eine Therapie. So fing ich dann an, Filme zu machen.

Wie haben Sie Ihren Debütfilm „Das Mädchen Wadjda“ überhaupt finanziert?

Es ist eine deutsch-saudische Koproduktion. Razor-Film aus Berlin hat viel Geld eingebracht und Rotana aus Saudi-Arabien …

das Medienunternehmen von al-Waleed bin Talal. Warum unterstützte ein Prinz Ihren Film?

Er drängt auf progressive Ideen und will Frauen in der Kunst fördern. Die Finanzierung war schwierig, denn „Wadjda“ ist ein unkonventioneller Film. In der arabischen Welt sind eher die großen Dramen tonangebend. Deshalb wurde mein Drehbuch auch häufig abgelehnt.

Sind Sie auf den großen Erfolg von „Das Mädchen Wadjda“ stolz?

Den ersten Spielfilm (komplett, d.Red) in Saudi-Arabien gedreht zu haben, ist eine ziemliche Leistung. Es zeigt doch, es gibt bei uns Raum für Kunst, Raum für die Frauen. Für mich ist es aufregend, ein Teil davon zu sein. Damit trage ich dazu bei, die Saudis toleranter und entspannter zu machen. Lange Zeit war Saudi-Arabien sehr konservativ und verschlossen. Langsam öffnet sich nun das Land.

Lange waren ägyptische Filme prägend für das arabische Kino. Kommt das Arthousekino der Zukunft aus dem Golf?

Ägypten hat eine alte, bisher sehr kommerzielle Filmtradition. Doch was nun in Ägypten passiert, macht das Land zu einem interessanten Ort, um Geschichten zu erzählen. Ich bin sicher, dass viele gute, unabhängige Filme aus Ägypten kommen werden. Aus den Golfstaaten kommen auch wichtige Impulse. Die Menschen sind dort vielen Dingen ausgesetzt, die das Leben interessant machen. Besonders wir Saudis werden aufregende und kraftvolle Geschichten zu erzählen haben.

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